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Kasimir und Karoline

Im Mittelpunkt des 1932 in Leipzig uraufgeführten Volksstücks »Kasimir und Karoline« stehen der Chauffeur Kasimir, der plötzlich arbeitslos geworden ist, und seine Verlobte Karoline. Die Beziehung der beiden zerbricht und widerlegt so das Motto, das Ödön von Horváth seinem Stück vorangestellt hat: »Und die Liebe höret nimmer auf«. Ort der Handlung ist das Oktoberfest in […]

Werkdaten

Titel
Kasimir und Karoline
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1932
Uraufführung
1932

Inhaltsangabe

Im Mittelpunkt des 1932 in Leipzig uraufgeführten Volksstücks »Kasimir und Karoline« stehen der Chauffeur Kasimir, der plötzlich arbeitslos geworden ist, und seine Verlobte Karoline. Die Beziehung der beiden zerbricht und widerlegt so das Motto, das Ödön von Horváth seinem Stück vorangestellt hat: »Und die Liebe höret nimmer auf«. Ort der Handlung ist das Oktoberfest in München an einem Abend zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 ihren Anfang nahm.


Über die Festwiese fliegt ein Zeppelin, der die Besucher des Oktoberfests beeindruckt. Kasimir kann Karolines hoffnungsvolle Begeisterung nicht teilen, zu heftig sind Wut und Trauer über seine Entlassung am Vortag. Er fühlt sich einsam und von Karoline im Stich gelassen. Diese nennt ihn egoistisch und besteht auf ihrem Recht, sich zu vergnügen. Es kommt zum Streit zwischen dem Paar und Karoline will die Möglichkeit einer Trennung nicht ausschließen. Kasimir sieht den Grund dafür in seiner Arbeitslosigkeit.

Am Eisstand macht Karoline die Bekanntschaft des Zuschneiders Schürzinger und überredet ihn zu einer Achterbahnfahrt. Unterdessen trifft Kasimir seinen früheren Kollegen Franz Merkl, der wegen verschiedener Delikte vorbestraft ist, und dessen Frau Erna. Franz Merkl verachtet die Frauen und versucht, Kasimir gegen seine Braut aufzuhetzen. Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit Kasimir zieht Karoline mit Schürzinger über das Oktoberfest.

Schürzingers Chef, der gut situierte Kommerzienrat Rauch, steht in Gesellschaft seines Freundes Speer, einem Landgerichtsdirektor aus Thüringen, vor einer Schnapsbude. Er findet Gefallen an Karoline und lädt sie und Schürzinger zum Trinken ein. Karoline erhofft sich von der Bekanntschaft mit Rauch einen gesellschaftlichen Aufstieg und trennt sich endgültig von Kasimir.

In Begleitung von Rauch, Speer und Schürzinger besucht Karoline eine Schau von »Abnormitäten«. Vom Alkohol enthemmt, kommen Eugen Schürzinger und Karoline sich näher und küssen sich. Rauch beobachtet sie. Beim Pferdekarussell fordert Rauch Schürzinger auf, ihm Karoline zu überlassen. Dieser zieht sich tatsächlich sofort zurück, erwartet aber als Gegenleistung von Rauch eine Beförderung.

Kasimir ist in Melancholie versunken. Er betrinkt sich und redet davon, sich am nächsten Tag umzubringen. Es gelingt Franz Merkl, ihn für seine kriminellen Geschäfte zu gewinnen: Franz Merkl bricht auf dem Parkplatz bei der Festwiese die Limousinen der Reichen auf; Erna und Kasimir halten Wache.

Unterdessen fährt Rauch mit Karoline in seinem Auto weg. Kurz darauf muss Rauch in der Sanitätsstation behandelt werden. Als er offenbar die Kontrolle über den Wagen verloren hat, hat Karoline gebremst und ihm damit wahrscheinlich das Leben gerettet. Trotzdem will er jetzt nichts mehr von ihr wissen und schickt sie fort.

Franz Merkl wird auf frischer Tat ertappt und von der Polizei abgeführt. Wegen seiner Vorstrafen erwartet ihn eine Zuchthausstrafe. Erna vermutet, dass er diese wegen seiner Tuberkuloseerkrankung nicht überleben wird. Sie fühlt sich zu dem einfühlsamen und fantasievollen Kasimir hingezogen und die beiden tun sich zusammen. Als Karoline erscheint, um Kasimir zurückzugewinnen, wird sie verspottet und fortgeschickt.

Ohne Hoffnung auf wirkliches Glück nimmt Karoline daraufhin den Antrag des inzwischen beförderten Schürzinger an. Auch das andere Paar blickt in der Schlussszene einer freudlosen Zukunft entgegen.


Die episodenhafte Handlungsführung des modernen Klassikers entspricht der Atmosphäre auf einem Rummelplatz: 117 sehr kurze Szenen, in denen zum Teil nicht einmal gesprochen wird, richten sich wie Schlaglichter hierhin und dorthin. Auch durch musikalische Intermezzi lässt Horváth das Volksfest auf der Bühne lebendig werden. So beginnt das Volksstück zum Beispiel mit der Münchner Hymne »Solang der alte Peter«. Das Oktoberfest bietet dem Kleinbürgertum jener Zeit vorübergehende Ablenkung von den drückenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Ähnlich wirkt der Rückzug in austauschbare Paarbeziehungen, die nur scheinbar dem »Happy End« einer Komödie entsprechen.

Veröffentlicht am 25. September 2014. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autor des Werkes

Österreichisch-ungarischer Schriftsteller
Ödön Josip von Horváth entstammte dem ungarischen Kleinadel und wurde am 9. Dezember 1901 in Fiume, dem heutigen Rijeka (damals ungarisch, heute kroatisch), geboren.

Rezeption

Die Uraufführung im Leipziger Schauspielhaus am 19. November 1932 war eigentlich eine Probeaufführung der Inszenierung des Berliner Komödienhauses, wo die Premiere am 25. November stattfand. Das Stück wurde von der Kritik gemischt aufgenommen; bemängelt wurden die lockere Struktur des Dramas sowie die zum Teil derbe Ausdrucksweise. Beide Aufführungen trugen den Untertitel »Ein Abend auf dem Oktoberfest«.

Für die Erstaufführung in Wien im Februar 1935 wurde die Handlung in den Wiener Prater verlegt und mit zusätzlichen, einleitenden und verbindenden Liedern versehen. Die Kritik reagiert begeistert. Aus dieser Zeit ist ein Briefentwurf Horváths erhalten, in dem er die Berliner Inszenierung kritisiert. Diese hatte seiner Meinung nach Schauplatz und Inhalt verwechselt und das Stück als eine Satire auf das Oktoberfest angesehen. In der Wiener Inszenierung dagegen fühlte der Autor sich in seinen Absichten verstanden: Er erzählt die traurige Geschichte von Kasimir und Karoline, wobei die Schauplätze, an denen Menschen ihrem Glück nachjagen, austauschbar sind.

In der Zeit des Nationalsozialismus gehörte Horváth zu den Schriftstellern, deren Bücher auf der »Liste der schädlichen und unerwünschten Literatur« standen; seine Stücke wurden nicht mehr gespielt. Nur wenige Menschen erinnerten sich nach dem Zweiten Weltkrieg an den Autor und es gab bis 1960 fast keine Aufführungen. Erst Anfang der sechziger Jahre wurde Horváth entdeckt. Die Studentenbewegung fand in Horváths Stücken eine Analyse des Bewusstseins des Kleinbürgertums der zwanziger und dreißiger Jahre und seiner Anfälligkeit für den Faschismus. In den siebziger Jahren gab es zahlreiche Inszenierungen der Stücke Horváths, auch von »Kasimir und Karoline«.

Von den beachteten Inszenierungen aus neuerer Zeit seien die am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg unter der Regie von Christoph Marthaler (1997) sowie die des Münchner Residenztheaters unter der Regie von Frank Castorf (2011) erwähnt.

Während der Entdeckung Horváths eineinhalb Jahrzehnte nach Kriegsende gelang dem Bayerischen Rundfunk 1959 unter der Regie von Michael Kehlmann eine vielbeachtete Fernsehverfilmung von »Kasimir und Karoline«. Der RIAS veröffentlichte 1963 eine Hörspielfassung unter der Regie von Hans Lietzau, die ebenso durchweg positiv aufgenommen wurde. In beiden Fällen hatte Ruth Drexel die Rolle der Karoline inne und Hans Clarin die des Eugen Schürzinger. Ebenfalls hochgelobt wurde der Theaterfilm des ZDF unter der Regie von Ben von Grafenstein im Jahre 2011.

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