Uwe Johnson schrieb 1953 im Alter von 19 Jahren seinen Roman »Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953«. Er wurde 1985 posthum veröffentlicht. Angesiedelt ist das Werk in einer mecklenburgischen Kleinstadt während der stalinistischen Ära der DDR. Protagonisten sind die Abiturienten Ingrid, Klaus und Jürgen. Das Engagement ihrer Mitschülerin Elisabeth in einer christlichen Jugendgruppe fordert die drei zur Stellungnahme heraus. Dies hat weitreichende Konsequenzen für ihre Zukunft. Ingrid und Klaus fliehen schließlich in den Westen.
Der Roman besteht aus vier Hauptkapiteln, die die Situation vor der Flucht beschreiben und vier Tagen im Leben der Schüler entsprechen. Jedem Kapitel ist ein kürzerer, kursiv gedruckter Abschnitt mit Szenen der Flucht vorangestellt.
Hauptkapitel I (Unterkapitel 1 – 15)
1953: In einer mecklenburgischen Kleinstadt bereiten sich die Freunde Ingrid Babendererde, Klaus Niebuhr und Jürgen Petersen auf das Abitur vor. Ingrid und Klaus sind ein Liebespaar. Jürgen ist heimlich in Ingrid verliebt und leidet darunter. Zugleich fühlt er sich ihr und Klaus in tiefer Freundschaft verbunden. Die drei verbringen viel Zeit miteinander, machen Segeltouren und lernen gemeinsam für die bevorstehenden Prüfungen.
Der Unterricht in der Klasse 12 A der Gustav-Adolf-Oberschule ist von der marxistischen Wirtschafts- und Gesellschaftslehre und vom sozialistischen Geschichtsbild geprägt. Ingrid und Klaus begegnen den linientreuen Lehrern mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und verhaltener Ironie. Jürgen ist überzeugter Sozialist, lehnt aber die Methoden ab, mit denen Schule und Staat kritische Jugendliche mundtot machen wollen.
Einige Schüler sind in der »Jungen Gemeinde« aktiv. Die christliche Jugendgruppierung wird von der Partei bekämpft; ihre Anhänger müssen sich in den FDJ-Versammlungen rechtfertigen. Bei einer dieser Versammlungen wirft die Schülerin Elisabeth Rehfelde dem FDJ-Leiter Dieter Seevken ihr Mitgliedsbuch vor die Füße. Sie soll daraufhin einen Schulverweis erhalten.
Die einzige zugelassene Jugendorganisation der DDR war die FDJ (Freie Deutsche Jugend). Sie sollte junge Menschen im Sinne der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) erziehen und formen.
»Junge Gemeinde« ist bis heute eine Form evangelischer Jugendarbeit in Ostdeutschland. In der DDR war sie geprägt von den Repressionen des Staates in den 1950er Jahren. Da kirchliche Räume als einzige dem staatlichen Einfluss weitgehend entzogen waren, wurden »Junge Gemeinden« häufig zu Treffpunkten oppositioneller junger Menschen. Ihr Abzeichen, das Kugelkreuz, durfte in der Öffentlichkeit nicht getragen werden.
Hauptkapitel II (Unterkapitel 16 – 28)
Englischlehrer Sedenbohm fordert Klaus auf, über das Verhältnis von Aristokratie und Bürgertum im elisabethanischen Zeitalter zu sprechen. Klaus nutzt diese Gelegenheit, um ironisch und zwischen den Zeilen aus einer Rechtfertigung Queen Elizabeths eine Rechtfertigung der Mitschülerin Elisabeth zu machen.
Nachmittags treffen sich Ingrid, Klaus und Jürgen zum Lernen und sprechen über Elisabeths Schulverweis. Sie sind empört über die geplante Sanktion und fühlen sich zum Handeln aufgefordert. Jürgen erinnert daran, dass sich bisher keiner von ihnen für die »Junge Gemeinde« interessiert habe. Er selbst nehme sie nicht ernst. Niemand solle aber aufgrund seines Glaubens bestraft werden.
Am Abend versucht Jürgen in einer FDJ-Sitzung, Elisabeth zu helfen. Nachdem er ihr schon vormittags in der Schule ihr Mitgliedsbuch zurückgegeben hat, weist er gegenüber der FDJ darauf hin, dass sie provoziert worden sei. Man habe behauptet, die »Junge Gemeinde« sei eine vom Westen unterlaufene Spionagegruppe. Allein dies habe Elisabeth zu ihrer heftigen Reaktion veranlasst. Wegen seiner »eigenmächtigen« Rückgabe des Mitgliedsbuches wird Jürgen von der FDJ-Führung ermahnt.
Hauptkapitel III (Unterkapitel 29 – 48)
Direktor Siebmann, ein linientreuer Funktionär, beruft eine Schülerversammlung ein. Er hält eine Schmährede gegen die »Junge Gemeinde«. Von Ingrid verlangt er, sich vor den Schülern ebenfalls über diese Gruppierung zu äußern.
Ohne ausdrücklich auf Elisabeths Fall einzugehen, spricht sich Ingrid in ihrer Rede für die Persönlichkeitsrechte der Schüler aus. Als Aufhänger dient ihr die westlich-modische Hose ihrer Mitschülerin Eva, die vor Kurzem für Ärger gesorgt hat. Jeder solle das anziehen können, was er wolle, die Abzeichen tragen und die Bücher lesen dürfen, die ihm wichtig seien. Ingrid erntet für ihre offenen Worte Applaus von der versammelten Schülerschaft.
Hauptkapitel IV (Unterkapitel 49 – 61)
Dennoch stimmt in einer späteren Abstimmung eine Mehrheit der Schüler für ihren Ausschluss vom Abitur. Ingrid und Klaus beschließen daraufhin, nach West-Berlin zu fliehen. Unterstützt von Jürgen, der in der DDR bleibt, gelingt ihnen mit einem Motorboot die Flucht in eine ungewisse Zukunft. Auch Elisabeth, die trotz aller Rehabilitationsversuche nicht wieder an die Schule zurückkehren darf, flieht in den Westen. Jürgen will weiterhin innerhalb des Systems für demokratische Strukturen kämpfen.
Johnsons Versuch, seinen Roman in einem DDR-Verlag unterzubringen, musste zwangsläufig scheitern. Doch auch westdeutsche Verlage lehnten das Manuskript in den 1950er Jahren ab. Peter Suhrkamp wollte den Roman veröffentlichten, stieß aber auf den Widerstand Siegfried Unselds, der zweiten gewichtigen Stimme im Suhrkamp Verlag. Das Buch erschien erst 1985, zwei Jahre nach Johnsons Tod, bei Suhrkamp. Unseld selbst spricht in seinem Nachwort souverän und selbstkritisch über seine damaligen Bedenken. »Außerliterarische Kriterien« und die »Fremde des Milieus« hätten ihm damals »den Zugang zum Text versperrt«.