I – Ein Leben lang in Schachteln
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Joseph Davidson nimmt an der Beerdigung von Tom Leyton teil. Er gibt sich die Schuld an seinem Tod und versucht sich daran zu erinnern, wie alles begann. Die Gesichter dreier Männer schälen sich aus seinen Gedanken: das aufgebrachte und verletzte seines Vaters, das stumme und reglose von Tom Leyton und das wild gehetzte der Phantomgestalt des Running Man.
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Die Davidsons sind vor neun Jahren nach Ashgrove gezogen, wo ihre Nachbarn, die Leytons, seit über sechzig Jahren leben. Nach dem tödlichen Autounfall ihrer Eltern hatte die jetzt etwa fünfzigjährige Caroline Leyton alle eigenen Lebenspläne aufgegeben und sich mit ihrem menschenscheuen älteren Bruder Tom im Elternhaus niedergelassen. Die Leytons sind eines der Lieblingsthemen von Geraldine Mossop, die jeden Klatsch und Tratsch im Viertel verbreitet. Kaum jemand bekommt den zurückgezogen lebenden Tom je zu Gesicht und es kursieren furchtbare Gerüchte über ihn. Anfang September, drei Monate vor der Beerdigung, schlägt Caroline Joseph vor, für ein Schulprojekt im Porträtzeichnen ihren Bruder Tom als Modell zu wählen. Joseph ist verängstigt und erwägt, Carolines Bitte nicht nachzukommen.
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In der Nacht träumt Joseph vom Running Man. Joseph nennt ihn so, weil er stets wie getrieben durch die Straßen läuft. Er ist groß und mager, seine Kleidung abgetragen, und seine hervortretenden Augen haben einen gehetzten Ausdruck. Von den Leuten im Viertel wird er gemieden. Im Alter von acht Jahren war Joseph einmal mit einem Bein im matschigen Sand einer Baustelle versunken und konnte sich nicht gleich befreien. Unterdessen war der Running Man aufgetaucht und stetig näher gekommen. Dabei hatte sein wilder Blick den von Joseph gesucht. Erst im letzten Moment bekam Joseph sein Bein los und konnte fliehen. Seit jenem Tag verfolgen ihn die Albträume vom Running Man: Joseph kann nicht fliehen, der Mann kommt näher, sein Schatten fällt auf Joseph. Dieser hat schreckliche Angst, und weiß, dass er dem Traum nur entfliehen kann, indem er seinem Verfolger ins Gesicht sieht.
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Mrs Mossop warnt Josephs Mutter eindringlich vor der Gefahr, der ihr Sohn bei den Leytons ausgesetzt wäre. Joseph wird Zeuge des Gesprächs und hört, dass beide Frauen ihn ohnehin für zu ängstlich halten, das Haus von Caroline und Tom zu betreten. Daraufhin ändert er seinen in der Nacht gefassten Entschluss und will Tom porträtieren.
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Während der ersten Sitzung mit dem schweigsamen Tom Leyton ist Joseph unsicher und angespannt. Die Atmosphäre ist beklemmend, doch als sich ihre Blicke einmal begegnen, erkennt Joseph in Toms dieselbe Furcht, die er selbst empfindet. Joseph fertigt vier grobe Skizzen an. Bevor er nach Hause geht, zeigt Tom ihm einen Schuhkarton mit Eiern von Seidenraupen. Der zuvor stumme Mann bittet Joseph zögernd um eine der Skizzen.
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Die Skizzen wirken leblos, und Joseph weiß, dass er Tom kennenlernen muss, um das Wesentliche seines Gesichts zu erfassen. Während der zweiten Sitzung gelingt es Joseph, einen Blick hinter Toms starre Fassade zu werfen. Über die Seidenraupen, die inzwischen geschlüpft sind und um die Tom sich liebevoll kümmert, kommen die beiden sich näher. In Tom begegnet dem scheuen Joseph jemand, der noch zurückgezogener ist als er selbst. Verwundert erkennt Joseph, dass Seidenraupen ihr Leben in Schachteln verbringen, außerhalb davon sind sie nicht überlebensfähig. Tom schenkt ihm das Gedicht, in dem Douglas Stewart den Lebenszyklus von Seidenraupen schildert.
II – Zu tief in einem Traum
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Ein zweites Mal hilft Joseph Tom dabei, die wachsenden Seidenraupen auf eine größere Anzahl von Kartons zu verteilen. Als sie die Kartons aus einem mit Büchern vollgepackten Keller holen, erfährt Joseph, dass Tom nicht mehr lese, obwohl es ihm früher sehr viel bedeutet hatte. Zögernd erzählt Tom, wie sehr er sich als Kind Seidenraupen gewünscht hatte. Im Maulbeerbaum am Haus konnte er zwar keine finden, bekam aber kurz darauf einen Karton mit Raupen geschenkt. Er kam zu dem Schluss, dass Wunder auf vielerlei Weise geschehen können.
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In den Ferien sehen Joseph und Tom sich fast täglich und beobachten die Veränderung der Seidenraupen. Immer wieder zieht Tom sich vorübergehend in seine Innenwelt zurück und die Gespräche mit Joseph bleiben stockend. Tom erzählt Joseph von einer schwarzen Echse, die ihm als Kind den Stoff für schreckliche Albträume geliefert hat, und Joseph weiht Tom in das Geheimnis des Running Man ein. Nie zuvor hat er seine Ängste einem Menschen gegenüber erwähnt. Tom wirbt um Verständnis für den fremden Mann, der möglicherweise renne, um zu überleben. Vielleicht sei er vor sich selbst auf der Flucht.
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Unterdessen arbeitet Joseph auch an den Porträtskizzen von Tom und fügt immer neue Details hinzu. Eines Nachmittags erzählt Tom dann, wie er im Vietnamkrieg mit seiner Einheit in eine Falle geraten sei. Er habe nicht verhindern können, dass sein Freund Mick und alle anderen Kameraden bei dem Angriff ums Leben kamen. An jenem Tag habe er seinen Glauben an Gott und an Wunder verloren. Zurück in der Heimat konnte er seinen Beruf als Lehrer nicht mehr ausüben und musste in einer Nervenklinik behandelt werden. Dort habe er die Eier der Seidenraupen aus dem Müll gerettet und beobachte seit über zwanzig Jahren an ihnen den Kreislauf des Lebens und Sterbens und seine Sinnlosigkeit.
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Als Joseph mit einer Schachtel Seidenraupen unterwegs ist, die Tom einer Schule schenken will, begegnet er während eines Gewitters in einem Unterstand dem Running Man. Joseph ist in Panik und versucht seiner Angst Herr zu werden, indem er dem Fremden die Seidenraupen zeigt. Dieser zitiert daraufhin die erste Zeile des Gedichts von Douglas Stewart, bevor er im Regen verschwindet. Ungläubig erzählt Joseph Tom davon. Dieser entgegnet, dass man immer nur einen Teil eines Menschen wahrnehme, und selbst darüber könne man sich im Irrtum befinden.
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Auf Josephs Vorschlag hin bringen Tom und er die Bücher aus dem Keller nach oben in Toms Zimmer. Unter der Anstrengung bricht der herzkranke Tom zusammen. Trotzdem ist Caroline dankbar, dass es Joseph gelungen ist, durch die Mauer aus Selbsthass zu Tom durchzudringen. Sie zeigt Joseph eine Sammlung alter Zeitungsausschnitte, unter denen er einen über den Running Man entdeckt. Sein Name ist Simon Jamieson. Als er ein junger Mann war, sind seine Frau und die gemeinsamen Kinder bei einem Brand ums Leben gekommen. Er kam zu spät, um sie zu retten.
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In den folgenden Tagen schlüpfen die Motten aus ihren Kokons. Als Tom sich bei Joseph für dessen Gegenwart bedankt, ist dieser überglücklich. Umso härter trifft ihn die Behauptung von Geraldine Mossop, dass Tom als Lehrer von der Schule verwiesen worden sei, weil er einen Schüler gegen dessen Willen umarmt und festgehalten habe. In der folgenden Nacht erscheint Joseph wieder der Running Man im Traum. Seine Züge werden von denen Tom Leytons überlagert und Joseph weiß, dass er zwar seinen Träumen, nicht aber der Realität entkommen kann.
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Am nächsten Tag geht Joseph zu Tom, um ihn zur Rede zu stellen. Tom kann Joseph nicht von seiner Unschuld überzeugen. Zuhause macht Joseph aus der Porträtskizze von Tom das Abbild eines Teufels und schiebt es heimlich unter Toms Wohnungstür durch. Daraufhin bittet Tom Joseph um einen weiteren Besuch. Im Alkoholrausch schildert er Joseph, wie er nach dem Massaker an seinen Kameraden schwer verletzt dem vietnamesischen Jungen begegnete, der sie in die Falle gelockt hatte. Tom hat ihn mit seinem Maschinengewehr erschossen. Diese Schuld begründet seinen gnadenlosen Selbsthass. Der Junge, den er in der Schule umarmt und um Verzeihung angefleht hatte, hatte ihn durch sein asiatisches Aussehen an das Opfer erinnert. Tags darauf bringen Tom und Joseph bei einer Aussprache ihre gegenseitige Zuneigung zum Ausdruck.
III – Ein Blitz von Freude
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Bei einem Erdrutsch auf der Südseeinsel Bougainville sind mehrere Bauarbeiter in Lebensgefahr geraten. Joseph und seine Mutter Laura sind in großer Sorge, dass Josephs Vater unter ihnen ist. Joseph erinnert sich an die letzte Begegnung mit seinem Vater. Seit Josephs Geburt war sein Vater immer auf weit entfernten Baustellen beschäftigt gewesen und nur zu seltenen Besuchen nach Hause gekommen. Obwohl Joseph und seine Mutter sich danach sehnten mit ihm zusammenzuleben und ihn angefleht hatten zu bleiben, zog es diesen hinaus in die Welt und er hatte einen neuen Arbeitsvertrag in Bougainville unterschrieben. In seinem verzweifelten Zorn hatte Joseph ihn ohne Abschied gehen lassen, was er inzwischen zutiefst bedauert.
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Tom vermag es nicht, Joseph zu trösten und ihm Mut zu machen. Joseph erinnert sich an Toms Erkenntnis, dass es keine Wunder gebe. Als Joseph am nächsten Morgen aufwacht, ist der Maulbeerbaum vor seinem Fenster voller goldener Kokons, die Tom an die Zweige geknüpft hat. Überwältigt von der Schönheit des Anblicks, eilt Joseph hinaus und findet Tom neben einer umgestürzten Leiter. Er liegt im Sterben und in seinen letzten Worten dankt er Joseph dafür, dass dieser sein Wunder gewesen sei.
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Unterdessen stellt sich heraus, dass Josephs Vater wegen einer schweren Erkrankung nicht am Unglücksort gewesen ist und demnächst nach Hause kommen wird. Joseph beendet das Porträt von Tom. Er gibt sich die Schuld an dessen Tod, doch Caroline versichert ihm, dass er Tom vielmehr das Leben gerettet habe.
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Unter den wenigen Trauergästen bei Tom Leytons Beerdigung ist auch der Running Man. Joseph läuft ihm nach und dankt ihm für sein Erscheinen. Er spricht den Running Man mit seinem Namen Simon Jamieson an und gibt ihm einen Segen mit auf seinen Weg, den er von Tom gelernt hat.
Epilog
Joseph hat keine weiteren Albträume vom Running Man. Simon Jamieson jedoch träumt in der folgenden Nacht davon, dass er seine Frau und seine Kinder erreicht, sie in seinen Armen birgt und mit ihnen in die Kühle der Nacht davonfliegt.