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Unter der Drachenwand

Sprache und Stil

Arno Geiger gelingt es meisterlich, Sprache und Stil der Tagebucheintragungen und Briefe an die jeweiligen Sprecher und Sprecherinnen anzupassen – ein Umstand, der auch von der Kritik immer wieder besonders hervorgehoben wurde. Jeder der Protagonisten äußert sich umgangssprachlich, aber die jeweilige Alltagssprache ist dabei unterschiedlichen Milieus und Bildungsniveaus angepasst.
Veit schlägt als junger Erwachsener und Kriegsteilnehmer mit schlimmen Fronterfahrungen einen ernsten und nüchternen Ton an, der gelegentlich von sarkastischen Bemerkungen durchsetzt ist. Auch wenn er von positiven Erfahrungen berichtet, z. B. im Zusammensein mit Margot oder bei der Nachricht von seiner erneuten Rückstellung, wird er nie euphorisch oder sentimental. Die traumatischen Erlebnisse lassen sich nicht mehr ausradieren, und somit bleibt auch sein Ton durchgängig sachlich.

Demgegenüber spricht der 16-jährige Kurt Ritler wie ein verliebter und fröhlicher Jugendlicher, voller Schalk, aber auch teilweise ein wenig verwirrend, schnell hin und herspringend zwischen unterschiedlichen Themen. An seinem veränderten Ton im Laufe des Handlungsfortganges lässt sich das Schicksal desjenigen ablesen, der zunehmend durch den Krieg desillusioniert und in seinem jugendlichen Optimismus zerstört wird.

Lore Neffs Sprache ist forsch und eher kühl, sie zeichnet sie als pragmatische Hausfrau, die »anpacken« kann und sich gleichzeitig um ihre Töchter sorgt. So schlägt sie auch oft einen ermahnenden Ton an, spricht aber mit Margot auch im lockeren Alltagston über Nachbarn und Verwandte. Gegen Ende des Romans, also nach der schwersten Bombardierung Darmstadts, wird ihre Sprache zunehmend emotionaler und sie bekennt sich zu ihren Ängsten.

Oskar Meyer als die wahrscheinlich am besten gebildete Romanfigur schlägt gegenüber seiner Cousine einen zugleich höflichen und ehrlichen Ton an. Ohne sie mit Kraftausdrücken oder brutaler Sprache zu konfrontieren, gelingt es ihm, seine verzweifelte Lage eindringlich zu schildern. Dabei steht er offen zu seinen Ängsten und Befürchtungen und äußert häufig Selbstkritik angesichts seiner Schwierigkeiten mit praktischen Belangen des Lebens.

Ein besonderes sprachliches Gestaltungsmerkmal sind die diagonalen Schrägstriche, die Geiger zur Rhythmisierung des Textes verwendet und die er folgendermaßen in einem Interview erklärt hat: »Ja, das ist ein bisschen wie bei einem Gedicht es ist mehr als Punkt und weniger als ein Absatz. Ich wollte ein zusätzliches formales Gestaltungselement, an das man sich ja nach zwei, drei Seiten dann, denke ich, rasch gewöhnt hat. Irgendwie auch in dem Wunsch zunächst einmal, dass ich so diese ganz konventionelle Romanform wenigstens in einem Detail breche, um zu signalisieren, für mich ist das mehr als einfach nur ein Roman.« (Gerk)

Veröffentlicht am 28. Juli 2022. Zuletzt aktualisiert am 10. Oktober 2022.