Die »Schachnovelle« von Stefan Zweig wurde 1942 erstmals veröffentlicht. Sie schildert Ereignisse an Bord eines Passagierschiffes auf dem Weg von New York nach Buenos Aires. Der Zeitraum der Handlung umfasst wenige Tage des Jahres 1939. Einige Rückblenden ereignen sich außerdem vor dem Hintergrund der deutschen Invasion in Österreich (1938). Hauptfiguren sind der Schachweltmeister Mirko Czentovic, der Ölmillionär McConnor sowie der österreichische Exilant und frühere Anwalt Dr. B. Erzählt wird in der Ich-Form aus der Perspektive eines weiteren Passagiers, dessen Name nicht genannt wird.
Da die »Schachnovelle« während des Zweiten Weltkriegs entstanden ist, gibt es verschiedene Daten der Veröffentlichung. Stefan Zweig verfasste sie zwischen 1938 und 1941 im brasilianischen Exil. Erstmals erschien die Novelle 1942 als »Liebhaberdruck« in Buenos Aires. Danach erschien das Werk in Stockholm (1943), anschließend in New York (1944). Die deutsche Taschenbuchausgabe kam erst 1974 auf den Markt.
Der Erzähler befindet sich auf einem Passagierdampfer mit dem Ziel Buenos Aires. Kurz bevor das Schiff in New York ablegt, erfährt er, dass Schachweltmeister Mirko Czentovic mit an Bord ist. Sein Interesse ist geweckt, denn bisher weiß man nur wenig über das 21-jährige Schachgenie.
Bekannt ist lediglich, dass Czentovic aus einfachen Verhältnissen stammt und völlig ungebildet ist. Seine früh verstorbenen Eltern waren Donauschiffer gewesen. Ein Pfarrer hatte Czentovic als Pflegekind aufgenommen und sich vergeblich bemüht, ihn zu unterrichten. Czentovic kann weder rechnen noch lesen oder schreiben. Sein Talent zum Schachspielen wurde durch Zufall entdeckt und scheint eine Inselbegabung zu sein. Czentovics plumpes Auftreten und sein gieriger Geschäftssinn stehen im Kontrast zu seiner Meisterschaft am Schachbrett.
Während der Überfahrt trifft der Erzähler auf den schottischen Unternehmer und Ölmillionär McConnor. Er teilt ihm mit, dass Czentovic an Bord ist. Großspurig und erfolgsverwöhnt, will McConnor unbedingt gegen den jungen Weltmeister spielen. Czentovic willigt ein, gegen ihn und weitere Passagiere anzutreten, falls er 250 Dollar pro Partie erhalte. Er gewinnt das erste Spiel, worauf McConnor und seine Unterstützer eine Rückrunde fordern. Als auch diese Runde schon an Czentovic zu gehen scheint, mischt sich ein Unbekannter namens Dr. B. in das Spiel ein. Mit seinen Hinweisen verhilft er der Gruppe um McConnor zu einem Remis. Er weigert sich jedoch, anschließend allein gegen Czentovic anzutreten.
Tags darauf begegnet der Erzähler erneut Dr. B. und beginnt ein Gespräch mit ihm. Dr. B. ist überrascht, als er hört, dass die gestrige Partie gegen den amtierenden Schachweltmeister gespielt wurde. Schließlich berichtet er dem Erzähler von den furchtbaren Erlebnissen, auf denen seine eigenen Schachkenntnisse beruhen.
Rückblende
Mitte der 1930er-Jahre sind Dr. B. und sein Vater als Rechtsberater und Vermögensverwalter enge Vertraute des Adels und des Klerus in Österreich. Bis zur deutschen Invasion 1938 gelingt es Dr. B., das Vermögen seiner Klienten vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu bewahren. Doch ein Mitarbeiter denunziert ihn. Einen Tag vor Hitlers Einmarsch in Wien wird er von der SS festgenommen. Man steckt ihn in einem äußerlich komfortablen Hotelzimmer in Isolationshaft, die nur von brutalen Verhören unterbrochen wird.
Um in der Gefangenschaft nicht wahnsinnig zu werden, stiehlt Dr. B. ein Buch aus der Manteltasche eines Gestapo-Mannes. Zunächst ist er enttäuscht, weil es sich um ein Schachbuch handelt. Dann aber beginnt er, sich intensiv mit den geschilderten Partien zu beschäftigen und sie im Geiste nachzuspielen. Anfangs gelingt es ihm so, die Isolation und die Verhöre zu überstehen. Doch im weiteren Verlauf führt seine exzessive Beschäftigung mit dem Schachspiel und das Erfinden eigener Partien zu psychischen Störungen. Dr. B. spielt gedanklich gegen sich selbst und ist so stets Gewinner und Verlierer zugleich. Bereits dem Wahnsinn nahe, greift er während eines manischen Schubes einen Wärter an, verletzt sich und wird ins Krankenhaus gebracht. Hier erklärt ein mitfühlender Arzt ihn für unzurechnungsfähig und erwirkt so seine Freilassung. Seelisch gebrochen macht Dr. B. sich auf den Weg ins südamerikanische Exil.
Nachdem der Erzähler Dr. B. zugehört hat, überzeugt er ihn, doch noch gegen Czentovic anzutreten. Dr. B. willigt ein, betont aber, dass er nur eine einzige Partie spielen will. Er fürchtet, sonst wieder in seine Manie zu verfallen und den Verstand zu verlieren.
Am anderen Tag entscheidet er das Spiel deutlich zu seinen Gunsten. Czentovic fordert Revanche. Entgegen seiner Ankündigung lässt sich Dr. B. sofort darauf ein. Beim Rückspiel verzögert Czentovic seine Züge absichtlich, weil er merkt, dass dies seinen Gegner nervös macht. Dr. B. kann schließlich nicht mehr zwischen dem realen Spiel und einer Partie aus dem Buch, die er noch immer im Kopf hat, unterscheiden. Er steigert sich in eine starke innere Erregung hinein. Schließlich bietet er Czentovic schreiend Schach, obwohl er seinen König gar nicht bedroht.
Dem Erzähler gelingt es, Dr. B. aus seinem Wahn zurück in die reale Welt an Bord des Schiffes zu holen. Als er begreift, was passiert ist, zieht Dr. B. sich aus dem Spiel zurück und entschuldigt sich bei allen Beteiligten. Er kündigt an, nie wieder Schach spielen zu wollen. Czentovic quittiert die halb beendete Partie mit einer herablassenden Bemerkung.
In der »Schachnovelle« treffen mehrere verschiedene Biografien aus unterschiedlichen Gesellschaftsebenen aufeinander. Der Ölmillionär McConnor mit seinem durch Reichtum erworbenen Selbstbewusstsein, der eher unterdurchschnittlich gebildete Mirko Czentovic und Dr. B. mit seinen inneren Dämonen sind Charaktere, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Alle verbindet das Schachspielen, das hier sowohl als elitärer Zeitvertreib (McConnor) wie auch als Rettung und Fluch zugleich (Dr. B.) dargestellt wird.
Neben der besonderen Erzählform durch einen »Ich-Erzähler« setzt der Autor hier vor allem auf Authentizität. Viele der geschilderten Partien sind realen Spielen nachempfunden, wobei sich Stefan Zweig vermutlich an dem Buch »Die hypermoderne Schachpartie« von Savielly Tartakower sowie an einem internationalen Schachturnier aus dem Jahre 1922 in Bad Pistyan orientierte. Dadurch wirken die Ereignisse besonders real, insbesondere der Leidensweg des Dr. B. ist aber auch psychologisch eindringlich und überzeugend dargestellt.