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Kapitel 3

Zusammenfassung

Hans trifft im Zisterzienkloster in Maulbronn ein, wo das Seminar untergebracht ist, an dem er teilnehmen wird. Das prächtige Gebäude befindet sich inmitten der Natur und die Umgebung wird als sehr ruhig beschrieben. Nur zur Mittagszeit kommt für kurze Zeit ein »flüchtiges Scheinleben« (S. 56) über den Ort. Ansonsten ist das Kloster geprägt von Schönheit und Ruhe, was die jungen Leute vor jeglichen Ablenkungen bewahren soll, die sie davon abhalten könnten, ihre volle Aufmerksamkeit dem Studium zu schenken. Aufgrund der Abgeschiedenheit des Klosters leben die jungen Studenten so zurückgezogen wie möglich. Auf diese Weise wird der Aufenthalt beim Seminar sie nachhaltig prägen.

In diesem Kloster wird auch Hans die nächsten Jahre wohnen, da es sich beim Seminar um ein Internat handelt. Bei seiner Ankunft beobachtet er die vielen Eltern, die sich (mehr oder minder besorgt) von ihren (mehr oder minder nervösen) Kindern verabschieden. Auch Joseph Giebenrath hilft Hans beim Auspacken. Er verhält sich dabei zwar größtenteils »klug und praktisch« (S. 59), fühlt sich allerdings verpflichtet, seinem Sohn auch ein paar feierliche elterliche Ratschläge mit auf den Weg zu geben, was Hans als leicht unangenehm empfindet.

Die Studenten des Internats stammen aus verschiedenen sozialen Schichten und unterscheiden sich auch im Grad ihrer Intelligenz. Dennoch bezeichnet der Erzähler sie als »keine schlechte Auswahl aus der Jugend des Landes« (S. 61). Das Zimmer, in dem Hans mit neun anderen Kameraden leben wird, trägt den Namen Hellas. Manche seiner neuen Mitbewohner haben Heimweh, Hans allerdings nicht.

Am folgenden Tag findet der feierliche Aufnahmeakt im Oratorium statt, gefolgt vom Abschied von den Eltern. Im Anschluss daran beginnen die Schüler, sich in ihren Zimmern einzurichten und einander kennenzulernen. Zu Hans’ Mitbewohnern zählen einige seltsame Gestalten, die alle detailliert beschrieben werden. Unter ihnen ist auch eine »auffällige Erscheinung« (S. 65) namens Hermann Heilner, ein Junge aus dem Schwarzwald, der einzelgängerisch, sehr künstlerisch begabt und seinen Altersgenossen weit voraus ist. Ebenfalls auffällig ist Emil Lucius, der sehr geizig ist und bei jeder erdenklichen Gelegenheit zu sparen versucht, um den größtmöglichen Profit für sich herauszuschlagen.

Bald schon bilden sich Freund- und Feindschaften, jeder nimmt seine Rolle ein. Hans selbst beteiligt sich nicht an diesen rapiden Freundschafts- und Feindschaftsbildungen, er verhält sich eher ruhig und unauffällig. Zwar hätte er gern Freunde gefunden, traut sich aufgrund seiner Schüchternheit aber nicht, auf seine Kameraden zuzugehen. Dennoch wird er von fast allen respektiert und geschätzt.

Eines Tages zieht sich Hermann Heilner in den Wald zurück, um zu dichten. Dort läuft er Hans zufällig über den Weg. Sie setzen sich zusammen an den Fluss und Hermann beginnt, sehnsüchtig von seinem vergangenen Leben zu reden: von seinen Erinnerungen an Schifffahrten, lange Abende und Freiheit. Er beklagt, dass von diesem freien Leben in Maulbronn nichts übrig bleiben würde. Er verhöhnt den steifen, fantasielosen Unterricht des Seminars und behauptet, die Werke Homers würden gelesen, als seien sie Kochbücher, jedes Wort werde endlos wiedergekäut und analysiert. Auf diese Weise wolle er Homer nicht lesen. Hans ist fasziniert von Hermann, von seiner Fantasie, Unabhängigkeit und Freigeistigkeit. Er bewundert ihn dafür, dass er seine eigenen Werte hat und deshalb auch in der Lage ist, über seiner Umgebung zu stehen und diese zu verachten. Noch am gleichen Abend küssen sich Hermann und Hans, eine »schamhafte Freundschaftserklärung« (S. 77).

Von da an gelten die beiden als Freundschaftspaar, wenn auch als sehr ungleiches: der Dichter und der Streber, das Genie und der Musterknabe. Ihre Freundschaft ist ebenfalls sehr ungleich. Für Heilner ist sie ein »Vergnügen«, für Hans ein »wohlgehüteter Schatz«. Sie verbringen viel Zeit gemeinsam und Hermann beginnt, Hans vom vielen Lernen abzuhalten, was Hans wiederum nervös macht. Teilweise kommt es Hans vor, als sei er lediglich eine Art »Hauskatze« (S. 81). Gleichzeitig aber hängt Hermann sehr an seinem neuen Freund und braucht ihn als seinen Zuhörer und Bewunderer. Hans kann er seine leidenschaftlichen Reden über das Schulsystem und das Leben halten, und ebenfalls kann Hans ihn aufbauen, wenn er mal wieder eine melancholische Phase durchläuft, wie junge Dichter es häufig tun.

Hermann beansprucht Hans’ Zeit immer mehr und dieser wiederum stürzt sich in der wenigen Zeit, die ihm noch bleibt, immer eifriger in seine Studien, um das Versäumte aufzuholen. Die Freundschaft zu Hermann hat ambivalente Effekte auf ihn: Einerseits nimmt sie ihn mit, macht ihn krank, andererseits bringt Hermann Hans der für ihn komplett neuen Welt der Kunst und der Dichter näher, die in Hans Leidenschaft und Freiheitsgefühle weckt.

Als Hermann im Streit den Notenständer seines Mitbewohners Lucius zerstört, berichtet Lucius das dem Ephorus. Der verdonnert Hermann zu einer strengen Strafe und stellt ihn vor der gesamten Schule als »abschreckendes Beispiel« (S. 84) auf. Von da an wird Hermann gemieden wie ein Aussätziger. Auch Hans traut sich nicht, noch zu ihm stehen. Er unterliegt einem Kampf zwischen Freundespflicht und Ehrgeiz, entscheidet sich aber für seinen akademische Laufbahn, also seinen Ehrgeiz. Hermann beschimpft ihn daraufhin als Feigling. Bis zu den Winterferien, in denen alle, auch Hans, nach Hause fahren, sprechen sie nicht mehr miteinander.

Analyse

Das Kloster, in dem sich das Seminar befindet, liegt in völliger Stille und Abgeschiedenheit. Es ist umgeben von »stillen Seen« und »ernsten Bäumen« (S. 56). Das wenige Leben, das sich dort abspielt, bezeichnet der Erzähler als »flüchtiges Scheinleben« (ebd.). Die Studenten leben vollkommen abgetrennt von jeglicher Zivilisation und kommen nicht mit dem realen Leben in Berührung. Stattdessen sind sie eingeschlossen in eine Art Blase, aus der sie nicht so bald wieder herauskommen werden: »Zugleich sind dort die jungen Leute den zerstreuenden Einflüssen der Städte und des Familienlebens entzogen und bleiben vor dem schädigenden Anblick des tätigen Lebens bewahrt.« (S. 56)

Die erzählerische Stimme verspottet die Abgeschiedenheit des Klosters sehr offen: »In liebevoller Fürsorge hat die Regierung dies herrliche, weltfern gelegene, hinter Hügeln und Wäldern verborgene Kloster den Schülern des protestantisch-theologischen Seminars eingeräumt, damit Schönheit und Ruhe die empfänglichen jungen Gemüter umgebe.« (S. 56) Das ›liebevoll‹ hat hier einen eindeutig ironischen Unterton. Der Erzähler merkt an, dass an dieser Stelle eigentlich »freudige Gedanken« und »heitere Werke« entstehen müssten (S. 56). Allerdings ist das Gegenteil der Fall: Die jungen Studierenden werden zu willenlosen Marionetten des Staates, ohne eigene Gedanken und Werte.

Das Studium in Maulbronn wird seine Schüler ein Leben lang prägen. Der Aufenthalt beim Seminar gleicht einer »feinen und sicheren Art der Brandmarkung und einem sinnigen Symbol der freiwilligen Leibeigenschaft« (S. 57). Durch die feierliche Zeremonie im Oratorium werden die Studenten nicht nur in eine akademische Institution aufgenommen – sondern gleichzeitig versklavt. Als der Erzähler die Emotionen der Eltern während der Aufnahmezeremonie beschreibt, berichtet er: »Stolze und löbliche Gefühle und schöne Hoffnungen schwellten ihre Brust und kein einziger dachte daran, daß er heute sein Kind gegen einen Geldvorteil an den Staat verkaufe.« (S. 63f.) Die Aufnahmezeremonie wirkt nicht mehr wie der Beginn einer akademischen Laufbahn, sondern wie ein Menschenhandel: Die Kinder werden nicht zu stolzen Studenten, sie werden zu Sklaven.

Auch Hans ist auf dem besten Wege, zu einem solchen willenlosen akademischen Sklaven zu werden. Erst durch seine Freundschaft zu Hermann beginnt er, die Institution in Maulbronn infrage zu stellen. In Hans’ Augen steht sein neuer Freund für Freiheit. Hermann bezeichnet seine Schulkameraden als »Langweiler und Duckmäuser«, Hans selbst sei nicht anders (S. 73). Ihr Zimmer, spottet Hermann, sollte nicht Hellas heißen, sondern besser »›Papierkorb‹ oder ›Sklavenkäfig‹ oder ›Angströhre‹« (S. 74). Hermann hat erkannt, wie sehr die schulische Institution ihn einschränkt und nun will er ihr entkommen. Sehnsüchtig trauert er den Erinnerungen an die Freiheiten seines vorherigen Lebens nach.

Hans ist hin- und hergerissen. Einerseits ist er begeistert von den Welten, die Hermann ihm eröffnet. Wenn er ihm Monologe aus Shakespeare oder Schiller zitiert, dann verspürt Hans eine »göttliche Freiheit« und »feurige Leidenschaft« (S. 82). Bis dahin war ihm die Welt der Dichter wenig vertraut, aber nun »spürte er zum erstenmal widerstandslos die trügerische Gewalt schönfließender Worte, täuschender Bilder und schmeichlerischer Reime, und seine Verehrung für diese ihm neuerschlossene Welt war mit der Bewunderung des Freundes zu einem ungetrennten Gefühl ineinandergewachsen.« (S. 83)

Gleichzeitig ist Hans aber auch skeptisch und versucht weiterhin, die Regeln und Anforderungen der Schule zu befolgen. Er bemüht sich, viel zu lernen und alle seine Aufgaben zu erledigen, auch wenn Hermann ihn davon abzuhalten versucht. Außerdem macht Hans die Freundschaft mit Hermann krank und ist für ihn daher ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bewundert, andererseits fürchtet er seinen Freund. Das wird besonders deutlich, als er beobachtet, wie Hermann seine Schulbücher beschädigt und verändert: »Hans war gewohnt, seine Bücher als Heiligtümer und Kleinodien zu behandeln und er empfand diese Kühnheiten halb als Tempelschändungen, halb als zwar verbrecherische, aber doch heroische Heldentaten.« (S. 81)

Die Freundschaft der beiden wird zwar als sehr »ungleich« beschrieben (S. 78), aber trotzdem brauchen beide einander. Hermann braucht Hans als Zuhörer für seine leidenschaftlichen, schulverachtenden Reden; Hans wiederum braucht Hermann als eine Art Idol. Jemand, der er gern wäre, aber sich nicht traut zu sein.

Veröffentlicht am 15. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2023.