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Gehe hin, stelle einen Wächter

»Gehe hin, stelle einen Wächter« (»Go Set a Watchman«) ist ein 2015 erschienener Roman der US-amerikanischen Autorin Harper Lee. Er handelt von einem Vater-Tochter-Konflikt, der in den 1950er Jahren in der fiktiven Kleinstadt Maycomb, Alabama ausgetragen wird. Protagonisten sind die sechsundzwanzigjährige Jean Louise Finch und ihr Vater Atticus. …

Werkdaten

Deutscher Titel
Gehe hin, stelle einen Wächter
Originaltitel
Go Set a Watchman
Autorin
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
2015
Originalsprache
Englisch

Inhaltsangabe

»Gehe hin, stelle einen Wächter« (»Go Set a Watchman«) ist ein 2015 erschienener Roman der US-amerikanischen Autorin Harper Lee. Er handelt von einem Vater-Tochter-Konflikt, der in den 1950er Jahren in der fiktiven Kleinstadt Maycomb, Alabama ausgetragen wird. Protagonisten sind die sechsundzwanzigjährige Jean Louise Finch und ihr Vater Atticus. Gegenstand ihrer Auseinandersetzung sind der Rassismus jener Zeit sowie die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen. Der Roman gliedert sich in sieben Teile mit insgesamt 19 Kapiteln.

Der eigentliche Erstling

Man ist versucht »Go Set a Watchman« (dt. »Gehe hin, stelle einen Wächter«) als Fortsetzung von Harper Lees Roman »To Kill a Mockingbird« (dt. »Wer die Nachtigall stört«) zu lesen: Jean Louise Finch, genannt Scout, ist erwachsen geworden. Doch Harper Lee hat den Wächter-Roman vor ihrem preisgekröntem Erstlingswerk geschrieben. Das Manuskript wurde 1957 vom Verlag abgelehnt, vermutlich weil es angesichts der damaligen Rassenunruhen zu nah am Tagesgeschehen war. Harper Lee wurde empfohlen, ihre Geschichte in die 1930er Jahre zu verlegen. So entstand ihr berühmter Klassiker. Der Entwurf für den Wächter-Roman wurde erst 2013 unter merkwürdigen Umständen gefunden.


Teil I (Kapitel 1 – 3)

Die sechsundzwanzigjährige Jean Louise Finch lebt seit fünf Jahren in New York. Jedes Jahr verbringt sie zwei Wochen in ihrer Geburtsstadt Maycomb, Alabama. Diesmal holt ihr lebenslanger Freund Henry Clinton sie vom Bahnhof ab. Der vier Jahre ältere Henry, genannt Hank, stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Er hat Jura studiert und arbeitet in der Kanzlei von Jeans Vater Atticus Finch (72). Nach dem plötzlichen Herztod seines Sohnes Jem vor zwei Jahren hat Atticus Hank als seinen Nachfolger ausersehen.

Die ehemalige schwarze Haushälterin Calpurnia ist aus Altersgründen entlassen worden. Seither führt Atticus’ Schwester Alexandra den Haushalt. Sie hat Standesbewusstsein und sähe Jean gern als Südstaaten-Lady; Henry zieht sie als Heiratskandidaten für Jean nicht in Betracht.

Teil II (Kapitel 4 – 5)

Maycomb ist ein konservatives Städtchen; Zuwanderer gibt es kaum. Nach dem Krieg ist es nach außen hin moderner geworden. Seine Bewohner, die sich für etwas Besseres halten, haben sich jedoch kaum verändert.

Den ersten Abend verbringt Jean mit Hank. Sie fahren zum früheren Familiensitz »Finch’s Landing«, der inzwischen veräußert ist. Unterwegs erinnert Jean sich an ihre unbeschwerte Kindheit: scheinbar endlose Sommer mit ihrem Bruder Jem und dem gemeinsamen Freund Dill. Jean und Hank baden im Fluss, was am nächsten Tag für einen Skandal in Maycomb sorgt. Hank will Jean heiraten, doch sie weicht aus.

Teil III (Kapitel 6 – 10)

Dr. John Hale Finch, genannt Jack, ist der zehn Jahre jüngere Bruder von Atticus. Jean begegnet ihrem Onkel am nächsten Morgen beim sonntäglichen Kirchgang. Sie kündigt ihren Besuch zum Kaffee an.

Der Titel des Romans

Der Titel des Romans findet sich in der Bibel. Im Buch des Propheten Jesaja heißt es in Kapitel 21 Vers 6: »Denn der Herr sagte zu mir: Gehe hin, stelle einen Wächter, der da schaue und ansage.« Der Prediger Mr Stone zitiert das Bibelwort im Gottesdienst in Kapitel 7 des Buches.

Am Sonntagnachmittag findet Jean unter den Zeitungen ihres Vaters eine Broschüre, in der die Neger als »schwarze Pest« bezeichnet werden. Ungläubig wendet Jean sich an ihre Tante. Sie erfährt, dass Atticus im Vorstand des Bürgerrats von Maycomb County sei. Auch Hank sei Mitglied dort.

Sofort macht Jean sich auf dem Weg zum Gericht, wo der Bürgerrat tagt. Von derselben Stelle, von wo aus sie früher die Gerichtsverhandlungen ihres Vaters beobachtet hat, verfolgt sie die Bürgerratsversammlung. Sie ist schockiert über die rassistische Hetzrede eines Gastredners. Fassungslos sieht Jean, dass ihr Vater am selben Tisch sitzt und nicht widerspricht.

Sie erinnert sich daran, wie Atticus in ihrer Kindheit einen unschuldigen Schwarzen verteidigt hatte, dem die Vergewaltigung einer Weißen vorgeworfen wurde. Atticus hatte einen Freispruch erreicht. Jean hat ihren Vater immer als durch und durch integren Menschen gekannt. Er lebte streng nach seinem eigenen Verhaltenskodex, wurde geachtet und geliebt. Sie ist schockiert, bricht körperlich zusammen und muss sich übergeben. Sie zieht sich in ihr Zimmer zurück.

Der Begriff »Neger«

Harper Lee hat in ihrem Buch den Begriff »negro« verwendet. Übersetzt wird er in der deutschen Fassung mit »Neger«. In einer editorischen Notiz wird dies so begründet: Seine Verwendung war zur Zeit der Entstehung des Manuskripts üblich, »auch wenn der Begriff heute als abwertend gilt«.

Teil IV (Kapitel 11 – 12)

Am nächsten Morgen erinnert sich Jean, wie sie als unwissende Elfjährige geglaubt hatte, schwanger zu sein. Sie wollte sich deshalb umbringen. Beim Frühstück beobachtet sie ihren Vater verstohlen, kann aber äußerlich keine Veränderung bei ihm feststellen.

Hank erscheint und berichtet, dass Calpurnias Enkel Frank im Alkoholrausch einen weißen Mann namens Mr Healy totgefahren habe. Atticus will die Verteidigung übernehmen, um den Fall nicht den Anwälten der NAACP in die Hände zu spielen. Diese Anwälte setzen sich mit verschiedenen legalen Mitteln für einen fairen Prozess ein.

Jean will der alten Köchin und Kinderfrau Calpurnia beistehen und fährt zu ihr. Calpurnia ist es egal, ob Atticus den Fall ihres Enkels übernimmt. Sie behandelt Jean wie eine Fremde. Sie sieht in ihr nicht die einstige Ziehtochter, sondern eine der Weißen, die Schwarze diskriminieren. Jean glaubt, alle Menschen verloren zu haben, die ihr wichtig sind.

Teil V (Kapitel 13 – 14)

Als Alexandra hört, dass Jean bei Calpurnia war, weist sie sie scharf zurecht. Unter dem Einfluss der NAACP hätten die Schwarzen sich gegen die Weißen in Maycomb gewandt, die sie jahrelang unterstützt hätten. Jean kann nicht glauben, dass sich alle um sie herum dermaßen verändert haben und sucht die Schuld bei sich.

Mit dem Damenkränzchen, das Alexandra ihr zu Ehren gibt, kann Jean Louise nichts anfangen. Sie fühlt sich unwohl unter den Frauen der Kleinstadt. Deren Themen sind nicht ihre. Sie malt sich aus, dass sie, wenn sie Hank heiraten würde, dazugehören müsste.

Besonders Hester, eine der Damen Anfang dreißig vertritt in Jeans Augen haarsträubende Ansichten: Sie sieht die Gefahr einer kommunistischen Unterwanderung. Die NAACP habe es zudem darauf abgesehen habe, die Schicht der Weißen durch Heirat mit Schwarzen zu infiltrieren und so den Umsturz zu erreichen.

Jean war immer stolz auf die Regeln und den Anstand, die sie in ihrer Familie von Calpurnia und in Maycomb gelernt hat. Jetzt stürzen die Wahrheiten, auf die sie ihr Leben gebaut hat, ein und gelten nicht mehr. In einem inneren Monolog verteidigt sie ihr Leben in den Südstaaten gegenüber der Kritik und dem Misstrauen, die in New York vorherrschen. Trotzdem wirft sie ihrem Vater vor, ihr jahrelang etwas vorgegaukelt und jetzt alles genommen zu haben.

Von ihrem Onkel Jack erhofft Jean sich eine Erklärung. Jack geht in der Geschichte zurück bis zu den englischen Einwanderern. Nord- und Südstaaten seien unterschiedlich geprägt worden. Der Süden habe seit jeher für eine größere Souveränität der Einzelstaaten gekämpft. Schon nach dem Bürgerkrieg sei dem Süden eine ihm fremde Denkweise aufgenötigt worden. Auch in der jetzigen Debatte um Bürgerrechte für die Schwarzen wehre er sich gegen Bevormundung und Staatsmacht. Jack vermutet, dass es im Kampf zwischen Jean und Atticus um ähnliche Themen gehe.

Amerikanischer Bürgerkrieg

Der Amerikanische Bürgerkrieg oder Sezessionskrieg fand von 1861 bis 1865 in den USA statt. Die Konföderation der Südstaaten war im Winter 1860/61 aus der Union ausgetreten. Die verbliebenen Nordstaaten (Unionsstaaten) setzten sich mit militärischen Mitteln für den Erhalt der Vereinigten Staaten ein. Entzündet hatte sich der Konflikt an der Sklavenfrage. In den unterschiedlichen Auffassungen dazu trat die tiefe politische, wirtschaftliche und soziale Spaltung zwischen Nord und Süd zu Tage.

Der Krieg endete mit der Kapitulation der Südstaaten. Sie wurden wieder in die Union aufgenommen (Reconstruction). In der Folge wurde die Sklavenhaltung in allen Bundesstaaten abgeschafft. Die zentrale Staatsmacht war gestärkt worden und die USA auf dem Weg zum Industriestaat.

Teil VI (Kapitel 15 – 17)

Jean erinnert sich an eine Episode in ihrer Jugend, bei der Atticus und Hank eine hilfreiche Rolle gespielt hatten. Jetzt fühlt sie sich auf ewig von denen getrennt, die ihr Zuhause gewesen sind. Sie will mit Atticus zu reden, trifft im Büro jedoch nur Hank an. Von ihm erfährt sie, dass ihr Vater in jungen Jahren Mitglied im Ku-Klux-Clan gewesen ist. Sie macht Hank seine Mitgliedschaft im Bürgerrat zum Vorwurf. Henry verteidigt sich: Anders als Scout müsse er sich anpassen. Seine Herkunft erlaube ihm nicht, sich die Stadt zum Feind zu machen, der er dienen wolle. Jean nennt ihn einen Heuchler und weiß, dass sie ihn nicht heiraten kann.

Atticus erscheint und es kommt zum Streit mit Jean. Atticus nennt die schwarze Bevölkerung rückständig und nicht reif für die vollen Staatsbürgerrechte. Er ist gegen die Aufhebung der Rassentrennung. Scout dagegen fordert Chancengleichheit. Sie verlangt, dass ihr Vater die Neger mit demselben Anstand behandelt, wie er Jean als Kind behandelt hat. Sie wirft ihm vor, sie getäuscht zu haben. Er habe sie Toleranz und Gerechtigkeit gelehrt, sein Verhalten aber erteile diesen Werten eine Absage. Sie habe an ihn geglaubt und zu ihm aufgeschaut. Jetzt falle er vom Podest. Jean verliert sich in wüsten Beschimpfungen. Atticus sagt am Ende, dass er sie liebe.

Teil VII (Kapitel 18 – 19)

Die aufgebrachte Jean packt ihre Sachen und will nach New York zurück. Ihr Onkel versucht sie aufzuhalten. Als Worte nicht ausreichen, schlägt er zu. Dann zwingt er ihr einen Whiskey auf und nennt sie mutig. Sie habe sich von ihrem Vater gelöst und zu sich selbst gefunden: Der Wächter jedes Menschen sei sein eigenes Gewissen. So etwas wie ein kollektives Gewissen gebe es nicht.

Nachdenkenswert

Am Ende schlägt Jack seiner Nichte vor, wieder nach Maycomb zu ziehen. Sie fürchtet, dort keine geistige Heimat zu haben. Jack hält dagegen: »Deine Freunde brauchen dich, wenn sie im Irrtum sind. Sie brauchen dich nicht, wenn sie recht haben.«

Nachdem Jean ihren Onkel nach Hause gebracht hat, fährt sie zur Kanzlei. Sie verabredet sich für den Abend mit Hank, um sich zu verabschieden: Sie wird seine Freundin bleiben, aber als Ehepartner passen sie nicht zusammen. Atticus macht seiner Tochter keine Vorwürfe für ihr Verhalten am Vormittag. Er ist stolz auf ihre Eigenständigkeit. Die beiden können sich versöhnen.


Der Roman ist in einer poetischen und bildhaften Sprache verfasst. In Harper Lees erstem Roman (»Wer die Nachtigall stört«) erzählt Scout aus der Ich-Perspektive; im »Wächter« dagegen gibt es einen personalen Erzähler, der die Perspektive der erwachsenen Jean einnimmt. Das Werk wurde von der Kritik sehr gemischt aufgenommen und erhielt zahlreiche negative Rezensionen. Nachdem die Autorin 50 Jahre lang geschwiegen hatte, waren hohe Erwartungen mit der Neuerscheinung verbunden. Um beiden Romanen gerecht zu werden, sollten sie getrennt voneinander betrachtet werden. Der komplexere »Wächter« ist das eigentliche Debüt und angesichts neuer Rassenunruhen (zum Beispiel Ferguson 2014) von beklemmender Aktualität; die »Nachtigall« ist das spätere und literarisch reifere Buch.

Veröffentlicht am 15. September 2015. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autorin des Werkes

US-amerikanische Schriftstellerin
Harper Lee (1926 bis 2016) war eine US-amerikanische Schriftstellerin. Berühmt wurde sie durch den 1961 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman »To Kill a Mockingbird« (dt. »Wer die Nachtigall stört«). Bis 2015 war dies ihr einziges veröffentlichtes Werk.

Hauptpersonen

Atticus Finch

  • Rechtsanwalt in Maycomb, Alabama
  • 72 Jahre alt, leidet unter Arthritis
  • ist Witwer und hat seine Kinder Jean und den älteren Jem allein aufgezogen
  • hat nach dem Tod seines Sohnes dessen Jugendfreund Henry Clinton als Ziehsohn aufgenommen
  • hat seine Kinder zu Toleranz und Eigenständigkeit erzogen
  • lebt nach seinem eigenen Verhaltenskodex
  • wird wegen seiner Integrität, seines Humors und seiner Geduld respektiert und geschätzt
  • ist im Vorstand des Bürgerrats von Maycomb County; der
  • versucht mit dem Bürgerrat, den Kampf der Schwarzen zu steuern und den Einfluss des NAACP gering zu halten
  • beruft sich auf Thomas Jefferson, einen der Gründungsväter der USA: das Wahlrecht müsse verdient werden und gelte nur für gebildete Schichten
  • hält Schwarze für nicht reif zur Ausübung der Bürgerrechte
  • verteidigt einerseits die Rassentrennung, andererseits die Verfassung, vor der alle Bürger gleich sind
  • liebt seine Tochter und hält es für notwendig, dass sie sich emanzipiert

Jean Louise Finch

  • 26 Jahre alt und lebt in New York
  • verbringt jeden Sommer zwei Wochen in ihrer Heimatstadt Maycomb, Alabama
  • temperamentvoll und leidenschaftlich
  • verehrt ihren Vater als moralische Instanz
  • blickt auf eine behütete Kindheit zurück und ist stolz auf ihre Erziehung
  • wird von ihrem Jugendfreund Henry umworben
  • denkt liberal und ist der geistigen Enge Maycombs entwachsen
  • fühlt sich von ihrem Vater hintergangen, als sie von seiner Einstellung zu den Schwarzen erfährt
  • leidet körperlich und seelisch unter der Loslösung von ihrem Vater
  • muss erkennen, dass Menschen ambivalent sind
  • versteht, dass Henry ihr in seiner Angepasstheit nicht ebenbürtig ist
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