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Kapitel 1

Zusammenfassung

Joseph Giebenrath, Zwischenhändler und Agent, lebt in einer kleinen Stadt im Schwarzwald. Er wird als eher gewöhnlicher Mensch beschrieben, der zwar nicht sehr gebildet ist, dafür aber einen ausgeprägten Familiensinn besitzt und sehr stolz auf seinen Sohn ist. Vor allem aber zeichnet er sich, wie so viele Einwohner der kleinen Stadt, durch eine Abneigung gegen alles »Unerträgliche, Freiere, Feinere, Geistige« aus.

Joseph Giebenrath ist Vater eines begabten, intelligenten Jungen namens Hans. Die Mutter ist bereits vor Jahren gestorben. Hans’ Intelligenz ist im Gegensatz zu der seines Vaters überdurchschnittlich, womit er sich sehr von den restlichen Bewohnern der Stadt unterscheidet. Der Erzähler schlägt vor, dass diese »Hypertrophie der Intelligenz«, die sich in Hans abzeichnet, das Symptom einer »einsetzenden Degeneration« sein könnte (S. 6), von der altmodischen Lebensweise der Stadt hin zur Moderne.

Hans’ Begabung wird weder von seinen Lehrern noch den Mitschülern oder irgendwem sonst angezweifelt, und damit ist seine Zukunft für ihn bereits bestimmt. Denn für talentierte junge Männer wie ihn gibt es in dieser Region nur einen einzigen Karriereweg: das Landexamen zu bestehen, das ihn für das Seminar in Maulbronn qualifiziert, welches ihn wiederum auf eine Karriere als Jurist oder Akademiker vorbereiten wird.

In wenigen Wochen wird das jährliche Landexamen stattfinden und Hans ist der einzige Kandidat aus seiner Stadt, der daran teilnehmen soll – eine große Ehre. Diese Ehre muss er sich aber hart verdienen, indem er sich einer intensiven Prüfungsvorbereitung unterzieht: zusätzliche Stunden in Latein, Religion, Griechisch und Mathematik. Auch abends zu Hause lernt Hans noch. Die einzige Erholung, die er genießen darf, ist der morgendliche Konfirmandenunterricht. Jedoch bringt er selbst hierhin seine Notizzettel mit, um weiter die Inhalte seiner Studienfächer zu üben.

Die Prüfungsvorbereitung wirkt sich zunehmend auf Hans’ gesundheitlichen Zustand aus. In seinem Gesicht erscheinen Falten, sein Körper wird müder und schwächer, er bekommt Kopfweh. Am Morgen vor der großen Prüfung verlässt Hans kurz das Haus und stellt fest, wie sehr er die schöne idyllische Natur vermisst hat, insbesondere das Angeln, das er früher so genossen hat.

Auf seinem Spaziergang trifft er auf Schuhmachermeister Flaig, mit dem er früher oft abends Zeit verbracht hat, nun aber schon länger nicht mehr. Flaig spricht Hans Mut für das bevorstehende Examen zu, erinnert ihn aber auch daran, dass es keine Schande sei, durchzufallen, und dass Gott mit jeder Seele besondere Absichten habe und ihn schon seine eigenen Wege führen werde. Beim ambitionierten und trotzigen Hans kommen seine Worte nicht wirklich an. Unterwegs begegnen die beiden dem Stadtpfarrer, der Hans daran erinnert, dass er in Latein eine besonders gute Leistung von ihm erwarte und dass Durchfallen keine Option sei.

Als Hans wieder nach Hause zurückkehrt, kommt er an dem Hasenstall vorbei, den er jahrelang zusammen mit seinem Schulfreund August gebaut hat. Dieser ist inzwischen Mechanikerlehrling geworden und die beiden Freunde haben einander seit einer Ewigkeit nicht gesehen, denn ihnen fehlt die Zeit dafür, sich zu treffen. Hans aber vermisst die Hasen und August und zerstört in einem Anflug aus Sehnsucht nach früheren Zeiten den Stall. Er wird zu Brennholz.

Am nächsten Morgen machen sich Hans und sein Vater, beide in sehr nervösem Zustand, auf den Weg zum Examen nach Stuttgart. Am Bahnhof werden sie sogar vom Rektor selbst verabschiedet. Das Examen erstreckt sich über drei Tage. Die Aufgaben des ersten Tags kommen Hans überraschend leicht vor und er ist einer der Ersten, die abgeben. Am zweiten Tag verlässt er den Prüfungsraum mit einem weniger guten Gefühl und ist überzeugt, viele Fehler gemacht zu haben. Beim Mittagessen mit Tante und Vater gibt er zu, dass die letzte Prüfung schlecht gelaufen sei. Daraufhin wirft ihm der Vater vor, er habe sich nicht genug angestrengt. Die anschließende mündliche Prüfung am Nachmittag läuft ebenfalls schrecklich, erst die beiden Prüfungen am letzten Tag glaubt Hans wieder besser bewältigt zu haben.

Erleichtert reist Hans noch am gleichen Tag zurück nach Hause. Er hält sich den Nachmittag über in der Natur auf, schwimmt im Fluss und spürt, wie die Anspannung der letzten Tage von ihm abfällt. Währenddessen kommen viele schöne Erinnerungen an seine Kindheit zu ihm zurück: an die Tochter des Inspektors Geßler, in die er verliebt war, ans Kartoffelschälen und Geschichtenhören. Später verspricht sein Vater Hans, ihm einen Wunsch zu erfüllen, wenn er das Examen bestanden hat. Hans wünscht sich, wieder angeln zu dürfen. Seinen anderen Wunsch – aufs Gymnasium gehen zu dürfen, falls er durchgefallen ist – gestattet ihm der Vater jedoch nicht.

Hans erfährt vom Rektor, dass er das Landexamen bestanden hat. Er ist sogar Zweitbester geworden. Als er freudestrahlend seinem Vater die Botschaft überbringt, ist dieser genauso überrascht und erfreut wie Hans selbst. Hans baut sich noch am gleichen Tag eine Angelrute und freut sich auf die sieben Ferienwochen, in denen er viel Zeit zum Angeln haben wird.

Analyse

Zu Anfang des Kapitels werden sowohl Sohn als auch Vater einer ausgiebigen psychologischen Analyse des Erzählers unterworfen. Herr Joseph Giebenrath wird dabei als gewöhnlicher, nicht sonderlich intellektueller Einwohner des Dorfes dargestellt, der überaus stolz auf die akademischen Fähigkeiten seines Sohnes ist. Mit dem detaillierten Porträt des Vaters wird gleichzeitig auch die Charakterisierung von Hans eingeleitet, da Hans’ Lebensumstände und familiäres Umfeld natürlich eine wichtige Rolle in der Bildung seines Charakters spielen.

Hans selbst wird als überdurchschnittlich intelligenter und ambitionierter Junge dargestellt: »Hans Giebenrath war ohne Zweifel ein begabtes Kind; es genügte, ihn anzusehen, wie fein und abgesondert er zwischen den andern herumlief.« (S. 6) Hier und auch im Folgenden wird deutlich, wie sehr sich Hans mit dieser Intelligenz und Ambition von seinen Kameraden, aber auch von der gesamten kleinen Stadt absetzt. Die Stadt, in der er und sein Vater leben, folgt einem »unheilbar altmodischen Habitus« (S.7) und ist von modernen Entwicklungen so gut wie unberührt. Mehr noch: Sie ist stolz darauf, dass keine überdurchschnittlich intelligenten Menschen zu ihren Bewohnern zählen. Zwar gibt es ein paar Beamte in der Stadt, die öffentlich auch respektiert werden. Hinter vorgehaltener Hand werden diese jedoch abwertend »Schreibersknechte« genannt (ebd.). Denn überdurchschnittliche Intelligenz wird (wenn auch unbewusst) als »Symptom einer einsetzenden Degeneration« (S. 6) gesehen, ein unerwünschtes Phänomen der Moderne. Gleichzeitig ist es trotzdem der größte Wunsch eines jeden Bürgers, dem eigenen Kind eine gute Bildung zu ermöglichen, um es auf die angeblich so verachtete Beamtenlaufbahn zu schicken.

Hans selbst ist eines dieser »mageren, überarbeiteten« (S. 7) Kinder, denen ein solches höheres Schicksal ermöglicht werden soll. Er verbringt jede freie Minute mit seinem Schulstudium, erhält zahlreiche Unterrichtsstunden zusätzlich zum gewöhnlichen Unterricht, und ist sogar so ehrgeizig, dass er selbst die wenige Freizeit, die ihm zusteht, zum Lernen nutzt. Einerseits wirkt Hans also herausragend ambitioniert. Andererseits setzt ihm die intensive Vorbereitung auf das Landexamen auch mehr und mehr zu: »In den letzten acht Tagen war die Vergeistigung eklatant geworden. In dem hübschen, zarten Knabengesicht brannten tiefliegende, unruhige Augen mit trüber Glut, auf der schönen Stirn zuckten feine, Geist verratende Falten, und die ohnehin dünnen und hageren Arme und Hände hingen mit einer müden Grazie herab, die an Botticelli erinnerte.« (S. 10) Hans’ Gesundheitszustand scheint demnach an einem bedenklichen Punkt angekommen zu sein.

Es stellt sich unweigerlich die Frage, wer die Schuld daran trägt: Hans selbst, seine Lehrer, oder sein Vater? Darüber ist die Meinung der Literaturwissenschaftler gespalten (siehe Abschnitt: Interpretation), auch wenn der Tenor zu sein scheint, dass es Hans selbst ist, der sich in einen solch bedenklichen Zustand treibt (Vahlbusch, 2009). Zwar spornen ihn sein Vater und die Lehrer der Schule an, insbesondere Ersterer erlaubt Hans jedoch auch Ruhepausen: »Heute abend (…) darfst du nichts mehr arbeiten. Versprich es mir. Du mußt morgen absolut frisch in Stuttgart antreten. Geh noch eine Stunde spazieren und nachher beizeiten zu Bett. Junge Leute müssen ihren Schlaf haben.« (S. 10) Die Frage, wer für Hans’ ungesunde akademische Ambitionen verantwortlich ist, erfordert daher eine komplexe Antwort.

Hans jedenfalls leidet sehr unter seiner Nervosität. Beim Landexamen in Stuttgart vergleicht der Erzähler die Weise, in der Hans sich im Prüfungsraum umschaut, mit dem Blick eines »Verbrechers in der Folterkammer« (S. 21). Hans’ Rückzugsort ist die Natur. In ihr sucht er Zuflucht vor den Forderungen seiner akademischen Laufbahn: »Langsam gegen die schwache Strömung schwimmend, fühlte er Schweiß und Angst dieser letzten Tage von sich gleiten, und während seinen schmächtigen Leib der Fluß kühlend umarmte, nahm seine Seele mit neuer Lust von der schönen Heimat Besitz.« (S. 26)

Wenn Hans durch die Felder seiner Heimat streift, überkommen ihn außerdem zahlreiche schöne Kindheitserinnerungen, die nicht nur von Schule und Lernen geprägt sind: »Doch fielen diese Bubengeschichten ihm jetzt wieder ein, wie aus weitester Ferne her, und sie hatten so starke Farben und einen so seltsam ahnungsvollen Duft, wie nichts von allem seither Erlebten.« (S. 27) Ebenso bedeutet ihm das Angeln sehr viel, und er kann sich nichts Schöneres für seine langen Sommerferien vorstellen, als ganz viel Zeit mit Angeln zu verbringen.

Veröffentlicht am 15. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2023.