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Warten auf Godot

Deutscher Titel
Warten auf Godot
Originaltitel
En attendant Godot
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1952
Uraufführung
1953
Originalsprache
Französisch

Über das Werk

Samuel Becketts »Warten auf Godot« ist eines der berühmt-berüchtigsten Theaterstücke überhaupt. So ist der Titel des Stücks selbst zum Sprichwort geworden: Wer auf Godot wartet, der wartet auf ein Ereignis, das niemals eintreffen wird; der wartet auf den – ebenfalls sprichwörtlichen – Sankt-Nimmerleinstag.

Tatsächlich lässt sich Becketts Stück als Stück über das Warten verstehen. Freilich handelt es sich dabei um ein Warten, das niemals zu einem Ende kommt. Dementsprechend arm ist die eigentliche Handlung des Stücks. 

    [D]ie abstrakte Mitteilung, um was es sich da handelt, [läuft] zweifellos auf das Schlimmste hinaus, was im Bereich des Theaters passieren kann: nämlich auf einen theologisch und existenziell dekorierten Dilettantismus. Banale Geschwätzigkeit, gelegentliche Witzelei, Selbstmordabsichten, religiöse Anspielungen, ein sentimentales ›ceterum censeo‹, alles das zubereitet nach einem faden Symmetrieprinzip der Auftrittsfolgen in zwei einander spiegelbildlich zugeordneten Akten – jeder junge Dramatiker, der einem noch so aufgeschlossenen Dramaturgen diese Form und diesen Sinn erzählt, dürfte damit auch gelangweiltes Gähnen und Gelächter stoßen (Kaiser 1971: 8 f.).

Damit weist Kaiser aber genau auf die Sonderstellung des Stücks hin. »Warten auf Godot« ist zwar kein Formexperiment wie es etwa im Theater Bertolt Brechts aus den 1920er-Jahren besteht. »Warten auf Godot« ist der Form nach sogar eher konservativ, schließlich gibt es ja so etwas wie eine lineare Handlung, die Hauptpersonen sind klar zu identifizieren, die vierte Wand wird nur in wenigen Fällen – und auch da nur andeutungsweise – durchbrochen. Becketts Stück schließt an »den Erwartungshorizont des traditionellen Theaters« an (Kaiser 1971: 9). Man könnte sagen, »Warten auf Godot« ist eine Art Theatersatire und genau daher erklärt sich auch die eminente Wirkung des Stücks. Das Stück ist viel eher als klassisches Theaterstück zu verstehen als die späteren Stücke Becketts, die deutlich stärker den Charakter von Formexperimenten tragen.

»Warten auf Godot« wird auch heute noch aufgeführt, was für ein Theaterstück, das 1949 fertiggestellt wurde, keine Selbstverständlichkeit ist. Das Stück selbst wird immer wieder als Inbegriff des sogenannten absurden Theaters bezeichnet. Diese Spielart des Theaters trat nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Frankreich auf. Neben Beckett ist vor allem der Schriftsteller Eugène Ionesco als absurder Dramatiker bekannt.

Das absurde Theater ist dadurch gekennzeichnet, dass es eine klare Abkehr von den klassischen Einheiten der auf Aristoteles zurückgehenden Dramatik vollzieht. In »Warten auf Godot« tritt genau dieses Element sehr deutlich hervor. Hieß es bei Aristoteles noch, ein Drama müsse eine einheitliche Handlung darstellen, die sich mit der Einheit des Ortes, der Zeit und des Personals verbinde, so bricht »Warten auf Godot« mit diesen Forderungen. 

Allerdings tut das Stück dies nicht einfach dadurch, dass es das Gegenteil des Geforderten macht. Ein Stück könnte ja durchaus ein wechselndes Personal in eine Welt versetzen, in der Raum und Zeit keine Gültigkeit mehr haben. Genau das tut »Warten auf Godot« nicht. In dem Stück ist das Personal klar und wechselt nicht. Auch der Raum ist – wenngleich nicht ganz klar ist, welcher realer Ort repräsentiert werden soll, wenn überhaupt irgendetwas repräsentiert werden soll – klar herausgearbeitet und einheitlich. Die Zeit wiederum verläuft in beiden Akten linear, wenngleich nicht klar ist, wie viel Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Akt verstreicht. Das Stück legt zwar nahe, es würde sich lediglich um eine Nacht handeln, gleichzeitig erscheint dies aber zweifelhaft. Dennoch ist der Zeitverlauf in sich einheitlich. Zudem gibt es zwar so etwas wie eine Handlung, mit dem Spannungsbogen der klassischen Dramatik jedoch lässt sich diese nicht fassen. Auch wenn die sogenannte Handlung ereignisarm ist, so ist sie doch da. 

Die klassischen Einheiten sind in »Warten auf Godot« damit immer noch in Kraft, gleichzeitig werden sie über ihre konkrete Umsetzung von Beckett ad absurdum geführt. In diesem Sinne ist das Stück tatsächlich Inbegriff des absurden Theaters. Der Referenzhorizont bleibt die klassische Tragödie, die Umsetzung jedoch verfremdet diese. 

Hinzu kommt, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich die philosophische Schule des Existenzialismus als dominante philosophische Strömung durchsetzte. Insbesondere der spezielle Existenzialismus Albert Camus’, die sogenannte absurde Philosophie, war wirkmächtig für das Theater. Die menschliche Existenz ist absurd, weil sie keinen Sinn hat, aber darin besteht, so zu tun, als hätte sie einen Sinn. Bei Camus kulminiert dieses Verständnis im Ausspruch: »Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen« (Camus 2004: 160).

Wie Sisyphos aus dem griechischen Mythos, dessen Existenz darin besteht, einen Stein einen Berg hinaufzurollen – und zwar bis in alle Ewigkeit –, verhalten sich auch die beiden Protagonisten in »Warten auf Godot«, nur dass sie eben warten statt einen Stein zu hinaufzurollen. Die immense Wirkung des Stücks verdankt sich aber auch der Zeit, aus der es stammt. Mit dem Existenzialismus als wichtigster Philosophie der Zeit musste jeder Mensch als eine Art Sisyphos gedacht werden. Sisyphos – und mit ihm die Protagonisten des Stücks, Wladimir und Estragon – wurden so als Symbol für die Conditio humana verstanden. 

»Warten auf Godot« karikiert also nicht nur eine bestimmte Theatertradition, sondern stellt die Existenz des Menschen an sich dar. Dies mag vielleicht erklären, warum das Stück nach wie vor auf Bühnen gespielt wird. »Warten auf Godot« kann selbst im siebzigsten Bühnenjubiläum immer noch überzeugen. Das antiklassische Stück ist mittlerweile selbst zum Klassiker geworden.

Veröffentlicht am 7. April 2015. Zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2023.

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