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Die Küchenuhr

Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1947
Originalsprache
Deutsch

Über das Werk

»Die Küchenuhr« ist eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert (1921-1947). Sie entstand zwischen dem Herbst 1946 und dem Sommer 1947 und wurde noch im Herbst 1947 in dem Sammelband »An diesem Dienstag« veröffentlicht.

Sie gehört zu den bekannteren Kurzgeschichten des Autors und ist häufig Gegenstand des Schulunterrichts gewesen.

Ein junger Mann setzt sich zu einigen fremden Leuten auf eine Bank in die Sonne, und zeigt ihnen eine Küchenuhr, die er als einziges aus dem ausgebombten Elternhaus geborgen hat. Die Uhr ist auf halb drei Uhr stehen geblieben und wird dadurch von dem jungen Mann mit seinen üblichen nächtlichen Heimkünften um diese Zeit verknüpft. Seine Mutter stand dann für ihn auf und machte ihm sein Abendessen warm. Diese Fürsorge hatte er damals nicht wertgeschätzt, jetzt weiß er aber, dass dies das Paradies war. Obwohl seine Erzählung die anderen Leute auf der Bank beschäftigt, kann er zu keinem von ihnen Blickkontakt aufbauen. Dem neben ihm sitzenden Mann geht das Wort Paradies nicht aus dem Kopf.

 So offensichtlich der Bezug zum zeitlichen Kontext der Kriegserfahrungen ist, so deutlich sind auch die literarischen Techniken, mit denen Borchert die Begebenheit aus allen konkreten örtlichen und zeitlichen Verbindungen herauslöst. Nicht einmal der Ort, an dem die Bank steht, wird näher definiert.

Typisch für die Gattung der Kurzgeschichte sind der unvermittelte Einstieg, die kaum individualisierten Figuren und ein zurückhaltender Erzähler.

Der Reduktionismus, der bei der Ausgestaltung der Szenerie und bei der Figurenbeschreibung vorherrscht, kann insgesamt für den Stil aber nicht geltend gemacht werden. So platziert der Erzähler wenige, sehr expressive rhetorische Figuren und lässt seine Hauptfigur in ausgewiesen mündlichem, lebhaftem Duktus sprechen. Erwartungsleitende Konjunktionen sorgen beim Erzähler und bei der erzählenden Figur für eine gewisse Fühlung mit der Zuhörer- und Leserschaft.

Die geborgene Küchenuhr ist der zentrale Gegenstand der Kurzgeschichte und gewinnt in ihr ein komplexes semiotisches Profil. So dient sie als Metapher für den jungen Mann, als zufälliger Verweis auf seine nächtlichen Heimkünfte, als metonymischer Verweis auf den Bombeneinschlag und als Substitut eines von dem jungen Mann nicht vorgefundenen, echten Gesprächspartners.

Der radikale Verlust, den der junge Mann durch den Bombeneinschlag erlitten hat, bietet eine weitere thematische Perspektive der Interpretation. So kann die Kurzgeschichte mit Blick auf die Frage nach der Mitteilbarkeit traumatischer Verlusterfahrungen und unermesslichen Leids gelesen werden.

Neben den Handreichungen zum Deutschunterricht, die für die Kurzgeschichte schon spätestens seit Ende der 1960er Jahre entstanden, gibt es zu ihr auch einige wissenschaftliche Aufsätze.

Veröffentlicht am 27. Juli 2016. Zuletzt aktualisiert am 7. September 2023.