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Die Entdeckung der Currywurst

»Die Entdeckung der Currywurst« ist eine 1993 veröffentlichte Novelle von Uwe Timm. Hauptfigur ist die frühere Imbissbuden-Betreiberin Lena Brücker, die in Rückblenden ihre Lebens- und Liebesgeschichte erzählt. Die Binnenhandlung spielt im letzten Kriegsjahr 1945 und in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Rahmenhandlung in den späten 1980er Jahren. …

Werkdaten

Titel
Die Entdeckung der Currywurst
Autor
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1993
Originalsprache
Deutsch
Literarische Epoche oder Strömung

Inhaltsangabe

»Die Entdeckung der Currywurst« ist eine 1993 veröffentlichte Novelle von Uwe Timm. Hauptfigur ist die frühere Imbissbuden-Betreiberin Lena Brücker, die in Rückblenden ihre Lebens- und Liebesgeschichte erzählt. Die Binnenhandlung spielt im letzten Kriegsjahr 1945 und in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Rahmenhandlung in den späten 1980er Jahren. Beide sind in und um Hamburg angesiedelt.


Rahmenhandlung

Der Ich-Erzähler besucht die 86-jährige, nahezu erblindete Lena Brücker im Altersheim in Hamburg-Harburg. Er kennt sie seit seiner Kindheit in den 1950er Jahren. Die frühere Nachbarin seiner Tante soll angeblich die Currywurst erfunden haben. An sieben Tagen, die den sieben Kapiteln der Novelle entsprechen, erzählt sie ihm ihre Geschichte.

Binnenhandlung

Am 29. April 1945 lernt die 43-jährige Kantinenchefin Lena Brücker den 24-jährigen Bootsmann Hermann Bremer in einem Hamburger Kino kennen. Bremer ist auf dem Weg von Oslo in die Lüneburger Heide, wo er sich als Panzersoldat zum »Volkssturm« melden soll. Die beiden verbringen eine gemeinsame Nacht in Lenas Wohnung. Hermann desertiert daraufhin und hält sich bei Lena versteckt.

Volkssturm

Im Herbst 1944 standen die Alliierten an den deutschen Grenzen; das Ende des »Dritten Reiches« war absehbar. Um die Niederlage abzuwenden, beschloss die NSDAP den sogenannten »Volkssturm«:

»Es ist in den Gauen des Großdeutschen Reiches aus allen waffenfähigen Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren der Deutsche Volkssturm zu bilden. Er wird den Heimatboden mit allen Waffen und Mitteln verteidigen, soweit sie dafür geeignet erscheinen.« (»Führererlass« vom 25. September 1944)

Unter den schlecht ausgerüsteten Männern waren auch Halbwüchsige, Kranke und Alte. Die wahnwitzige Formation kostete Tausende von ihnen kurz vor Kriegsende das Leben.

Er verschweigt ihr, dass er verheiratet ist und ein Kind hat. Auch Lena spricht nicht über ihre Familie: ihren Mann Willi, genannt »Gary«, der an der Front ist, ihren 16-jährigen Sohn bei der Flak und ihre erwachsene Tochter. Lena hält die Begegnung mit Hermann für ihre letzte Chance, Liebe und Sexualität zu erleben. Während sie tagsüber in der Volkskantine arbeitet, schlägt Hermann die Zeit tot. Er lebt in Furcht vor Entdeckung und fühlt sich seiner Lage zunehmend ausgeliefert. Eines Tages verliert er seinen Geschmackssinn.

Als Hamburg am 3. Mai bedingungslos an die Briten übergeben wird, verschweigt Lena Hermann das Kriegsende. Sie behauptet, die Deutschen würden jetzt mit den Briten und Amerikanern gegen die Russen kämpfen. In der Folgezeit errichtet sie ein Lügengebäude aus angeblichen Kriegsgeschehnissen und neuen Frontverläufen. Das kaputte Radio in der Wohnung kommt ihr dabei gelegen. Erst spät begreift Lena, dass sie ihren Geliebten um sein Leben betrügt.

Die Briten in Hamburg

»Here is radio Hamburg, a station of the allied military government.« Dies hören die Hamburger am Abend des 4. Mai 1945 im Radio, nachdem am Vortag die Stadt kampflos von den Briten eingenommen wurde. Die Hamburger Bevölkerung ist erleichtert; aus vielen Fenstern hängen weiße Laken. Die Briten kontrollieren von nun an alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Die englische Militärpolizei muss sich dabei anfangs von deutscher Polizei einweisen lassen, um die Stadt kennenzulernen. So sieht Bremer eines Tages vom Fenster seines Verstecks aus einen Militärjeep mit deutschen und englischen Polizisten. Dies lässt bei ihm keinen Zweifel mehr an Lenas Geschichte: Briten und Deutsche kämpfen jetzt gemeinsam gegen die Russen.

In den Zeitungen erscheinen Fotos aus den befreiten Konzentrationslagern. Lena ist erschüttert. Abends erzählt sie Hermann, sie habe gehört, in Lagern seien Millionen Juden vergast worden. Seine Antwort, das sei eine Lüge, bringt sie aus der Fassung. Verzweifelt schreit sie ihm die Wahrheit über den verlorenen Krieg und die Verbrechen der Deutschen ins Gesicht. Sie läuft auf die Straße. Als sie zurückkehrt, ist Hermann verschwunden.

Lenas Mann kehrt aus russischer Kriegsgefangenschaft heim. Er ist noch immer derselbe unzuverlässige Frauenheld wie vor dem Krieg. Lena setzt ihn vor die Tür. Sie pachtet eine Wurstbude am Hamburger Großneumarkt. Die Lebensmittel dafür beschafft sie durch abenteuerliche Geschäfte auf dem Schwarzmarkt.

Bei einem Transport gehen Ketchupflaschen zu Bruch. Ihr Inhalt vermischt sich zufällig mit Currypulver. Lena findet die Mischung köstlich. An ihrem Stand bietet sie daraufhin Kalbswürste mit einer Soße aus Curry und Ketchup an. Die »Currywurst« wird zum Verkaufsschlager.

Eines Tages steht Hermann an Lenas Stand. Beide erkennen sich sofort, zeigen es aber nicht. Hermann isst eine Currywurst und erhält in diesem Moment seinen Geschmackssinn zurück. Zum Abschied werfen die beiden sich einen Blick zu.

Rahmenhandlung

Am Ende seiner Besuche macht der Erzähler mit der alten Lena Brücker einen Ausflug in die Hamburger Neustadt. Sie kann die Stätten ihres Lebens zwar kaum noch sehen, aber hören, fühlen und riechen. Als er sie ein halbes Jahr später erneut im Altersheim besuchen will, erfährt er von ihrem Tod.

Comic-Adaptation und Verfilmung

2005 erschien im Hamburger Carlsen Verlag eine Comic-Version der Novelle. Die bekannte Comiczeichnerin Isabel Kreitz setzte die Geschichte in spannende Schwarz-Weiß-Bilder um, für die sie die Kriegs- und Nachkriegssituation in Hamburg akribisch recherchierte. Ein Anhang gibt unter dem Titel »Heldenklau und Ami-Währung« zahlreiche Informationen zu Hamburg in jener Zeit.

2008 entstand auf der Grundlage von Timms Novelle ein Kinofilm unter dem gleichen Titel. Ulla Wagner schrieb das Drehbuch und führte Regie; die Hauptrollen besetzte sie mit Barbara Sukowa (Lena Brücker) und Alexander Khuon (Hermann Bremer).

Veröffentlicht am 10. November 2015. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autor des Werkes

Deutscher Schriftsteller
Der erfolgreiche deutsche Schriftsteller und Drehbuchautor Uwe Timm, Jahrgang 1940, gilt als einer der wichtigsten literarischen Vertreter der 68er-Generation. Sein Werk, darunter die Romane »ROT« (2001) und »Halbschatten« (2008), ist geprägt von der Auseinandersetzung mit der deutschen Kriegs- u…

Hauptpersonen

Lena Brücker

  • 43 Jahre alt (Binnenhandlung)
  • verheiratet; Mutter eines 16-jährigen Sohnes und einer Tochter Anfang 20
  • aufgrund der Kriegswirren von ihrer Familie getrennt
  • lebenstüchtig, kann sich gut allein durchschlagen
  • Chefin einer Volkskantine, kocht hervorragend
  • verliebt sich in Bremer und genießt die Erotik mit ihm
  • mag die Nazis nicht, leistet aber keinen offenen Widerstand

Hermann Bremer

  • 24 Jahre alt
  • verheiratet und Vater eines neugeborenen Kindes
  • Bootsmann im Osloer Admiralsstab; wird zum „Volkssturm“ eingezogen
  • desertiert und versteckt sich bei Lena
  • sexuell erfahren, fantasievoller Liebhaber
  • naiv in Bezug auf den Nationalsozialismus; glaubt an den „Endsieg“ und hält den Mord an Millionen Juden für eine Erfindung

Willi Brücker

  • Ehemann von Lena
  • vor dem Krieg Barkassenführer
  • Frauenheld; wird „Gary“ genannt, weil er wie Gary Cooper aussieht
  • Schmuggler, Spieler und Trinker
  • während des Krieges an der Front
  • untreu und unzuverlässig

Holzinger

  • österreichischer Koch in Lenas Kantine
  • subversiver Regimekritiker
  • Schlitzohr
  • sorgt mit besonderen Zutaten für Magen-Darmprobleme seiner Nazi-Gäste
  • begibt sich mit solchen Aktionen in persönliche Gefahr, kommt aber durch

Lammers

  • Blockwart in Lenas Wohnhaus
  • überzeugter Nazi
  • überwacht die Hausbewohner und spioniert sie aus
  • erhängt sich nach der bedingungslosen Kapitulation
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