Johann Wolfgang von Goethes Gedicht »Prometheus«, in einer ersten Fassung entstanden zwischen 1773 und 1774, ist eine Ode des Titanen Prometheus an Zeus, den obersten Gott im Olymp, Herrscher des Himmels und selbst Titanensohn. Die Titanen sind in der griechischen Mythologie Riesen in Menschengestalt und das älteste Göttergeschlecht. Prometheus lehnt sich gegen die anmaßende Herrschaft des Zeus auf und behauptet schöpferische Selbständigkeit. Das Werk erschien 1785 in einer nicht autorisierten, 1789 in einer ersten autorisierten Druckfassung. Die Fassung letzter Hand stammt von 1827.
I
Prometheus wendet sich als lyrisches Ich an Zeus, der im Himmel wohnt. Er fordert ihn auf, sich von der Erde fernzuhalten, die er, Prometheus, erschaffen habe. Er meint, dass Zeus ihn um diese beneide.
II
Prometheus ruft die Gesamtheit aller Götter an und nennt sie arme Wesen: Sie seien abhängig von den Opfergaben und Gebeten der Kinder und Bettler.
III
Prometheus gibt zu, dass er sich als Kind in ausweglosen Situationen vertrauensvoll an die Götter gewandt und auf Beistand gehofft habe.
IV
Inzwischen weiß Prometheus, dass er nur dank seiner eigenen Tapferkeit und seines Muts jede Gefahr überlebt hat. Irrtümlich habe er den schlafenden Göttern dafür gedankt.
V
Prometheus wendet sich erneut allein an Zeus. Dieser habe niemals Schmerzen gelindert oder Trauernde getröstet. Folglich gebe es keinen Grund, ihn anzubeten. Zeus sei, ebenso wie Prometheus selbst, der Zeit und dem Schicksal unterworfen. Diese haben ihn zu dem Menschen geformt, der er ist.
VI
Prometheus fragt spöttisch, ob Zeus glaube, er sei an seinen unerfüllten Jugendträumen verzweifelt.
VII
Prometheus erklärt, er erschaffe Menschen, die der Gefühle und des Genießens fähig seien, und die Zeus ebenso wenig verehren wie Prometheus selbst.
»Prometheus« ist ein Gedicht des Sturm und Drang: Die trotzige Selbstbehauptung und der Gestaltungswille des Protagonisten entsprechen dem Menschenbild dieser Epoche. Der freie Rhythmus des Gedichts, der sich in sieben Strophen unterschiedlicher Länge und ohne Reim zeigt, genügt auch formal der Forderung des Dichters nach Abkehr von falschen Autoritäten und dem Aufruf zu individuellem Denken, Handeln und Fühlen. – »Prometheus« wurde 1819 von Franz Schubert vertont.