In Friedrich Dürrenmatts Drama »Romulus der Große« erhebt sich der letzte römische Kaiser zum Richter über den in seinen Augen verkommenen und dekadenten Staat. In der Folge überlässt er das Römische Reich kampflos den überlegenen Germanen. Das Stück spielt vom Morgen des 15. bis zum Morgen des 16. März 476 in der Villa des Kaisers Romulus in Campanien. Es trägt den Untertitel »Eine ungeschichtliche historische Komödie in vier Akten« und wurde 1949 in Basel uraufgeführt. Die Neufassung von 1980 wurde von Dürrenmatt selbst als »Endfassung« und »literarisch gültig« bezeichnet.
Erster Akt
Der Präfekt Spurius Titus Mamma erreicht am frühen Morgen des 15. März 476 völlig erschöpft die Residenz des Kaisers Romulus in Campanien. Er bringt die Nachricht, dass Pavia gefallen und das römische Weltreich durch den Vormarsch der Germanen gefährdet sei. Die kaiserlichen Kammerdiener Achilles und Pyramus zeigen sich unbeeindruckt. Sie raten ihm, den Behördenweg einzuhalten, um vom Kaiser empfangen zu werden. Der Präfekt geht verzweifelt ab.
Kaiser Romulus Augustus erscheint und lässt sich von den Kammerdienern bestätigen, dass heute die Iden des März seien. An den Iden im März 44 v. Chr. war Julius Cäsar ermordet worden. Der Kaiser fürchtet, seine eigene Ermordung nur verhindern zu können, indem er den Beamten und Angestellten des Reiches an diesem Tag einen Extrasold zahlt. Allerdings ist der Finanzminister mit der ohnehin leeren Staatskasse geflohen, vermutlich um den Staatsbankrott zu verschleiern. Romulus bricht zwei goldene Blätter aus seinem Lorbeerkranz und entlohnt damit seine Diener. Von den sechsunddreißig Blättern bei seinem Amtsantritt befinden sich nur noch fünf am Kranz.
Die einzige Leidenschaft des Kaisers ist die Hühnerzucht. Die Tiere tragen die Namen lebender oder toter Herrscher. Ihre Eier lässt Romulus sich zum Frühstück servieren. Währenddessen stürzt Innenminister Tullius Rotundus herein, um den Präfekten mit seiner Nachricht anzukündigen. Romulus hat kein Interesse daran. Kaiserin Julia dagegen drängt ihren Mann, Spurius Titus Mamma zu empfangen.
Als Kriegsminister Mares die Schreckensnachricht persönlich überbringen will, ahnt Romulus bereits, dass Pavia in die Hände der Germanen gefallen ist. Während Julia in großer Sorge um das zerfallende Reich ist, lenkt Romulus sich mit dem Verkauf römischer Kunstwerke ab. Alle Gespräche werden immer wieder von Preisverhandlungen unterbrochen, die Romulus mit dem Kunsthändler Apollyon führt. Dieser inspiziert im Hintergrund die Büsten großer römischer Dichter, Denker und Staatsmänner, die Romulus ihm zum Kauf angeboten hat.
Unterdessen taucht der oströmische Kaiser Zeno der Isaurier auf und bittet Romulus um Asyl. Zeno fordert Romulus auf, sich mit ihm gegen die Germanen zu verbünden. Kriegsminister Mares stürzt herbei und berichtet, dass die Germanen auf Rom marschieren. Ebenso wie Julia und Zeno verlangt er die totale Mobilmachung, um das Reich zu retten. Romulus weigert sich und wendet sich wieder dem Kunsthändler zu.
Der Hosenfabrikant Cäsar Rupf ist durch die Produktion von Beinkleidern für die Germanen zu großem Reichtum gekommen. Er will eine hohe Summe zur Verfügung stellen, um den Germanenführer Odoaker zu bestechen. Für die Rettung des Römischen Reiches verlangt Rupf Prinzessin Rea zur Frau. Romulus weigert sich, seine Tochter dem Staat zu opfern. Er hält Rom für verloren und will den Lauf der Weltgeschichte nicht aufhalten. Kaiserin Julia schämt sich für ihren Mann. Spurius Titus Mamma nennt Romulus einen schändlichen Kaiser.
Zweiter Akt
Nachmittags auf dem Platz vor der halb zerfallenen Villa des Kaisers: Schmutz und herumflatternde Hühner erwecken den Eindruck, man befinde sich auf einem Hühnerhof. Anwesend sind der Innenminister und der Kriegsminister, inzwischen zum Reichsmarschall befördert. Fassungslos vernimmt der hinzutretende Zeno, dass man dabei sei, die wertvollen Archive zu verbrennen, nur weil die Germanen Rom eingenommen haben. Der Reichsmarschall vertritt die Meinung, dass sich die Germanen auf dem Weg nach Süden in eine Sackgasse begeben; derweil bereitet der Innenminister die Verlegung des Reichssitzes nach Sizilien vor. Dort sei man vor den Eroberern, die keine Boote besitzen, sicher. Spurius Titus Mamma hält dagegen, dass auch die Römer keine Flotte haben.
Prinzessin Reas Verlobter Ämilian kehrt aus dreijähriger germanischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er ist in sehr schlechtem Zustand und Rea erkennt ihn nicht. Die Umstehenden interessiert nicht, was Ämilian durchgemacht hat. Sie sind vollauf damit beschäftigt, ein Schiff für die Flucht aufzutreiben.
Ein Bote bringt die Nachricht, dass die Germanen auf der Via Appia nach Süden vordringen. Ämilian erfährt, dass Cäsar Rupf in der Lage und bereit sei, das Römische Reich zu retten. Er verlangt von seiner Verlobten, die geforderte Gegenleistung zu erbringen und Rupf zu heiraten. Der gesamte Hofstaat schließt sich seiner Meinung an und Rea willigt ein. Allein Romulus verweigert seine kaiserliche Zustimmung. Auch Ämilians Schilderung der Zerstörung und Verzweiflung, die er auf seiner langen Wanderung durch das Reich erlebt hat, kann den Kaiser nicht umstimmen. Dieser müsse weg, verkündet Ämilian daraufhin.
Dritter Akt
Kurz vor Mitternacht trifft Romulus Vorbereitungen schlafen zu gehen. Unterdessen erscheinen nacheinander Julia, Rea und Ämilian, mit denen der Kaiser Unterredungen führt, sowie eine Gruppe von Verschwörern.
Aussprache zwischen Romulus und seiner Frau Julia
Julia kommt, um sich von ihrem Mann zu verabschieden. Sie will in der Nacht mit einem Floß nach Sizilien übersetzen und von dort aus den Widerstand gegen die Germanen fortsetzen. Der Kaiser hält das für sinnlos, da Rom verloren sei.
Illusionslos blicken beide auf ihre zwanzigjährige Zweckehe zurück. Sie hatten geheiratet, weil Julia Kaiserin und Romulus Kaiser werden wollte. Während Julia von Machtgier getrieben war, bekennt Romulus, dass sein Ziel von Beginn an die Zerstörung des römischen Imperiums war. Seiner Meinung nach habe das Weltreich seine Macht missbraucht und damit seine Existenzberechtigung verwirkt.
Aussprache zwischen Romulus und seiner Tochter Rea
Rea bittet ihren Vater, der Heirat mit Cäsar Rupf zuzustimmen. Sie gesteht, Ämilian mehr als ihr Leben zu lieben, sei aber bereit, diese Liebe für das Vaterland zu opfern. Romulus erklärt, dass sich hinter dem Begriff Vaterland ein mörderischer und bankrotter Staat verberge. Die Liebe zu einem Menschen sei wertvoller als jeglicher Patriotismus. Rea solle furchtlos handeln und Ämilian die Treue halten. Romulus eröffnet ihr, dass die Germanen ihn töten werden und nimmt liebevoll Abschied: Er werde Rom opfern, indem er sich selber opfere.
Aussprache zwischen Romulus und Ämilian
Unterdessen ist Ämilian heimlich durch ein Fenster in das Kaisergemach eingestiegen. Der Kaiser hat ihn beobachtet und wendet sich ihm nach Reas Abgang zu. Er lädt Ämilian ein, auf dessen Heimkehr zu trinken. Ämilian zieht es vor, auf die Gerechtigkeit anzustoßen. Zögernd stimmt Romulus zu.
Begegnung zwischen Romulus und den Verschwörern
Als Romulus sich mit seinem Glas vom Diwan erhebt, tritt er dem Innenminister, der sich darunter verborgen gehalten hatte, auf die Finger. Dieser schreit auf und kriecht aus seinem Versteck. Nach und nach kommen aus Wandschränken und unter den Diwanen die übrigen Minister, Kaiser Zeno und seine Kämmerer, Spurius Titus Mamma, ein Soldat und sogar Romulus’ Koch hervor. Alle tragen dieselben schwarzen Mäntel und sind mit Dolchen bewaffnet. Sie wollen Romulus zur Rechenschaft ziehen.
Romulus legt sein Kaisergewand an. Einzig dem Kriegsheimkehrer Ämilian gesteht er das Recht auf eine Aussprache zu. Ämilian wirft Romulus vor, er habe Rom verraten. Romulus entgegnet, dass das Reich sich selbst verraten habe, indem es Gewalt über Wahrheit und Tyrannei über Menschlichkeit gestellt habe. Rom habe keine andere Wahl als sich zu opfern. Auf Ämilians Kommando hin ziehen die Verschwörer die Dolche und nähern sich Romulus. Dieser bleibt gelassen. In diesem Moment ertönt der Ruf, dass die Germanen kommen. In Panik rennen alle davon. Romulus erfährt von seinem Diener, dass die Angreifer erst am folgenden Tag erwartet werden und begibt sich ungerührt zu Bett.
Vierter Akt
Am Morgen nach den Iden des März erfährt der Kaiser, dass seine Familie, die Minister und andere bei der Überfahrt nach Sizilien ums Leben gekommen sind. Sein Schmerz über den Verlust von Rea und Ämilian ist groß, in Erwartung seines eigenen Todes bleibt er jedoch gefasst. Als der germanische Anführer Odoaker erscheint, kommen die beiden sofort ins Gespräch. Sie reden über die neumodischen Hosen und die Hühnerzucht.
Statt Romulus zu töten will Odoaker sich mit allen Germanen dem römischen Kaiser unterwerfen. Da Odoaker im Gegensatz zu seinem Volk und insbesondere seinem Neffen Theoderich den Krieg und das Heldentum ablehnt, fürchtet er um sein Leben. In Romulus sucht er einen Mitstreiter für eine menschlichere Welt. Er malt ihm aus, dass, wenn Romulus die Unterwerfung nicht annehme, die Germanen ein ebenso blutiges Reich wie das römische schaffen würden.
Vergeblich fleht Romulus Odoaker an, ihn zu töten. Odoaker jedoch beschließt, Romulus zu pensionieren und sich selbst zum König von Italien ausrufen zu lassen. Zuvor will er den kriegerischen Theoderich töten. Romulus rät ihm davon ab, weil das sofort neue Feinde auf den Plan rufen würde. Er fasst zusammen: Beide seien sie gescheiterte Politiker, die Wirklichkeit habe ihre Ideen korrigiert.
Odoaker lässt seine Truppen dem Kaiser Ehre bezeugen. Daraufhin ernennt dieser Odoaker zum König von Italien. Odoaker weist Romulus die Villa des Lukull in Campanien zu und setzt eine Pension von 6000 Goldmünzen fest.
Mit seinen Werken übte Friedrich Dürrenmatt Gesellschaftskritik. Nur zu gern hielt er seinen Zeitgenossen den Spiegel vor. Er wollte zum Nachdenken anregen – nicht über das Stück, sondern über Werte und Moral. Nach seiner Auffassung kommt im Theater der Sprache die wichtigste Rolle zu: Durch sie werden Personen charakterisiert; Dialoge treiben die Handlung voran. Der schlichten und zurückhaltenden Sprache des Romulus steht im Stück der Pathos des Kaisers Zeno und des Kriegsministers Mares gegenüber, wenn zum Beispiel die weltpolitische Bedeutung Roms beschworen oder die »totale Mobilmachung« verlangt wird.