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Der Sandmann

Erster Hauptteil

Zusammenfassung

Die Erzählung beginnt mit einem Brief Nathanaels an seinen Ziehbruder Lothar. Nathanael entschuldigt sich bei Lothar dafür, dass er ihm so lange nicht geschrieben hat. Er sei unfähig gewesen, ihm zu schreiben, weil seine Gedanken von einem unheimlichen Ereignis eingenommen wurden, von dem er nun erzählen will. Er erklärt, dass ihn vor einigen Tagen ein Wetterglashändler besuchte, der ihm seine Ware anbot, den er aber sofort (und sehr aggressiv) wieder hinauswarf. Um seine Feindseligkeit dem Wetterglashändler gegenüber und die Bedeutsamkeit dieses Vorfalls zu erklären, erzählt Nathanael von einem traumatischen Ereignis aus seiner Kindheit.

Er und seine Geschwister sahen ihren Vater fast nur zu Mahlzeiten. Nach dem Abendessen war er normalerweise fröhlich und erzählte den Kindern Geschichten. An manchen Abenden jedoch wirkten beide Eltern betrübt und sobald die Uhr neun schlug, beeilte sich die Mutter, die Kinder ins Bett zu scheuchen, woraufhin Nathanael immer schwere Schritte auf der Treppe hörte, also musste der Sandmann wirklich auf dem Weg zu ihnen in die Wohnung sein. Als er seine Mutter eines Tages fragte, wer der Sandmann sei, wie er aussehe und was er von seinem Vater wolle, erwiderte sie ihm, dass es keinen Sandmann gäbe.

Die Amme seiner Schwester erzählte ihm jedoch, der Sandmann bestrafe unartige Kinder, die nicht schlafen gehen wollen, indem er ihnen die Augen stehle und an Raubvögel verfüttere. Das steigerte die Angst Nathanaels vor dem Sandmann ins Unermessliche. Und nachdem er jahrelang den Sandmann in der Wohnung ein- und ausgehen hörte, wuchs schließlich seine Neugier, und er beschloss, diesen mit eigenen Augen zu sehen.

Im Alter von zehn Jahren versteckte er sich daher eines Abends im Zimmer seines Vaters, wo dieser immer den Sandmann empfing, und wartete auf sein Erscheinen. So fand er heraus, dass es sich bei dem Sandmann um den Advokat Coppelius handelte. Diesen beschreibt er als hässliche, unheimliche Gestalt. Dieser aß öfter mit der Familie zu Mittag, war aber der ganzen Familie, besonders den Kindern, zuwider. Zudem war er sadistisch, denn er quälte gerne die Kinder, indem er mit seinen dicken, haarigen Fingern ihre Süßigkeiten berührte, die dadurch für sie ungenießbar wurden, da sie sich vor seinen Händen ekelten, was ihm wohl bewusst war.

Nathanael beobachtete, wie sein Vater und Coppelius an einen versteckten Herd traten und sich daran zu schaffen machten. In den aufsteigenden Dämpfen schien der Vater plötzlich Coppelius zu gleichen und Nathanael glaubte zudem, Gesichter ohne Augen in den Schwaden zu sehen. Auf einmal rief Coppelius »Augen her, Augen her!« (Hoffmann 11), was Nathanael so sehr in Panik versetzte, dass er aus seinem Versteck stürzte. Daraufhin berichtet Nathanael, Coppelius habe versucht, ihm die Augen zu rauben und heiße Kohlen hinein zu streuen. Aber sein Vater flehte Coppelius an, ihm die Augen zu lassen, woraufhin Coppelius Nathanaels Hände und Füße abgeschraubt und an verschiedenen Stellen wieder angeschraubt habe. Daraufhin fiel Nathanael in Ohnmacht und erwachte erst nach Wochen im Fieber.

Nach diesem Ereignis kam Coppelius ein Jahr lang nicht mehr zu seinem Vater. Als er schließlich doch zurückkehrte, versprach der Vater der Mutter, dass dies das letzte Mal sein würde. Mitten in der Nacht wurde die Familie von einem lauten Knall geweckt, woraufhin Nathanael Coppelius flüchten hörte. Aus dem Zimmer quoll Dampf und der Vater lag tot am Boden. Nathanael war überzeugt, dass Coppelius ihn erschlagen hat. Coppelius verschwand jedoch aus der Stadt und entzog sich so dem Gerichtsverfahren.
Nathanael ist überzeugt, Coppelius in dem Wetterglashändler, der ihn besucht hat, wiedererkannt zu haben. Dieser nenne sich jetzt Giuseppe Coppola. Nathanael ist wütend und will den Tod seines Vaters rächen.

Auf den Brief Nathanaels an Lothar folgt ein Brief von Clara an Nathanael. Diese erklärt, er habe den Brief statt an Lothar versehentlich an sie adressiert und sie habe ihn gelesen.
Sie zeigt zunächst Mitgefühl, da die Schilderungen auch sie so erschüttert haben, dass sie in ihren Träumen von Schreckensbildern und Coppelius verfolgt wurde. Nun aber sei sie wieder guter Dinge, da sie sich erklären kann, wie diese Ängste in Nathanael entstanden sind. So erklärt sie ihm, dass dies alles nur in seinem Kopf sei und nur wenig mit der Realität zu tun habe. Aufgrund seiner Abneigung und seinem Ekel vor Coppelius habe er diesen nur zu natürlich mit dem Sandmann verknüpft, da dieser wie die Schauergestalt gerne Kinder quält.

Zudem seien die nächtlichen Besuche Coppelius bei Nathanaels Vater und die seltsamen Dämpfe und Geräusche damit zu erklären, dass die beiden vermutlich alchemistische Versuche durchführten, um zu versuchen, künstlich Gold herzustellen. Demnach sei sein Vater vermutlich durch eigene Unvorsichtigkeit, die zu einer Explosion geführt habe, bei einem solchen Experiment umgekommen, was nicht Coppelius Schuld sei.

Auch erklärt sie, es gebe keine dunkle Macht, die ihn von außen gegen seinen Willen steuere, sondern auch das entspringe seinem eigenen Unterbewusstsein und Coppelius und Coppola seien lediglich die Gestalten, in denen sich diese Macht in seiner Vorstellung manifestiere. Er müsse lediglich erkennen, dass sie in Wirklichkeit keinerlei Macht über ihn haben.

Nathanael schreibt einen weiteren Brief an Lothar, in dem er sich darüber ärgert, dass Clara den für Lothar bestimmten Brief gelesen hat. Er ärgert sich zudem über ihre Erklärungen, Coppelius und Coppola würden nur in seinem Kopf existierten. Außerdem stört ihn, dass Lothar Clara in wissenschaftlicher Logik zu unterrichten scheint, was für ihn die einzige Erklärung dafür ist, dass diese seine Kindheitserinnerungen, Ängste und Gefühle so rational analysieren konnte. Er weist Lothar mit Nachdruck an, dies zu unterlassen.

Er gibt zu, dass Coppola und Coppelius doch nicht ein und dieselbe Person sein könnten, da Coppelius Deutscher, Coppola aber Italiener sei. Letzteres habe ihm sein neuer Physikprofessor namens Spalanzani bestätigt. Dieser sei ebenfalls Italiener und kenne Coppola schon seit vielen Jahren. Nathanael gibt jedoch zu, trotzdem noch ein unruhiges Gefühl in Bezug auf Coppelius zu haben.

Plötzlich das Thema wechselnd, berichtet Nathanael, er habe in seinem Wohnhaus zufällig einen Blick in einen sonst verschlossenen Raum werfen können. Dort habe er eine wunderschöne Frau sitzen sehen, deren Augen jedoch keine Sehkraft zu besitzen schienen. Dies sei ihm sehr unheimlich gewesen und er habe sich schnell entfernt. Die schöne Frau namens Olimpia sei wohl die Tochter des Professors Spalanzani, die dieser vor der Gesellschaft versteckt. Nathanael vermutet, sie sei vielleicht geistig zurückgeblieben.

Schließlich teilt er Lothar noch mit, dass er in zwei Wochen nach Hause kommen werde, und dass die Freude, Clara wiederzusehen, seinen Ärger über ihren Brief gewiss verfliegen lassen werde. Nach den drei Briefen wendet sich plötzlich ein Erzähler an den Leser, der sich als Freund Nathanaels vorstellt. Er rechtfertigt Nathanaels irrationales Verhalten, indem er aussagt, der Leser habe doch bestimmt auch schon einmal etwas erlebt, das seine Fantasie beflügelt und ihn ganz in seinen Bann geschlagen habe. Er erklärt weiterhin, dass es ihm schwergefallen sei, einen würdigen Anfang für die Erzählung zu finden und sich schließlich für die drei Briefe entschied, die den Leser über die Hintergründe der Geschichte aufklären sollen. Er ergänzt zudem noch, dass Lothar und Clara Nathanaels Ziehgeschwister seien und dass Nathanael und Clara verlobt seien.

Nun fährt der Erzähler mit einer Beschreibung Claras fort. Sie sei zwar keine Schönheit, habe aber durchaus körperliche Eigenschaften, die von Künstlern verschiedener Disziplinen wertgeschätzt würden. So zum Beispiel ihre Figur, Augen und Haare. Sie sei außerdem fantasievoll, unbekümmert, kindlich, von zartem Gemüt und sehr intelligent, aber schweigsam, viele hielten sie allerdings für »kalt, gefühllos, prosaisch« (Hoffmann 23). Der Erzähler betont jedoch, wie sehr Clara und Nathanael sich lieben und wie sehr sie sich freuen, sich nun endlich wiederzusehen. So sehr, dass Nathanael tatsächlich seinen Ärger über Claras Brief und seine Angst vor Coppelius zunächst vergisst.

Trotzdem verfällt er kurz darauf in eine düstere Stimmung, da ihm sein Leben unwirklich vorkommt. Er spricht erneut von dunklen Mächten, die das Leben der Menschen kontrollieren und gegen die man sich nicht wehren könne. Clara kann damit nichts anfangen und ist gelangweilt von seinen Ausführungen. Sie versucht immer wieder, ihm zu erklären, dass er selbst Coppelius die Macht gebe, über ihn zu bestimmen, indem er daran glaube. Wenn er aufhöre, an ihn zu denken, werde er wieder frei sein. Nathanael fühlt sich von Clara nicht verstanden und gibt die Schuld dafür ihrem »kalten, unempfänglichen Gemüt« (Hoffmann 25).

Dennoch versucht er, sie für die Mystik zu begeistern, ist aber tödlich beleidigt, wenn sie ihm nicht ihre volle Aufmerksamkeit schenkt. Die Gedichte, die er nun schreibt, sind im Gegensatz zu seinen früheren, die Clara immer gern hörte, düster, wirr und langweilig. Nathanael befürchtet, Coppelius werde sein und Claras Liebesglück zerstören und bringt dies in einem Gedicht zum Ausdruck, in dem dieser bei ihrer Hochzeit erscheint und Claras Augen berührt, die daraufhin »wie blutige Funken« (Hoffmann 26) in seine Brust springen. Dann wirft Coppelius Nathanael in einen sich drehenden, tosenden Feuerkreis. Jedoch hört Nathanael Claras Stimme, die ihm versichert, es seien nicht ihre Augen gewesen, sondern sein eigenes Herzblut. Doch als der Feuerkreis verschwindet, sieht der Tod ihn mit Claras Augen an.

Als Nathanael Clara das Gedicht vorträgt, ist sie entsetzt, wie düster und abstrakt es ist. Sie tröstet ihn und bittet ihn, es zu verbrennen. Er ist empört und beschimpft sie als lebloses, verdammtes Automat. Dies trifft Clara zutiefst und als sie Lothar davon erzählt, konfrontiert dieser Nathanael und sie streiten sich so heftig, dass sie beschließen, sich am nächsten Morgen zu duellieren. Clara verhindert das Duell jedoch im letzten Moment, indem sie die beiden anfleht, nicht zu kämpfen, da sie beide aus ganzem Herzen liebe und nicht weiterleben könne, wenn einer den anderen töte. In Nathanael flammt hierdurch die alte Liebe zu Clara wieder auf und alle drei versöhnen sich. Nathanael fühlt sich von der dunklen Macht befreit, die ihn im Griff zu haben schien. Nach drei glücklichen Tagen bei seiner Familie kehrt er frohen Mutes an seinen Studienort zurück.

Analyse

Aus den Erzählungen Nathanaels lässt sich schließen, dass er in einer bürgerlichen Familie aufgewachsen ist und sein Vater wahrscheinlich Beamter war. Da Nathanael bereits in seiner Kindheit sehr fantasievoll und fasziniert von dem Fantastischen und Schaurigen war, ist es kein Wunder, dass die schaurige Version des Märchens vom Sandmann, die ihm die Amme erzählt, ihn zutiefst verstört. Diese panische Angst gräbt sich in sein Unterbewusstsein und bleibt ein Leben lang erhalten. Verschlimmert wird die Angst durch die Ungewissheit darüber, was der böse Sandmann von seinem Vater will, den er nachts besucht. Nathanael versucht, seine Ängste vor dem Sandmann durch Zeichnungen zu verarbeiten. Als er den nächtlichen Besucher endlich zu Gesicht bekommt, stellt er fest, dass es sich um Coppelius handelt. Anstatt erleichtert zu sein, dass es sich doch nur um einen Menschen handelt, setzt Nathanael den Sandmann mit Coppelius gleich und seine Angst verstärkt sich noch weiter.

Coppelius Äußeres erinnert nach Nathanaels Beschreibung an den Teufel. Dies deutet an, dass der Vater einen Bund mit dem Teufel eingegangen ist und dafür mit dem Leben bezahlt hat. Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Vater und Coppelius ist erkennbar, auch wenn nicht erklärt wird, wie dieses zustande kam. Der Vater ist Coppelius gegenüber sehr unterwürfig und lässt sich alles von ihm gefallen. Sogar, dass dieser seine Kinder als »kleine Bestien« bezeichnet. Er erfüllt also in Coppelius Anwesenheit seine Rolle als Familienoberhaupt nicht.

Dass der Vater während des Experiments plötzlich Coppelius ähnlichsieht, ist damit zu erklären, dass Nathanael von klein auf Fantasie und Realität miteinander vermischt und dadurch seine moralische Wertung auf seine visuelle Wahrnehmung übertragen wird. Auch die augenlosen Gesichter, die er zu sehen glaubt, entstammen seiner Fantasie.

Coppelius Ausruf »Augen her, Augen her« (Hoffmann 11) löst Panik in Nathanael aus, da er glaubt, Coppelius sei der Sandmann und verfüttere wirklich Kinderaugen an Raubvögel. Infolgedessen stürzt er aus seinem Versteck und wird entdeckt. Wenn schon die bisherigen Erzählungen aus dieser Nacht seltsam erscheinen, kann die folgende Schilderung nur noch als Wahnvorstellung des jungen Nathanael abgetan werden. Dass Coppelius ihm angeblich Hände und Füße abgeschraubt und an verschiedenen Stellen wieder angeschraubt haben soll, muss einfach der Fantasie des Jungen entsprungen sein. Trotzdem entsteht aus diesem Erlebnis in Verbindung mit dem Tod seines Vaters ein Trauma, das bis ins Erwachsenenalter fortbesteht und Nathanael fest im Griff hat.

Die Begegnung mit Coppola, in dem er Coppelius wiederzuerkennen glaubt, hat Nathanael so sehr verstört, dass er seinem Ziehbruder davon berichten und von seinem Kindheitstrauma erzählen muss. Dies zeigt, wie tief die Angst in ihm verwurzelt ist.

Der Erzähler lässt Nathanaels Brief an Lothar unkommentiert, obwohl der Leser sich nach einer Erklärung sehnt. Stattdessen folgt sofort die Antwort Claras, die den Brief gelesen hat.

Sie hat Mitleid für ihren Verlobten und ist über seine Schilderungen erschrocken. Dann kommt jedoch ihr vernünftiges und analytisches Wesen zum Vorschein und sie erklärt Nathanael einleuchtend, wie seine Erlebnisse zu deuten sind. Sie versucht, ihren Geliebten zu beruhigen, indem sie seine Kindheitserfahrungen rationalisiert. Dabei erweist sie sich als sehr intelligent und beweist ein Verständnis für Psychologie.

Ihrer Meinung nach sind alle seine Erfahrungen rational erklärbar und der Sandmann und seine Ängste entspringen nur seiner Fantasie. Clara glaubt, das reiche, um Nathanaels Ängste, die ihn seit der frühen Kindheit verfolgen, schnell beseitigen zu können. Sie meint, dass Nathanael nun wieder beruhigt und fröhlich sein könne. Sie ist immer auf der Suche nach einer heilen Welt und einem ungestörten Familienleben und beweist damit eine gewisse Naivität, denn sie unterschätzt das Ausmaß seines Traumas und nimmt seine Ängste nicht ernst genug.

Statt sich durch Claras Erklärungen beruhigen zu lassen, fühlt Nathanael sich von ihr nicht ernst genommen und ist deshalb beleidigt. Ihre Erklärung ist ihm zu banal und nüchtern. Er glaubt an übernatürliche Mächte und es passt ihm nicht, dass sie diese als Erklärung für seine Erlebnisse vollständig ausschließt.

Es wird zudem deutlich, dass er sie als ihm unterlegen ansieht und nicht an ihrer Meinung interessiert ist. Er wünscht nicht, dass sie eine höhere Bildung von Lothar erhält und untersagt es ihm, sie weiter zu unterrichten. Hier kommen seine Frauenfeindlichkeit und sein verletzter Stolz zum Ausdruck.

Dass Nathanael sich bei Lothar beschwert, anstatt sich an Clara persönlich zu wenden, sowie dass er ihre Bildung unterbinden will, zeugt von Problemen in ihrer Beziehung, wie etwa mangelnde Kommunikation und sein Desinteresse an ihrer Meinung, wenn sie ihm nicht bedingungslos zustimmt.

Als er Olimpia beschreibt, ist ihre scheinbar nicht vorhandene Sehkraft ein Hinweis darauf, dass sie kein lebendiges Wesen ist, da ja bekanntlich die Augen das Fenster zur Seele sind. Der Erzähler erwähnt, dass Clara zwar nicht schön sei, beschreibt sie aber doch sehr schwärmerisch. Er stellt sie also durchaus als begehrenswert und sympathisch dar. Auch ihre Beziehung zu Nathanael beschreibt er als sehr liebevoll und unschuldig.

Dann jedoch legt sich ein Schatten über ihre Liebe, als Nathanael beginnt, immer wieder von dunklen Mächten zu reden, die ihn beherrschen. Die Textstelle »das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden« (Hoffmann 24) verdeutlicht, dass Nathanael in seiner eigenen Fantasie versinkt und seinen Bezug zur Realität und seine Autonomie verliert.

Zudem zeigt sich auch hier, dass Nathanael Clara als ihm unterlegen ansieht, da sie seiner Meinung nach die Dinge nur oberflächlich (logisch) betrachtet und sich ihr die Mystik nicht erschließt. Sie entfernen sich immer weiter voneinander, da Clara von seinen Ausführungen über dunkle Mächte und mystischen Gedichten gelangweilt ist. Außerdem ist sie verärgert, weil Nathanael sich nicht von ihrer Logik überzeugen lässt, die ihm helfen könnte, seine geistige Gesundheit zu retten. Er dagegen fühlt sich von ihr nicht verstanden und nicht ernst genommen und ihre Unempfänglichkeit für das Übernatürliche verärgert ihn.

Sein Gedicht ist ein letzter Versuch, ihr seine Befürchtungen verständlich zu machen. Darin werden heftige körperliche Empfindungen beschrieben: Feuerkreis, Meer und Sturm drücken seine enorme innere Unruhe aus. Der Feuerkreis symbolisiert zudem den Wahnsinn, dem er nicht entkommen kann. Das Gedicht verdeutlicht Nathanaels Überzeugung, dass Coppelius ihn verfolgt und ihn nicht glücklich sein lassen wird. Er wird ihm Clara und alles, was ihm wichtig ist, nehmen und ihn seiner Selbstbestimmung berauben (im Feuerkreis gefangen halten). Nathanael sieht sogar seinen eigenen Tod voraus (»es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut«, Hoffmann 27), was auf das Ende der Erzählung hindeutet.

Als Clara jedoch nicht mit seinem Gefühlsausbruch umgehen kann und ihn bittet, das Gedicht zu verbrennen, fühlt er sich von ihr abgelehnt und wirft ihr genau das vor, was auch die Gesellschaft in ihr sieht: Gefühllosigkeit und Kälte. Er beschimpft sie als Automat, was ironisch ist, da er sich später in den Automat Olimpia verliebt.

Dass Lothar und Nathanael sich infolge des Streits duellieren wollen und bereit sind, auf Leben und Tod zu kämpfen, zeigt, wie sehr sich Nathanael mittlerweile von seiner geliebten Familie entfernt hat und wie ernst es um seine geistige Gesundheit steht. Durch Claras Flehen, nicht zu kämpfen, scheint sich Nathanaels Geisteszustand jedoch zu stabilisieren und die Angst vor der dunklen Macht, die ihn beherrscht, fällt von ihm ab.

Veröffentlicht am 12. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 4. April 2023.