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Kapitel 6

Zusammenfassung

Es wird Herbst und Hans streift noch immer durch die Wälder. Er ist blass, müde und meidet jeglichen sozialen Kontakt. Da Hans nun kein Karriereziel mehr hat, will sein Vater ihn bald Schreiber werden oder ein Handwerk erlernen lassen. Vorher aber soll er erstmal zu Kräften kommen. Hans hat seine Angstzustände und Suizidgedanken mittlerweile überwunden. Stattdessen ist er in einen Zustand der Melancholie verfallen, der durch die dunkle Jahreszeit noch verschlimmert wird.

Da in diesen Monaten die Apfelernte stattfindet, beginnt im Dorf gerade die Herstellung von Most. Zu diesem Ereignis kommt das ganze Dorf zusammen, arme und reiche Leute sitzen nebeneinander und stellen Most her. Auch der Schuhmacher Flaig hat eine kleine Presse gemietet und lädt Hans ein, ihm zu helfen. Auf dem Vorplatz der Mühle beobachtet Hans, wie Most produziert wird, und diese fröhliche, lebensfrohe Tätigkeit bildet einen starken Kontrast zu seiner eigenen Stimmung.

Hans verhält sich zunächst still und ängstlich, er hatte eigentlich nicht kommen wollen. Nach den ersten Schlucken Most aber wird er schon fröhlicher und glückliche Erinnerungen von früher überkommen ihn. Er beginnt, mit den Dorfbewohnern zu reden und Witze zu machen. Auch Flaigs Nichte aus Heilbronn ist da, die Hans sehr an Emma erinnert und die er daraufhin in Gedanken auch so nennt. Da er überfordert von ihrer Gesprächigkeit und Ausgelassenheit ist und ohnehin nicht richtig mit Mädchen umzugehen weiß, zieht Hans sich zurück.

Als Flaig in seine Werkstatt zurück muss, bittet er Hans, gemeinsam mit Emma aufzuräumen. Hans macht ihre Gegenwart nervös und er weiß nicht mehr so recht, was er tut. Emma und Hans kommen sich näher und berühren sich, ganz zufällig, immer häufiger. Eine bisher ungekannte Lust überkommt ihn und er ist hin- und hergerissen, ob er dieser Lust nachgeben soll oder nicht. Als Hans nach Hause geht, erscheint ihm die Welt plötzlich viel bunter und lebendiger als zuvor. Und auch er selbst wird erregt von einem ihm unbekannten Gefühl, das aus ihm ausbrechen will.

Den ganzen Abend lang denkt er an Emma. Auf das Gespräch über seine berufliche Zukunft, das sein Vater mit ihm anfangen will, geht Hans nicht wirklich ein, und verlässt stattdessen nach dem Abendessen die Wohnung. Er will seine Emma heute nochmal sehen.

Also macht er sich auf den Weg zum Hause des Schuhmachers Flaig. Dort angekommen bleibt er eine Weile draußen stehen und beobachtet die Szene im Haus. Hauptsächlich aber folgt sein Blick Emma, die im Zimmer auf und ab geht, bis sie Hans schließlich durch die Scheibe erspäht und zu ihm herauskommt. Sie gibt ihm ihre Hand über den Zaun hinweg und fragt, ob er ihr einen Kuss geben will. Sie küssen sich und Emma befiehlt ihm, am nächsten Abend wiederzukommen. Hans denkt die ganze Nacht lang an ihren Kuss und ist überwältigt von seinen Empfindungen.

Am nächsten Tag sucht Hans seinen früheren Freund August auf, der jetzt Mechanikerlehrling ist, und fragt ihn nach seiner Meinung zu dieser Tätigkeit. August empfiehlt ihm den Beruf. Es sei zwar am Anfang nicht einfach, aber trotzdem etwas »Feines« (S. 154). Außerdem brauche man einen guten Kopf. Beim Mittagessen erklärt Hans seinem Vater, er wolle Mechaniker werden, und dieser meldet ihn noch am gleichen Tag in der Werkstatt für die Lehre an.

Am Abend besucht Hans wieder Emma, sie halten Hände und küssen sich. Es stellt sich heraus, dass sie in Liebesdingen deutlich erfahrener ist und weiter gehen will als er. Hans fühlt sich unwohl und entschließt sich, lieber heimzugehen. Als er das Haus verlässt, taumelt er – es hat ihn eine solch heftige Müdigkeit überfallen. Unterwegs wird diese Müdigkeit so schlimm, dass er sich auf eine Brücke setzen und warten muss. Zwischenzeitlich glaubt er sogar, es nicht mehr nach Hause zu schaffen. Irgendwie schafft er es dennoch.

Analyse

Hans’ Leben hat jegliche Struktur verloren. Da er nun kein Seminarist mehr ist und dementsprechend auch kein Karriereziel mehr hat, ist ihm die Motivation abhandengekommen: »Es war kein Wunder, daß alles nicht recht helfen wollte. Jedes gesunde Leben muß einen Inhalt und ein Ziel haben und das war dem jungen Giebenrath verloren gegangen.« (S. 136) Das Ergebnis dieses Verlusts seiner Motivation ist eine anhaltende Melancholie, in die Hans »langsam und wehrlos wie in einen weichen Schlammboden« (ebd.) versinkt.

Der graue Herbst verschlimmert seinen Zustand noch zusätzlich. Hans sieht seine emotionale Verfassung in den herabfallenden Blättern und welkenden Blumen gespiegelt: »Er fühlte den Wunsch, mit zu vergehen, mit einzuschlafen, mit zu sterben, und litt darunter, daß seine Jugend dem widersprach und mit stiller Zähigkeit am Leben hing.« (S. 136) Zwar denkt er nicht mehr aktiv an Suizid, aber den Todeswunsch ist er noch lange nicht losgeworden. Seit er dem Seminar verwiesen wurde, gibt es für ihn keinen Grund mehr, weiterzuleben.

Erst das Mosten rüttelt Hans ein wenig auf und befreit ihn zeitweise von seiner Melancholie. Der Most wird als Gegensatz zu seinem Gemütszustand dargestellt:

    Aus den Röhren floß in dickem Strahl der süße junge Most, rotgelb und in der Sonne lachend; wer herzukam und es ansah, mußte um ein Glas bitten und schnell eine Probe kosten, dann blieb er stehen, bekam feuchte Augen und fühlte einen Strom von Süßigkeit und Wohlbehagen durch sich hindurchgehen. (S. 137)

Mit dem lebensfrohen, warmen Most kehren glückliche Kindheitserinnerungen zu Hans zurück: »Er probierte, und beim Schlucken kam mit dem süßen, kraftvollen Mostgeschmack eine Menge von lachenden Erinnerungen an frühere Herbste über ihn und zugleich ein zaghaftes Verlangen, wieder einmal ein bißchen mitzumachen und lustig zu sein.« (S. 138) Genau das tut er im Anschluss auch, indem er sich unter die Leute mischt und mit ihnen plaudert. Gewissermaßen beginnt er eine zweite Kindheit.

Ein wichtiges Element aus seiner Kindheit war seine Verliebtheit in Emma. Daher darf auch in dieser zweiten Kindheit die Erinnerung an sie nicht fehlen. Es ist daher nicht weiter überraschend, dass Hans glaubt, Emma in der Nichte des Schuhmachers zu erkennen, und sie daher in Gedanken Emma tauft. Diese Emma jedoch stellt Hans vor eine schwere Entscheidung. Er weiß nicht, ob er Lust oder Pein empfinden soll. Lust würde den »Sieg seiner jungen Liebeskraft und das erste Ahnen vom gewaltigen Leben« (S. 144) bedeuten. Pein wiederum hieße, »daß der Morgenfriede gebrochen war und daß seine Seele das Land der Kindheit verlassen hatte, das man nicht wiederfindet.« (ebd.) Hans weiß nicht, ob er schon bereit ist, seine Kindheit zu verlassen.

Als er Emma noch am gleichen Abend küsst, bekämpfen sich wieder diese zwei Emotionen, Lust und Pein: »Eine tiefe Schwäche überkam ihn; noch ehe die fremden Lippen von ihm ließen, verwandelte die zitternde Lust sich in Todesmüdigkeit und Pein, und als Emma ihn freigab, schwankte er und hielt sich mit krampfhaft klammernden Fingern am Zaun fest.« (S. 150) Je näher Hans Emma kommt, desto größer wird sein emotionaler Konflikt und droht, den Jungen zu überwältigen, bis er glaubt, sterben zu müssen, so schwer geht sein Atem (S. 156).

Hans ist unfähig, mit seinen neu erwachten Empfindungen umzugehen. Einerseits will er seiner Lust folgen, andererseits will er genau das nicht, weil es das Ende seiner Kindheit bedeuten würde. Dieser emotionale Zwiespalt wird immer größer und droht ihn zu zerreißen. Nicht einmal schlafen kann er mehr:

    Um Mitternacht erwachte er gepeinigt und erschöpft und lag bis an den Morgen zwischen Schlaf und Wachen, von einer verdürstenden Sehnsucht erfüllt, von unbeherrschten Kräften hin und her geworfen, bis in der ersten Frühe seine ganze Qual und Bedrängnis in ein langes Weinen ausbrach und er auf tränennassen Kissen nochmals einschlief. (S. 157)
Veröffentlicht am 15. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2023.