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Mario und der Zauberer

Autor
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1930

Über das Werk

»Mario und der Zauberer« ist eine 1930 veröffentlichte Novelle von Thomas Mann. Sie handelt von einer Familie, die für ihren Urlaub in den italienischen Küstenort Torre di Venere fährt und dort mit der Fremdenfeindlichkeit der einheimischen Touristen konfrontiert wird. Den letzten Abend ihres Urlaubs verbringt die Familie damit, die Darbietung eines Zauberkünstlers namens Cipolla anzusehen, der seine Zuschauer hypnotisiert, sie ihres Willens beraubt und stattdessen seine eigenen Befehle ausführen lässt. Ein Zuschauer, Mario, schafft es, sich rechtzeitig von seiner Hypnose zu erholen, und erschießt Cipolla. 

Gattungstechnisch entspricht der Text mit seiner »unerhörten Begebenheit« und dem geradlinigen Aufbau einer Novelle. Eine Unterteilung in Kapitel oder andere Abschnitte gibt es nicht, die Geschichte wird in einem Fluss erzählt. Der erste Teil der Novelle handelt von den Erlebnissen am Ferienort, der zweite beschreibt die Zaubershow Cipollas. Während die Zeit am Ferienort eher grob skizziert und anekdotenhaft erzählt wird, wird die Zaubershow detailliert und gewissenhaft wiedergegeben. Auffällig ist außerdem, wie spät die beiden Titelfiguren auftreten. Cipolla taucht erst nach fast der Hälfte der Geschichte auf und Mario in der letzten Szene. Damit wird die Spannung in der Novelle deutlich verstärkt, da der Leser konstant auf das Erscheinen der Titelfiguren wartet. 

Die Novelle wird in der dritten Person aus der Perspektive des Vaters der Familie erzählt, über den man allerdings nicht viel Persönliches erfährt. Er schreibt in einem für Thomas Mann sehr typischen Stil: gehoben, elegant und differenziert. Der Erzähler erinnert sich an seinen nun schon länger zurückliegenden Urlaub in Torre und die katastrophalen Ereignisse, die sich dort abgespielt haben. Durch das Aufschreiben seiner Erinnerungen versucht er, Ordnung in seine Gedanken zu bringen und sprachliche Kontrolle über das Geschehene zu erlangen. Das will ihm jedoch nicht ganz gelingen, und teilweise wirkt sein übertrieben intellektueller Stil eher lächerlich als beeindruckend.

Besonders auffällig ist, an wie vielen Stellen der Erzähler Anspielungen auf den düsteren Ausgang seiner Geschichte einstreut. Diese Anspielungen beginnen bereits auf der ersten Seite der Novelle, auf welcher er das »eigentümlich Bösartige« Cipollas hervorhebt. Diese Anspielungen setzen sich fort und sind häufig verbunden mit Bekundungen der Reue, den Urlaub nicht vorzeitig abgebrochen zu haben: »Wir blieben also und erlebten als schrecklichen Lohn unserer Standhaftigkeit die eindrucksvoll-unselige Erscheinung Cipollas.« (S. 16) Der Erzähler fühlt sich scheinbar schuldig: »Zu entschuldigen ist es nicht, daß wir blieben, und es zu erklären fast ebenso schwer.« (S. 54) 

In derartigen Aussagen könnte auch eine zweite Bedeutung enthalten sein, und zwar eine politische. Thomas Mann stritt die politische Ebene von »Mario und der Zauberer« zwar zunächst ab, bejahte sie einige Jahre später allerdings. Heutzutage wird die Novelle sehr häufig als Parabel auf den italienischen Faschismus gesehen. In einer solchen Interpretation wird Cipolla zur Allegorie auf einen Diktator, oder konkreter auf Benito Mussolini, der zur Zeit der Entstehung der Novelle an der Spitze eines faschistischen Regimes über Italien herrschte. In Manns Zaubererfigur lassen sich viele Attribute wiederfinden, die oft auch mit Mussolini assoziiert werden, wie beispielsweise sein Patriotismus und seine Radikalität, die auch durch Cipollas Reitpeitsche symbolisiert wird. In diesem Sinne wird Cipolla zu einem Diktator, seine Zuschauer werden zu dem Volk, das er unterwirft, und der Erzähler wird zu jemandem, der den düsteren Ausgang des Ganzen zwar vorhergesehen, es aber nicht über sich gebracht hat, etwas zu unternehmen. Das bereut er im Nachhinein. 

Es lassen sich mehrere kulturelle Einflüsse auf die Novelle feststellen. Zwei davon lohnt es sich besonders hervorzuheben: einerseits Robert Wienes expressionistischer Stummfilm »Das Cabinet des Dr. Caligari« (1919), zu dessen Protagonisten Manns Figuren erstaunliche Ähnlichkeit aufweisen; andererseits Freuds 1921 veröffentlichte Studie »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, welche einen Vergleich zwischen dem Faschismus und der Hypnose herstellt.

Veröffentlicht am 29. April 2012. Zuletzt aktualisiert am 21. August 2023.

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