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Deutschland. Ein Wintermärchen

»Deutschland. Ein Wintermärchen« ist ein Versepos von Heinrich Heine. Es wurde 1844 erstmals veröffentlicht. Voller Ironie und Polemik stellt der Dichter, der im französischen Exil lebt, preußischen Militarismus und Nationalismus an den Pranger.

Deutschland. Ein Wintermärchen
Heinrich Heine
Deutschland. Ein Wintermärchen

Werkdaten

Titel
Deutschland. Ein Wintermärchen
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1844
Originalsprache
Deutsch
Literarische Epoche oder Strömung

Inhaltsangabe

In »Deutschland. Ein Wintermärchen« fasst Heinrich Heine die Eindrücke während einer Reise durch sein Heimatland im November 1843 zusammen. Seit 1831 lebt Heine im Pariser Exil. Aus dem liberalen Frankreich kommend, ist sein Blick geschärft für die restaurativen Kräfte in Deutschland. Mit beißender Ironie schildert er den geistigen Zustand seines Vaterlandes, unter dem er seit Jahren persönlich leidet. Das politische Gedicht erschien 1844 bei Hoffmann und Campe in Hamburg als Teil des Bandes »Neue Gedichte«.


Bereits bei der Durchsuchung seines Gepäcks nach verbotenen Schriften beim Grenzübertritt in Aachen sieht der Ich-Erzähler seine Vermutung der anhaltenden Zensur und Unterdrückung bestätigt. In der Kaiserresidenz entlarvt er Militär und Bürger als arrogant nach außen, dabei ängstlich und unterwürfig im Innern. Die Rückwärtsgewandtheit der Deutschen finde ihren Ausdruck zudem in der romantischen Dichtung, einer literarischen Hauptströmung jener Zeit.

Zensur in Preußen

Ab 1819 fanden mit den Karlsbader Beschlüssen die Reformbewegungen in Preußen ein vorläufiges Ende. Eine der Folgen war die Verschärfung der Zensur: Veröffentlichungen wurden streng überwacht; Bücher konnten verboten, Zeitungsartikel unterdrückt werden.

Schon seit 1815 prangerte Heinrich Heine die sozialen und politischen Verhältnisse in Deutschland an. Als einer der ersten stand der prominente Dichter in der Schusslinie der Zensurbehörde. Seine Schriften wurden verboten; 1831 verließ er fluchtartig seine Heimat und ging ins Pariser Exil. Von dort aus arbeitete er als Korrespondent für die »Augsburger Allgemeine«. In Beiträgen für das Feuilleton informierte er die deutschen Bürger über das Leben im – seit Napoleon – freiheitlichen Frankreich.

In Köln nimmt der Reisende eine scharfe Abrechnung mit Kirche und Klerus vor. Im Katholizismus und dessen Geschichte von Kreuzzügen und Inquisition sowie anhaltendem Aberglauben erkennt er einen Feind der Vernunft. Der Rhein, umstrittener Grenzfluss zwischen Frankreich und Deutschland, sucht Trost beim Erzähler: Er fühlt sich verspottet vom deutschem Volksliedgut. Nationale Strömungen gebe es allerdings auf beiden Seiten, tröstet ihn dieser. Als des Erzählers Alter Ego ihm im Traum deutlich macht, dass seine Schriften Auslöser für Verbrechen und Bluttaten sein können, erschrickt er.

Über Mülheim, Hagen und Unna kommt der Reisende zum Teutoburger Wald. Immer wieder versinken die Wege durch Deutschland in Kot, Dreck und Schlamm. Selbst die Römer seien darin steckengeblieben. Das habe den Deutschen zum Sieg verholfen, analysiert der Erzähler. Seine sämtlichen Erfahrungen unterwegs münden in Kritik: am schweren deutschen Essen, an der behaglichen Bequemlichkeit der Deutschen, an ihrer Gefühlsduselei, dem preußischen Militarismus und Nationalismus.

Hinter Paderborn wiegt das Ruckeln der Kutsche den Reisenden in Schlaf. Im Traum begegnet er Kaiser Barbarossa, der seit Jahrhunderten im Kyffhäuser auf seine Stunde wartet, um Deutschland zu retten. Vergeblich verlangt er vom Erzähler Respekt; schließlich nennt er ihn einen Hochverräter. Beim Aufwachen sehnt sich der Reisende nach dem französischen Kaiser. Ihm allein traut er zu, sein geknechtetes Vaterland zu befreien, sowohl von der romantischen Verklärung der Vergangenheit als auch von seinem preußisch-militärischen Größenwahn.

Über Minden, Bückeburg und Hannover erreicht der Reisende sein Ziel: In Hamburg besucht er seine Mutter, trifft seinen Verleger Campe und schließlich die »Göttin« Hammonia, Schutzpatronin Hamburgs. Ihr gegenüber gibt er seine zwiespältigen Gefühle zu: Heimweh und Vaterlandsliebe einerseits, Abscheu gegen geistige Enge und Unterdrückung andererseits. Die Göttin offenbart ihm die Zukunft Deutschlands als eine stinkende Kloake im Nachttopf Karls des Großen. Der Reisende wird ohnmächtig; dennoch versucht Hammonia ihn mit Liebesschwüren in Deutschland zu halten. An den Zuständen einschließlich des Zensurwesens werde sich zwar schwerlich etwas ändern, doch man könne versuchen, den Deckel auf dem Topf zu halten.


Das Versepos »Deutschland. Ein Wintermärchen« gehört zur Exildichtung. Entstanden 1844 in Paris, ist es eins von Heinrich Heines wichtigsten Werken. Der Dichter schildert darin den geistigen Zustand seines Heimatlandes in der Zeit des Vormärz (zwischen den Befreiungskriegen 1813/15 gegen Napoleon und der Märzrevolution von 1848). Die negative Sicht auf das Land entspringt seinen eigenen Erfahrungen (Zensur, Publikationsverbot, Prozess). Trotz der bitteren Kritik, die im Mittelpunkt des Werks steht, wird Heinrich Heines Zwiespalt offenbar: Er fühlt sich seiner – so schwierigen – Heimat tief verbunden und leidet an ihr. Seine Vision ist ein freiheitliches Deutschland an der Seite der »Grande Nation« Frankreich.

Veröffentlicht am 29. Januar 2018. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autor des Werkes

Deutscher Dichter, Journalist, Essayist und Literaturkritiker
Heinrich Heine (1797–1856) ist einer der bedeutendsten deutschen Autoren. Der Lyriker und Schriftsteller gilt als Vollender und Überwinder der deutschen Romantik. Als Journalist begründete er moderne literarische Formen wie das Feuilleton. Seine scharfe Kritik an sozialen und politischen Verhältn…

Zusammenfassung nach Kapiteln

Vorwort

Im Vorwort (Prosa-Form) zu seinem Werk bedauert Heine, dass er sein Versepos wegen der deutschen Zensur gründlich überarbeiten musste. Dennoch sehe er weitere Kritik kommen. Er sei jedoch kein Verräter seines Vaterlandes. Im Gegenteil: Er hoffe, dass auch Deutschland sich für die Ideale der Französischen Revolution öffnen werde. Die Liberalisierung würde dem Land Achtung in Europa und der ganzen Welt verschaffen.

Caput

Der Text enthält neben Vorwort und Epilog 27 Einzelgedichte, die mit Caput I – Caput XXVII überschrieben sind. Der Begriff Caput stammt aus dem Lateinischen und bedeutet »Kapitel eines Buches«. Der Plural lautet Capita.

Caput I (Grenze)

Der reisende Ich-Erzähler betritt Deutschland mit gemischten Gefühlen; Heimweh ist auch darunter. Gleich an der französisch-deutschen Grenze hört er ein Harfenmädchen von einer besseren Welt im Jenseits singen. Der Erzähler dagegen behauptet, dass jeder Mensch ein Recht auf ein materiell gesichertes Leben im Diesseits habe. Der Vision einer geistigen und sozialen Revolution lässt er die eines friedlich geeinten Europas folgen.

Caput II (Grenze)

In Wirklichkeit erlebt er demütigende Zollkontrollen. Dem preußischen Pflichtbewusstsein hält er entgegen, dass man zwar sein Gepäck, nicht aber seine Gedanken durchsuchen könne. Ein anderer Reisender lobt die Grenzkontrollen als ein Mittel, um Deutschland wirtschaftlich zu einen; die Zensur habe entsprechend die geistige Einheit zum Ziel.

Caput III (Aachen)

Erste Station ist die Kaiserresidenz Aachen, die dem Reisenden äußerst langweilig erscheint. Auf den Straßen beobachtet er das preußische Militär. Die Soldaten bewegen sich eckig und steif. Ebenso wie das übrige Volk seien sie nach außen arrogant, dabei im Innern ängstlich und unterwürfig. Der Reisende verspottet die rückwärtsgewandte Haltung der Deutschen, die sich auch in ihrer romantischen Dichtung widerspiegele. Im Widerspruch zu seiner Kritik steht die eigene Sehnsucht nach einem bescheidenen Leben als Autor in Stuttgart (statt im Exil). Schließlich verhöhnt er den Reichsadler; er würde ihn gern – ebenso wie den König – zum Abschuss freigeben.

Capita IV-VII (Köln)
Caput IV

In Köln erfolgt eine scharfe Abrechnung mit Kirche und Klerus. Der Reisende klagt die Kirche ihrer Untaten an, erwähnt Kreuzzüge und »Hexenverfolgungen«. Im Kölner Dom sieht er einen Feind der Vernunft. Er ist erleichtert, dass der Dombau seit Luther unvollendet blieb und hofft, dass er es trotz Unterstützung aus dem Volk auch bleibe.

Caput V

In einem fiktiven Gespräch tröstet der Erzähler »Vater Rhein«, den Fluss, um den sich Deutsche und Franzosen streiten. Er distanziert sich von dem Konflikt und zieht nationale Strömungen auf beiden Seiten ins Lächerliche.

Caput VI

Der Erzähler denkt über Auswirkungen seiner Schriften nach. Ein fiktiver »Reisebegleiter«, Heines Alter Ego, übernimmt die Verantwortung für die Folgen revolutionären Gedankenguts. Die dunkle und vermummte Gestalt trägt ein Beil mit sich; sie will über Taten, die sich auf die Schriften gründen, richten.

Caput VII

In einem nächtlichen Traum ist der Erzähler mit seinem Begleiter in Köln unterwegs. Er entnimmt seinem offenen Herzen Blut, mit dem er im Vorübergehen Häuser markiert. Deren Bewohner müssen sterben. In der Dreikönigsgruft im Dom sitzen Kaspar, Melchior und Balthasar als lächerliche Skelette auf ihren Sarkophagen. Im Traum werden sie – und mit ihnen der Aberglaube – von dem Begleiter zerschmettert.

Caput VIII (Mülheim)

Die Fortsetzung der Reise führt durch Mülheim. Die kühle, feuchte Luft sowie Kot und Morast auf dem Weg kommen dem Erzähler heimatlich vor. Mülheim ist ein trauriger Ort. 1831 hatten die Menschen hier ihre Hoffnungen auf die Liberalisierung durch den Einzug der Franzosen gesetzt, doch sie wurden enttäuscht: Die Preußen halten bis heute die Stellung.

Caput IX (Hagen)

Der Erzähler schätzt die typisch deutschen und schweren Mahlzeiten, die er in Hagen zu sich nimmt. Die Schilderung der leiblichen Genüsse enthält jedoch soviel Pathos, dass sie sich auch als Kritik an deutscher Behaglichkeit und Wohlleben lesen lässt.

Caput X (Unna)

In einem Wirtshaus in Unna verspottet der Reisende die Westfalen als einfältig und gefühlsbetont. Die letzten beiden Strophen sind formal wie inhaltlich ironisch. Sie enthalten eine Fürbitte, wie sie im Gottesdienst gesprochen wird: Nachfolgende Generationen mögen vor Militarismus und Nationalismus »bewahrt« bleiben. Am Ende steht die jüdisch-christliche Schlussformel »Amen«.

Caput XI (Teutoburger Wald; Hermannsdenkmal bei Detmold)

Der Erzähler erwähnt den Cheruskerfürsten Arminius, bekannt als Hermann, der im Jahre 9 n. Chr. im Teutoburger Wald über die Römer siegte. Der erfolgreichen Varusschlacht soll mit dem Hermannsdenkmal bei Detmold gedacht werden; der Bau wurde 1838 begonnen. Der Sieg sei dem deutschen Dreck und Schlamm zu verdanken, in dem die Römer steckenblieben, befindet der Reisende. Er malt sich aus, wie seine zeitgenössischen Kritiker aussähen oder sich verhielten, wenn sie heute unter römischer Herrschaft stünden. In diesen Gedankenspielen unterzieht er sie seinerseits der Kritik.

Caput XII (Teutoburger Wald)

Wegen einer Panne kommt es zu einem nächtlichen Aufenthalt im Wald, wo der Reisende Wölfe heulen hört. Er erkennt in ihnen seine Gesinnungsgenossen. In einer spontanen Rede wendet er sich an seine »Mitwölfe« und versichert sie seiner Loyalität. Zugleich distanziert er sich aber von ihnen (und damit auch von einigen der revolutionären Ideen jener Zeit).

Erzählperspektive

Die Reiseerlebnisse in »Deutschland. Ein Wintermärchen« werden aus der Perspektive eines Ich-Erzählers geschildert. Es ist unzweifelhaft, dass dem Versepos Heines eigene Erfahrungen und Eindrücke vom November 1843 zugrunde liegen. Dennoch ist es kein Reisebericht im klassischen Sinne. Einige der im Gedicht erwähnten Orte (wie Hannover, Bückeburg, Teutoburger Wald) berührte der Dichter erst auf der Rückfahrt von Hamburg nach Paris. Die Hinreise war über Amsterdam und Bremen erfolgt. Zudem nahm Heine die künstlerische Bearbeitung der Reise erst im Januar 1844 in Paris vor, also aus zeitlicher und räumlicher Distanz. Deshalb lässt sich der Ich-Erzähler im Text nicht ohne Weiteres mit Heine gleichsetzen.

Caput XIII (Paderborn)

In Paderborn schildert der Erzähler den Aufgang der Sonne über der dummen Erde als vergebliches Tun, da eine Hälfte der Erde jeweils im Dunkel liege. Auch in einem gekreuzigten Jesus Christus am Wegrand meint er die Vergeblichkeit menschlichen Handelns zu erkennen. Jesus’ schonungslose Reden gegen Kirche und Staat hätten zum Tod am Kreuz geführt. Da er klug war, hätte er sich zügeln und so dem Kreuz entkommen können. Heutzutage habe man es leichter: Mit dem Buchdruck sei auch die Zensur erfunden worden. Diese bewahre rücksichtslose Verbreiter einer Meinung (zu denen er sich selbst zählt), vor drakonischen Strafen.

Capital XIV-XVII (Von Kaiser Barbarossa)
Caput XIV

Im Weiterfahren erinnert sich der Reisende an Lieder, die ihm seine Amme gesungen hat. Eines handelt von einem Mörder, der durch ein Femegericht verurteilt und gehenkt wird. Ein zweites greift Elemente des Grimmschen Märchen von der Gänsemagd und dem Pferdekopf Fallada auf. Das dritte erzählt von Kaiser Barbarossa. Der Sage nach haust er im Kyffhäuser-Berg, zusammen mit Tausenden von Soldaten; seit Jahrhunderten bereitet er sich darauf vor, Deutschland zu befreien. Mehrere Verse enden mit dem Bild einer klagenden Sonne, vermutlich angesichts der Zustände in Deutschland.

Caput XV

Der Erzähler schläft während der Fahrt ein. Er träumt, dass er sich im Kyffhäuser bei Barbarossa befindet. Der zeigt ihm Waffen und Soldaten. Zu seinem Bedauern mangelt es ihm an Pferden. Der Zukauf sei im Gange, aber es werde noch dauern, bis die Ausrüstung komplett sei; er übe sich in Geduld. Dann werde er in die Schlacht ziehen, um Deutschland zu rächen.

Caput XVI

In einem zweiten Traum gibt Barbarossa zu, seit dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) nichts mehr von der Weltgeschichte mitbekommen zu haben. Der Erzähler bringt ihn auf den neuen Stand und nutzt dies für Kritik, u. a. an den Nachkommen von Moses Mendelssohn und einer romantischen Dichterin. Er muss dem ahnungslosen Kaiser auch die Funktionsweise einer Guillotine erklären. Als der Kaiser den Erzähler des Hochverrats bezichtigt, nennt dieser ihn eine Sagengestalt, deren Insignien und Nationalismus niemand brauche.

Caput XVII

Der Reisende erkennt, dass er Barbarossa nur im Traum, nie aber in der Realität widersprechen kann. Ungeduldig sehnt er den französischen Kaiser herbei. Dieser solle Deutschland sowohl von der romantischen Verklärung der Vergangenheit als auch von seinem preußisch-militärischen Größenwahn befreien.

Caput XVIII (Minden)

In Minden übernachtet der Reisende in der weitläufigen Festung. Er fühlt sich als Gefangener Preußens und vergleicht sich mit Odysseus in der Höhle des einäugigen Riesen Polyphem. In mehreren bildreichen Albträumen fühlt er sich von der preußischen Dummheit, der Zensur und dem Reichsadler als preußischem Nationalsymbol bedroht.

Caput XIX (Bückeburg und Hannover)

Heines Großvater Heymann Heine stammt aus Bückeburg; auf lehmigen Wegen durchfährt die Kutsche das Fürstentum. Der Erzähler kommt nach Hannover, wo Ernst August als König regiert. Er verspottet den Herrscher wegen seines langweiligen und unbedeutenden Daseins. Zu verdanken habe er es der Feigheit der deutschen Revolutionäre.

Capita XX – XXVI (Hamburg)
Caput XX

Der Reisende erreicht seinen Zielort Hamburg. Nach dreizehn Jahren sieht er seine Mutter wieder. Er lässt sich von ihr mit Essen verwöhnen; ihren zahlreichen Fragen nach seinem Leben in Frankreich und seiner politischen Überzeugung weicht er geschickt aus.

Caput XXI

Der Reisende besucht Orte und Häuser seiner Jugend; viele davon sind dem Großen Brand im Mai 1842 zum Opfer gefallen. Die Stadt hatte Hilfe von außerhalb bekommen, und die Bürger waren zügig entschädigt worden. Der Erzähler rät den Hanseaten deshalb, den Schrecken zu vergessen und den Wiederaufbau voranzutreiben. Er warnt: Über die Hilfeleistungen versuche das ihm verhasste Preußen Einfluss in Hamburg zu gewinnen.

Caput XXII

Der Erzähler stellt fest, dass die Menschen der Stadt an Lebendigkeit verloren haben. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich vergrößert, während sich Alt und Jung kaum unterscheiden lassen. Einige seiner früheren Bekannten sind verstorben, andere haben sich stark verändert und seien kaum wiederzuerkennen.

Caput XXIII

Der Erzähler lässt sich von seinem Verleger Julius Campe zum Essen im Restaurant »Lorenz« einladen. Er ist begeistert von der Qualität der Austern in Hamburg sowie von der Verlässlichkeit und Großzügigkeit seines Verlegers. Vom Rheinwein leicht angetrunken, begibt er sich ins Amüsierviertel. Er trifft eine Prostituierte, die er von früher kennt. Sie sei als Hammonia zur »Schutzgöttin« Hamburgs aufgestiegen. Der Reisende folgt ihr in ihre Kammer.

Caput XXIV

In ihrer Kammer gesteht Hammonia dem Erzähler ihre Zuneigung. Diese gründe sich auf dessen Schriften. Ihre Frage, was den Dichter im Winter nach Hamburg getrieben habe, beantwortet er mit seinem Heimweh und seiner Vaterlandsliebe. Beides erklärt er zu einer Krankheit, von der er bald gesunden werde.

Caput XXV

Hammonia sorgt sich um den Exil-Dichter im sittenlosen Frankreich. Sie versucht, ihn zum Bleiben zu bewegen. Es gebe Fortschritte in Deutschland; Zensur und geistige Unterdrückung seien weniger streng als früher. Sie bietet ihrem Besucher einen Blick in das zukünftige Deutschland an. Allerdings muss er geloben, über die Visionen absolutes Stillschweigen zu bewahren.

Caput XXVI

Kurz vor seinem Tod 814 habe Karl der Große Hamburg gegründet. Sein Nachtstuhl stehe in einer Ecke der Kammer; der Erzähler hebt den Deckel und schaut hinein. Er schweigt über das, was er sieht; allein von dem Gestank der Zukunft wird er jedoch ohnmächtig. Dennoch versucht Hammonia, den Dichter zu überreden, bei ihr in Deutschland zu bleiben. Die Verhältnisse werden sich wahrscheinlich nicht ändern, doch man könne darauf achten, den Deckel geschlossen zu halten.

Caput XXVII

Der Erzähler hofft auf künftige Generationen, die in geistiger Freiheit aufwachsen werden. Er schlägt einen Bogen zu Aristophanes. Auch der antike Dichter sei zu seiner Zeit angefeindet worden; heute werde er verehrt. Würde er jedoch jetzt leben, wäre er ebenso der Zensur unterworfen wie er selbst. Am Ende warnt er seinen König vor den lebenden Dichtern, deren Waffen Worte und Verse sind.

Nachtrag

Der Nachtrag enthält den Abschied von Paris zu Beginn der Reise. Der Erzähler schildert sein Heimweh nach dem erdverbundenen Deutschland als Krankheit. Er rechnet mit baldiger Gesundung und Rückkehr in das heitere und leichtlebige Exil.

Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Deutschland zwischen 1815 und 1848

Die Hoffnung auf Liberalisierung, mit der die Freiheitskämpfer gegen Napoleon in den Krieg gezogen waren, wurde nach dem Wiener Kongress 1815 enttäuscht. Restaurative Kräfte im Deutschen Bund hielten an ihrer Macht und überkommenen feudalen Ordnungen fest. Dank der von England ausgehenden Industrialisierung boomte die Wirtschaft, dennoch war die Lebenssituation der breiten Masse erbärmlich. Hauptgrund war der dramatische Zuwachs an Bevölkerung: Zwischen 1816 und 1855 stieg die Einwohnerzahl Preußens von zehn auf siebzehn Millionen an. Dies ging einher mit Nahrungs- und Wohnungsmangel sowie hoher Kindersterblichkeit. Zunehmende Verelendung machte die Masse der Menschen empfänglich für die Ideen der französischen Revolution.

1814/1815

Nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon erhält Preußen Teile von Sachsen, dazu Westfalen und die Rheinprovinz; Gründung einer »Heiligen Allianz« zwischen Russland, Österreich und Preußen gegen Liberalismus und Demokratiebestrebungen

1817

Erstes Wartburgfest der deutschen Burschenschafter, die sich gegen restaurative Kräfte in Deutschland wenden

1819

Friedrich Wilhelms III. Verfassungsversprechen wird nicht eingelöst; »Karlsbader Beschlüsse« führen zur Einstellung aller Reformen in Preußen: Verbot der Burschenschaften, Einführung von Zensur und Demagogenverfolgung (gerichtet gegen die bürgerlich-patriotische, antifeudale Opposition)

1830

Julirevolution in Paris; Louis Philippe von Orléans wird »Bürgerkönig«; in einigen Teilen Europas kommt es in der Folge ebenfalls zu Unruhen; »Junges Deutschland« entsteht: eine literarische Bewegung junger, liberal gesinnter Dichter in der Zeit des Vormärz

1832

Hambacher Fest; eine bürgerliche Opposition wendet sich gegen restaurative Kräfte in Preußen; Verschärfung der Demagogenverfolgung

1833

Studenten scheitern mit dem Sturm auf die Frankfurter Hauptwache als Beginn einer bürgerlichen Revolution

1834

Gründung des (von Preußen dominierten) deutschen Zollvereins, um trotz der Zweiteilung des Staatsgebiets eine wirtschaftliche Einigung zu erreichen

1835

Verbot des »Jungen Deutschland« durch den Deutschen Bundestag

1840

Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV.; anfänglich Zugeständnisse an Liberale, dabei Festhalten an einer von »Gottesgnadentum« geprägten Monarchie

1840/1841

»Rheinkrise«: Konflikt zwischen dem Deutschen Bund und dem Königreich Frankreich, das Anspruch auf linksrheinisches Gebiet und den Rhein als Ostgrenze erhebt

1844

Hungeraufstand der Weber in Schlesien; blutige Niederschlagung durch das preußische Militär

1848

Im Februar Revolution in Paris: Frankreich wird Republik; im März Revolutionen in Wien, Berlin und München

Der Titel des Gedichts

  • Der Titel »Deutschland. Ein Wintermärchen« klingt zunächst wie eine Ergänzung zu Heines 1841 entstandenem Versepos »Atta Troll. Ein Sommernachtstraum«. Deutlich wird daran jedenfalls die Bedeutung von William Shakespeare für Heines Werk.
  • Der Winter als düstere und trübe Jahreszeit kann als Metapher für den geistigen Zustand Deutschlands gelesen werden: kalt, erstarrt und unwirtlich.
  • Auch lässt sich dem Titel ein Hinweis auf die Zugehörigkeit des Werks zur Exilliteratur entnehmen. In Arbeiten späterer Exildichter wird das von Gewalt und Unterdrückung beherrschte Vaterland als Ort eines andauernden Winters bezeichnet, während das Gastland als winterlos geschildert wird.
  • Wie das ganze Werk, so hat schon ironisch-satirischen Charakter: Der Begriff »Märchen« wurde von der Romantik geprägt, der literarischen Hauptströmung jener Zeit. Heine stand der romantischen Dichtung aber äußerst kritisch gegenüber; er beklagte ihre Hinwendung zum Inneren, ihre Falschheit und ihre Ignoranz gegenüber der politischen und sozialen Wirklichkeit.
  • In einem Märchen durchdringen sich Wirklichkeit und magische Welt. Auch Heines Schilderungen erscheinen an vielen Stellen übertrieben und zu überzogen, um wahr zu sein. Tatsächlich entsprechen sie aber der Realität. Der Titel enthält also einen deutlichen Hinweis auf die Doppelbödigkeit von Heines Ironie.
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