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Tauben im Gras

Bei dem 1951 veröffentlichten Roman »Tauben im Gras« handelt es sich um das erste von drei zusammengehörenden Werken des deutschen Schriftstellers Wolfgang Koeppen. Zeit und Ort der Handlung werden nicht explizit genannt, es deutet aber viel auf das München zwischen den Jahren 1949 bis 1951 hin. Handelnde Personen sind im Wesentlichen der Autor Philipp und […]

Werkdaten

Titel
Tauben im Gras
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1951
Literarische Epoche oder Strömung

Inhaltsangabe

Bei dem 1951 veröffentlichten Roman »Tauben im Gras« handelt es sich um das erste von drei zusammengehörenden Werken des deutschen Schriftstellers Wolfgang Koeppen. Zeit und Ort der Handlung werden nicht explizit genannt, es deutet aber viel auf das München zwischen den Jahren 1949 bis 1951 hin. Handelnde Personen sind im Wesentlichen der Autor Philipp und dessen Frau Emilia, der ehemalige GI Odysseus Cotton, der Schauspieler Alexander, der Dichter Mr. Edwin, der einstige NS-Anhänger und jetzige Gepäckträger Josef sowie der Soldat Washington Price mit seiner Freundin Carla. Mit dem Roman wollte der Autor vor allem das Deutschland zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder beleuchten.

Das Besondere dieses Romans ist das Fehlen von Haupt- und Nebencharakteren, von Leitfigur und Gegenspieler. Auch die Handlung selbst stellt keine abgeschlossene Geschichte dar, bei der die Ereignisse von Beginn an bis zum klar definierten Ende erzählt werden. Vielmehr begegnen dem Leser in »Tauben im Gras« viele unterschiedliche Charaktere, deren Erlebnisse und Schicksale auf unterschiedlichste Art miteinander verbunden sind. Dargestellt werden die Verflechtungen in mehr als 100 kürzeren oder längeren Abschnitten.


Der Schauspieler Alexander ist im Begriff, einen neuen Film mit dem Titel »Erzherzogliebe« zu drehen. Mit seiner Frau Messalina hat Alexander eine Tochter namens Hillegonda, die von dem Kindermädchen Emmi betreut wird. In Emmis Augen ist das Mädchen ein Kind der Sünde, weshalb eine strenge Erziehung und morbide Gesprächsthemen den Alltag des Kindes bestimmen. Als Drehbuchautor wurde der Schriftsteller Philipp beauftragt, der damit aber überfordert ist, was dessen Frau Emilia wiederum sehr betrübt. Dennoch fungiert Emilia für das neue Filmprojekt als Geldgeberin, in dem sie verschiedene wertvolle Einrichtungsgegenstände und Antiquitäten veräußert.

Nur wenige Häuser vom Wohnhaus von Philipp und Emilia entfernt treffen sich amerikanische GIs in einem Cafe namens »Schön«, ein Anlaufpunkt für vorwiegend farbige Amerikaner. Auch Odysseus Cotton sowie der Soldat Washington Price mit seiner schwangeren Freundin Carla besuchen das Cafe regelmäßig, obwohl Carlas Mutter, Frau Behrend, die Zuneigung ihrer Tochter wegen Washingtons Hautfarbe sehr missfällt. Als sich Carla wegen der öffentlichen Empörung zu einer Abtreibung entscheidet, kann Washington dies im letzten Moment noch verhindern. Unterdessen hat Carlas älterer Sohn Heinz Probleme damit, Washington zu akzeptieren. Zwar bewundert er den Sportler Washington, müsste ihn aber seiner Rasse wegen verachten.

Im Verlauf eines Baseballspiels, an dem Washington teilnimmt, werden die Schicksale der beteiligten Personen weiter miteinander verknüpft. Auch der ehemalige GI Odysseus, der Dienstmann Josef sowie der amerikanische Anwalt Gallagher mit Sohn Ezra besuchen das Spiel. Dabei begegnen sich die beiden Jungen Heinz und Ezra, während Washington – nicht zuletzt Carla zuliebe – von einem eigenen Cafe in Paris träumt.

Im weiteren Verlauf erfährt der Leser, dass sich der Schriftsteller Philipp und dessen Frau Emilia regelmäßig den Psychiater und einstigen Militärarzt Dr. Behude aufsuchen. Der ist wiederum an einem Vortrag des aus den USA stammenden Schriftstellers Edwin sehr interessiert, ebenso wie Messalina, die Frau Alexanders. Dort treffen alle mit einigen jungen Lehrerinnen zusammen, die sich auf einer Studienreise befinden. Der Vortrag selbst wird allerdings zum Desaster, weil die Technik der Lautsprecheranlage rebelliert. Die lautstarken Störungen reißen den ehemaligen Lehrer Schnakenbach aus dem Schlaf. Der gesundheitlich angeschlagene Schnakenbach war im benachbarten Amerika-Haus mit Recherchen über den medizinischen Fortschritt in den USA beschäftigt und wollte im Anschluss daran ebenfalls den Vortrag Edwins besuchen. Nachdem die technischen Probleme behoben wurden, kann Edwin seinen Vortrag vor einem nur bedingt interessierten Publikum fortsetzen. Thema sind Theorien und Interpretationen der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein, die in ihrem Werk »From Four Saints in Three Acts« (1933) die Formulierung »Tauben im Gras« (»Pigeons on the grass alas«) gebrauchte.

Schriftsteller Philipp, der mit dem Auftrag für das Filmdrehbuch immer noch überfordert ist, bekommt ein Angebot einer Tageszeitung (»Neues Blatt«), den Schriftsteller Edwin zu interviewen. Insbesondere soll die Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges besprochen werden. Allerdings bringt Philipp nicht den Mut auf, sein Gegenüber auch nur anzusprechen.

Nach weiteren Verwicklungen zetteln vom Alkohol enthemmte Gäste des Brauhauses eine Schlägerei im Cafe »Schön« an, in dem sich zu diesem Zeitpunkt auch Odysseus Cotton, Anwalt Gallagher und Washington Price befinden. Die Angreifer versuchen, Washington und Carla zu steinigen. Angeheizt von der inzwischen stark alkoholisierten Frau Behrend fällt auch Heinz der Stein-Attacke zum Opfer. Auch dem Schriftsteller Edwin ergeht es nicht viel besser; er wird von einigen Jungen vom Straßenstrich massiv verprügelt, weil die Jungen ihn für einen alten, aber wohlhabenden Freier halten.


Mit »Tauben im Gras« zeichnet der Autor Wolfgang Koeppen einen Querschnitt der gesellschaftlichen, moralischen, politischen und sogar rassistischen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland, was auch das beinahe völlige Fehlen positiver Schwerpunkte erklärt. Koeppen seziert die kleinbürgerlichen Verhältnisse ebenso wie Aussichtslosigkeit jener Jahre. Mit besonderen sprachlichen Mitteln wie beispielsweise inneren Monologen oder plastischen Vergleichen werden mögliche Gefahren benannt, verdeutlicht und bis zur Resignation verfolgt (»Der Tod treibt Manöverspiele«, »Noch rostet der Blechmund der Sirenen«). Zusammen mit der Ausweglosigkeit der Handlungsstränge wirkt der gesamte Roman auf den Leser daher eher düster und beklemmend.

Veröffentlicht am 1. Juni 2011. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autor des Werkes

Deutscher Schriftsteller
Wolfgang Koeppen wurde 1906 im pommerschen Greifswald geboren, wo er nach der Schule erste Theatererfahrungen als Volontär am Greifswalder Stadttheater sammelte und sich als Gasthörer an der Universität einschrieb. Hier besuchte er u. a. germanistische Vorlesungen. Seine anschließenden Theatereng…

Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Wolfgang Koeppen lebte von 1906 bis 1996. Sein Lebensweg war durch uneheliche Geburt und fehlende formale Bildung belastet. Er führte ihn von Greifswald und den Masuren nach München.

Er machte die Erfahrung von zwei Weltkriegen. Die unmittelbaren Nachkriegsjahre und die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland prägten seine Mannesjahre und das Alter: Währungsreform und Wirtschaftswunder, Besatzungszonen und Westintegration.

Seine Werke entstanden in drei Phasen. Zwei Romane erschienen in den dreißiger Jahren, eine Romantrilogie erschien in den fünfziger Jahren, und danach schrieb er nur noch Reiseberichte. Die Chronologie seiner Veröffentlichungen und der Wechsel des Genres führten zur Rede vom »Verstummen« des Autors.

Entstehung und Quellen

Koeppen bezieht die Themen und formalen Mittel der modernen Kunst und Literatur, wie sie sich seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in den USA und in Europa entwickelt haben, auf die Situation der jungen Bundesrepublik Deutschland. Dem angeblichen »Nullpunkt« 1945, der »Kahlschlagliteratur« seiner Kollegen (Gruppe 47) mit ihren bewusst reduzierten formalen Mitteln setzt Koeppen den Rückgriff auf Themen und Schreibweisen der literarischen Moderne zur Schilderung der Nachkriegszeit entgegen (Bewusstseins- und Großstadtroman).

Chronologie und Schauplätze

Schauplatz ist eine Stadt in der amerikanischen Besatzungszone, vermutlich München, obwohl der Name nicht genannt wird. Die erzählte Zeit beträgt 18 Stunden.

Aufbau des Romans

Der Text besteht aus 85 zumeist sehr kurzen Abschnitten, die assoziativ durch Wörter und Sachen zu Sequenzen verknüpft sind.

Personen

Die vielen Personen gewinnen allmählich an Profil und lassen sich auf Grund ihrer Eigenschaften zusammenfassen (Amerikaner und Deutsche, Farbige und Weiße, Einheimische und Fremde usw.). Alle Figuren hat der Krieg aus ihrer Lebensbahn gerissen, sind einsam und von Angst beherrscht. Ihre Schicksale sind auf vielfältige Weise miteinander verknüpft.

Stil und Sprache Koeppens

Die Elemente der Darstellung werden entkonkretisiert und mit Bedeutung aufgeladen. Wolfgang Koeppen orientiert sich bei der Darstellung am internationalen Roman und am Film. Stilistisch orientiert er sich vor allem an Alfred Döblin, James Joyce und John Dos Passos. Durch die Verwendung der Montagetechnik und die Darstellung des Bewusstseinsstroms verschafft er der deutschen Nachkriegsliteratur Anschluss an internationale literarische Standards.

Interpretationsansätze

Koeppen stellt die Situation der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1951 kritisch dar. Die Ursache für seine negative Bilanz sieht er im Fortwirken der zerstörerischen Kräfte der Vergangenheit: Zwischen Gegenwart und Vergangenheit gibt es keinen Bruch, sondern einen Kontinuitätszusammenhang. Damit ist aufs engste die Auseinandersetzung des Schriftstellers mit seiner zeitkritischen Aufgabenstellung verbunden. Zur Analyse der Zeit kommt daher die Untersuchung der Schriftstellerproblematik hinzu. Beide durchdringen sich wechselseitig.

Lektürehilfe

Königs Erläuterungen zu »Tauben im Gras«

Verlässliche Interpretationshilfe
Mit ausführlicher Inhaltsangabe, Informationen zur Textanalyse und Interpretation sowie Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen.
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