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Biedermann und die Brandstifter

Max Frischs 1958 in Zürich uraufgeführte Tragikomödie »Biedermann und die Brandstifter – Ein Lehrstück ohne Lehre« schildert die absichtliche Blindheit seines Protagonisten gegenüber einer sich zusammenbrauenden Gefahr und die grausamen Folgen: Obwohl Brandstiftungen allgegenwärtig sind, glaubt Gottlieb Biedermann sich sicher und nimmt zwei fragwürdige Gestalten in sein Haus auf. …

Werkdaten

Titel
Biedermann und die Brandstifter
Vollständiger Titel
Biedermann und die Brandstifter – Ein Lehrstück ohne Lehre
Autor
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1958
Uraufführung
1958
Originalsprache
Deutsch

Inhaltsangabe

Max Frischs 1958 in Zürich uraufgeführte Tragikomödie »Biedermann und die Brandstifter – Ein Lehrstück ohne Lehre« schildert die absichtliche Blindheit seines Protagonisten gegenüber einer sich zusammenbrauenden Gefahr und die grausamen Folgen: Obwohl Brandstiftungen allgegenwärtig sind, glaubt Gottlieb Biedermann sich sicher und nimmt zwei fragwürdige Gestalten in sein Haus auf. Die Schauplätze sind der Wohnbereich der Familie Biedermann und der Dachboden während eines Zeitraums von vier Tagen, von Mittwoch bis Samstag.


Vor Beginn der ersten Szene versteckt Biedermann seine brennende Zigarre vor den Feuerwehrleuten, die den Chor bilden. Die Feuerwehr beklagt, dass ein Brand nicht immer Schicksal, sondern oft auf die Unvernunft der Menschen zurückzuführen sei.


Szene 1

Der Haarwasser-Fabrikant Gottlieb Biedermann sitzt in seinem Wohnzimmer. Er fordert die Todesstrafe für Brandstifter, die sich – als Hausierer verkleidet – in fremde Häuser einschleichen. Unterdessen betritt ein großer, befremdlich gekleideter Mann ungebeten den Raum. Er stellt sich als arbeitsloser Ringer namens Josef Schmitz vor, der Schutz vor dem Regen suche. Als Biedermann ihn zu Brot und Wein einlädt, verlangt Schmitz darüber hinaus Butter, Käse und Fleisch. Schmitz unterstützt Biedermanns Forderung, hart gegen Brandstifter durchzugreifen, erkennt darin Zivilcourage und ein Gewissen. Unter Hinweis auf den abgebrannten Zirkus, in dem Schmitz zuletzt aufgetreten ist, bittet er um Obdach. Er lobt Biedermanns Vertrauen in Menschen.

Knechtling, ein ehemaliger Mitarbeiter Biedermanns, versucht vorzusprechen. Durch die Entlassung ist Knechtlings Familie in soziale Not geraten. Biedermann weist ihn gnadenlos ab und schlägt ihm vor, sich umzubringen. Schmitz wird Zeuge der Szene und Biedermann gerät unter Druck, seine Menschlichkeit unter Beweis zu stellen. Er bringt Schmitz auf dem Dachboden unter und verlangt von ihm die Zusicherung, kein Brandstifter zu sein. Schmitz lacht.


Szene 2

Biedermanns Frau Babette fürchtet sich vor Schmitz. Biedermann überlässt ihr die Aufgabe, ihn am Morgen aus dem Haus zu werfen. Schmitz spricht sie offen auf ihre Absicht an. Er kokettiert mit seinem niedrigen sozialen Stand und wendet das Gespräch so, dass Babette ihn schließlich bittet, zu bleiben. Gleich darauf kündigt Schmitz die Ankunft seines Freundes Willi an. Dieser sei Oberkellner in einem Restaurant gewesen, bevor dieses abgebrannt sei. Es klingelt, und ein Mann im Frack erscheint.


Szene 3

In der Nacht bringen Schmitz und »der Andere« Fässer auf den Dachboden. Der damit verbundene Lärm erzürnt Biedermann. Er verlangt von Schmitz, das Haus zu verlassen. Fassungslos wird Biedermann der Anwesenheit des zweiten Mannes gewahr, der sich als Wilhelm Eisenring vorstellt. Eisenring bestärkt Biedermann in seiner Empörung und wirft Schmitz vor, ihn nicht als Besucher angemeldet zu haben. Biedermann entdeckt, dass sich in den Fässern Benzin befindet. Er fordert seine Gäste auf, die Fässer sofort zu entfernen, und droht ihnen mit der Polizei.

Unterdessen ist ein Polizist im Haus erschienen, der Biedermann über Knechtlings Selbstmord informiert. Der Polizist hält Schmitz und Eisenring für Angestellte; Biedermann widerspricht nicht. Auf die Frage des Polizisten nach dem Inhalt der Fässer erklären alle drei, dass es sich um Haarwasser handele.

Der Chor der Feuerwehr stellt Biedermann wegen der Benzinfässer zur Rede. Biedermann schlägt die Warnungen in den Wind und verbittet sich die Einmischung in seine häuslichen Angelegenheiten.


Szene 4

Biedermann hat Angst vor seinen Gästen. Deshalb will er sie zum Abendessen einzladen und zu seinen Freunden machen. Auf dem Dachboden trifft er Eisenring an, der an einer Zündschnur bastelt. Schmitz sei unterwegs, um Holzwolle zu besorgen. Biedermann will an einen Scherz glauben; Eisenring klärt ihn auf, dass die reine Wahrheit die beste Tarnung sei. Er nimmt die Essenseinladung für denselben Abend an, da sie am nächsten Tag nicht mehr da seien. Als Biedermann nach unten geht, kommt ein dritter Mann aus einem Versteck, den Eisenring als Doktor und Weltverbesserer anspricht.

Unterdessen bereitet sich der Chor der Feuerwehr auf einen Löscheinsatz vor.


Szene 5

Biedermann verweist die wartende Witwe Knechtling an seinen Anwalt. Dem Dienstmädchen Anna befiehlt er, die Vorbereitungen für das Abendessen einfach zu halten, damit die Klassenunterschiede zu den Gästen nicht offenbar werden. Unterdessen wird der von Babette für Knechtling bestellte Kranz irrtümlich in Biedermanns Haus geliefert. Auf der Schleife wird der Tote als unvergesslich bezeichnet. Biedermann wendet sich dem Theaterpublikum zu und entlarvt Schmitz und Eisenring als Brandstifter. Einen Verdacht habe er von Anfang an gehabt. Er stellt die Frage, wie er sich anders hätte verhalten können und welcher Zeitpunkt der richtige gewesen wäre.


Szene 6

Die Stimmung beim Abendessen ist ausgelassen. Schmitz und Eisenring reden offen über ihre Vorbereitungen zur Brandlegung. Biedermann tut noch immer so, als solle damit sein Humor auf die Probe gestellt werden; Babette ist alarmiert. Die Gäste verlangen nach einer festlichen Tafel mit Tischdecke, Servietten und Kerzenleuchtern. Eine Schauspieleinlage, in der Schmitz den Geist von Knechtling spielt, versetzt das Ehepaar Biedermann in Schrecken. Als Schmitz und Eisenring sich als Brandstifter zu erkennen geben, behauptet Biedermann weiterhin, ihnen zu vertrauen. Als Beweis dafür händigt er ihnen Streichhölzer aus. Um die drohende Gefahr hinauszuschieben, trinkt Biedermann mit den Brandstiftern Brüderschaft. Der Doktor erscheint, um sich von dem geplanten Brandanschlag zu distanzieren. Er habe die Welt verändern wollen und nicht durchschaut, dass seine Mittäter aus reiner Lust handeln.


Während das Haus von Biedermann brennt, kommentiert der Chor die Sinnlosigkeit des Geschehens als Folge von Dummheit, die mit dem Begriff Schicksal verbrämt werde.


Als Reaktion auf die Errichtung einer kommunistischen Diktatur in der damaligen Tschechoslowakei hatte Max Frisch 1948 einen kurzen Prosatext mit dem Titel »Burleske« in seinem Tagebuch niedergeschrieben. Die weitere Auseinandersetzung mit dem Stoff führte zu einer Hörspielfassung, die 1953 erstmals ausgestrahlt wurde. Das Theaterstück schließlich entstand als Auftragsarbeit und entwickelte sich völlig unerwartet zu einem Welterfolg; heute gilt es als Klassiker der Moderne. Da »Biedermann und die Brandstifter« zu kurz ist, um einen Theaterabend zu füllen, schrieb Frisch gegen den Rat seines Verlegers Suhrkamp ein sogenanntes Nachspiel, das Hinweise zur Deutung enthielt. Bereits seit Anfang der Sechzigerjahre erscheint das Nachspiel nicht mehr in der Textausgabe des »Biedermanns«, sondern nur in der Gesamtausgabe der Werke Frischs.

Veröffentlicht am 9. November 2014. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autor des Werkes

Schweizer Dramatiker und Romanautor
Max Rudolf Frisch (1911–1991) war ein Schweizer Schriftsteller und Architekt.

Kurze Zusammenfassung

Der Haarölfabrikant Gottlieb Biedermann nimmt in seinem Haus zwei Männer auf (Schmitz und Eisenring), die er auf seinem Dachboden hausen lässt. Biedermann muss feststellen, dass Schmitz und Eisenring auf dem Dachboden Benzinfässer einlagern und mit Zündschnur und Zündkapseln hantieren. Er lädt die beiden Männer zum Abendessen ein und fragt sie bei dieser Gelegenheit, wer sie seien und was sie wollten. Offen gestehen sie ihm, dass sie Brandstifter sind. Biedermann hält diese Auskunft aber für einen Scherz (obwohl es in letzter Zeit mehrfach zu Brandstiftungen gekommen ist), verbrüdert sich mit ihnen und gibt ihnen die verlangten Streichhölzer. Während sein Haus bereits brennt, will Biedermann es immer noch nicht wahrhaben, dass es sich bei Schmitz und Eisenring tatsächlich um Brandstifter handelt.

Zeitgeschichtliche Einordnung

  • Max Frisch lebte von 1911 bis 1991, die meiste Zeit in Zürich.
  • Als Frischs »Biedermann und die Brandstifter« 1958 auf die Bühnen kommt (Uraufführung in Zürich), ist der Zeitgeist durch den Kalten Krieg bestimmt, die Blockkonfrontation zwischen »Westen« (USA und Verbündete) und »Osten« (Sowjetunion und Verbündete).
  • In der Bundesrepublik Deutschland hat das so genannte »Wirtschaftswunder« eingesetzt und die BRD ist Bestandteil des westlichen Bündnisses (NATO).
  • Frisch ist 1958 bereits ein bekannter und erfolgreicher Autor. So haben ihm seine Romane »Stiller« (1964) und »Homo faber« (1957) Anerkennung eingebracht. Sein größter Theatererfolg wird das Stück »Andorra« (1961).

Entstehung und Quellen

Dem Drama geht der Prosatext »Burleske«, im Tagebuch Frischs aus dem Jahre 1948 enthalten, voraus. Der Prosatext enthält bereits die Grundidee des späteren Stücks – die Konfrontation eines Bürgers mit zwei Fremden, die er in seinem Haus aufnimmt und die auf dem Dachboden Benzinfässer einlagern und schließlich sein Haus anzünden.

Im Jahre 1952 verfasst Frisch ein Hörspiel für den Bayerischen Rundfunk, das den Titel »Herr Biedermann und die Brandstifter« trägt, 1953 gesendet wird und die wesentlichen Elemente der »Burleske« übernimmt.

1958 entwickelt Frisch das vorhandene Material (Prosatext und Hörspiel) weiter zu seinem Drama »Biedermann und die Brandstifter«. Als wesentliche Veränderung und neues Element kommt der Chor hinzu. Mit dem Untertitel »Ein Lehrstück ohne Lehre« verweist Frisch zugleich auf das Theater Brechts.

Chronologie und Schauplätze

Das Drama besteht aus einem Vorspiel (Biedermann und der Chor) und sechs Szenen. Nach der sechsten Szene gibt es einen Kommentar des Chores, der den Charakter eines Epilogs hat.

Handlungsorte sind die Stube und der Dachboden des Hauses von Biedermann. Der Zeitraum der Handlung umgreift vier Tage (von Mittwochabend bis Samstagabend), wobei nach der dritten Szene eine Dynamisierung festzustellen ist (Spannungssteigerung/Erhöhung des Tempos).

Das Drama weist eine Haupthandlung (Biedermann und die Brandstifter) und eine Nebenhandlung auf (Knechtling-Thematik), die wesentlich der Charakterisierung Biedermanns dient.

Durch die Szenen zieht sich ein Komplex von Motiven, Symbolen und literarischen Anspielungen. Das Stück enthält Elemente des Paradoxen, des Grotesken, des Wortspiels und der Sprach- und Situationskomik. Der Chor übernimmt in Frischs Drama eine antiillusionistische Funktion und greift zugleich parodierend Elemente des klassischen griechischen Dramas auf.

Hauptpersonen

Gottlieb Biedermann:

  • wird durch seinen Namen charakterisiert; verfügt über einen eher bescheidenen intellektuellen Horizont, ist spießig-bürgerlich, aber zugleich ein rücksichtsloser Geschäftsmann
  • unter der Maske der Wohlanständigkeit und Jovialität ist ein Kern von Brutalität und Aggressivität verborgen
  • ist empfänglich für Schmeicheleien; aus Opportunismus und Feigheit geht er einer Auseinandersetzung mit den Brandstiftern aus dem Weg und kleidet sein Verhalten in Phrasen

Babette:

  • ist auf die Rolle der Ehe- und Hausfrau festgelegt
  • verhält sich, wie Gottlieb Biedermann, gegenüber den Brandstiftern gleichermaßen schmeichlerisch wie feige
  • ordnet sich ihrem Ehemann unter

Brandstifter:

  • Josef Schmitz, ein großer und starker Mann mit Tätowierungen, und Willi Eisenring, ein ehemaliger Kellner, der die Rolle des Gebildeteren der beiden übernimmt, setzen gegenüber Biedermann ihre (tatsächlichen oder erfundenen?) Biografien gleichermaßen als Druckmittel (Erzeugung von Angst) und als Mittel ein, um Mitleid zu erregen.
  • Ob die zwischen ihnen erkennbare Hierarchie (Eisenring scheint derjenige zu sein, der immer wieder die Initiative ergreift) nur gespielt und somit Teil einer Strategie gegenüber Biedermann oder Ausdruck eines tatsächlichen Machtgefälles ist, bleibt offen.

Stil und Sprache Frischs

  • Die Sprache ist im Drama Frischs kein Mittel der Verständigung, sondern ein Mittel der Maskierung und Verstellung. Wie die Figuren selbst keine Individuen sind, sondern als Typen gezeichnet werden, so ist auch ihre Sprache durch Typisierung bestimmt.
  • Biedermann neigt zum imperativischen Sprechen, seine Wortbeiträge sind durch viele Floskeln gekennzeichnet, er bedient sich aber, wie die anderen Figuren auch, insgesamt einer eher gehobenen Umgangssprache.
  • Die Sprache des Chores ist durch Rhythmisierung bei gleichzeitiger Verwendung von Alltagsvokabular gekennzeichnet, wodurch ein parodistisch-komischer Effekt erzielt wird.
  • Insgesamt transportiert die verwendete Sprache Frischs Sprachkritik und Sprachzweifel.

Interpretationsansätze

Ansätze zur Interpretation des Dramas:

  • Die Rhetorik der Brandstifter und die politische Deutung der Parabel
  • Biedermann als Zeitgenosse
  • Der Gegensatz von Schein und Sein

Lektürehilfe

Königs Erläuterungen zu »Biedermann und die Brandstifter«

Verlässliche Interpretationshilfe
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