Jurek Beckers 1969 in der DDR erschienener Roman »Jakob der Lügner« spielt während der Nazi-Herrschaft in einem fiktiven Ghetto in Polen. Protagonist ist der Jude Jakob Heym, der den Menschen im Ghetto Hoffnung und Lebenswillen einflößt, indem er Nachrichten über das Vorrücken der Roten Armee erfindet, die er aus einem sich angeblich in seinem Besitz befindlichen Radio haben will. Am Ende halten seine Lügen der grausamen Wirklichkeit nicht stand.
Anders als Jakob hat der Ich-Erzähler den Holocaust überlebt. Jakob hat ihm die Geschichte anvertraut, die der Erzähler – unterbrochen von eigenen Erinnerungen, Reflexionen und Ansichten – schildert.
Wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Ghettoverordnung meldet Jakob sich auf dem Revier, wo er im Radio die Meldung hört, dass die Rote Armee zwanzig Kilometer vor dem einige hundert Kilometer entfernten Bezanika stehe.
Mischa, ein junger Mann, der mit Jakob am Güterbahnhof Kisten trägt, will unter Einsatz seines Lebens Kartoffeln von einem Eisenbahnwaggon klauen. Um ihn davon abzuhalten, erzählt Jakob ihm von Bezanika und behauptet ein Radio zu besitzen, was den Bewohnern des Ghettos bei Todesstrafe verboten ist.
Bevor Jakob Mischa die Wahrheit sagen kann, wird er schon von seinem alten Freund Kowalski auf das Radio angesprochen. Die guten Nachrichten verbreiten sich wie ein Lauffeuer im Ghetto.
Mischa ist seit einem Jahr befreundet mit Rosa Frankfurter. Er teilt sein Zimmer mit Fajngold, von dem er sagt, er sei taubstumm, damit Rosa hinter einer spanischen Wand mit ihm schläft. Rosa schmiedet in Mischas Bett Zukunftspläne und richtet in Gedanken das künftige Haus ein.
Bei der Arbeit am Güterbahnhof spricht der religiös lebende Herschel Stamm, der sommers wie winters seine Schläfenlocken unter einer Fellmütze versteckt, den Erzähler auf die Neuigkeiten an. Kowalski bedrängt Jakob wegen weiterer Nachrichten. Jakob sieht sich gezwungen welche zu erfinden, um die Hoffnung im Ghetto aufrechtzuerhalten.
Jakob sorgt für die achtjährige Lina, deren Eltern zwei Jahre zuvor deportiert worden sind, und die auf dem Dachboden versteckt lebt. Ihren Keuchhusten behandelt Professor Kirschbaum, ehemals ein international anerkannter Herzspezialist.
Die Nachricht vom Vorrücken der Russen nährt die Zukunftshoffnung: Hochzeitstermine werden festgelegt und alte Schulden angemahnt. Gleichzeitig entstehen zwei Parteien: Die eine fiebert nach Neuigkeiten, die andere, zu der Herschel Stamm gehört, fühlt sich von der Existenz des Radios und dem Verstoß gegen die Ghettoverordnung bedroht.
Ein tagelanger Stromausfall bedeutet eine kurze Atempause für Jakob. Als der Schaden behoben ist, nehmen die Anfragen an Jakob drastisch zu. Um an Informationen zu gelangen, holt er eine zerschnittene Zeitung aus dem Klosetthäuschen der Deutschen. Als ein deutscher Soldat sich dem Häuschen nähert, lenkt Kowalski ihn ab und rettet so Jakob das Leben. Die Zeitung liefert Jakob nicht die erhofften Informationen und in seiner Not behauptet er, dass das Radio kaputt sei.
Kowalski erscheint in Jakobs Zimmer, um nach Neuigkeiten zu fragen. Lina wird Zeugin des Gesprächs.
Die Nachricht von dem defekten Radio löst im Ghetto Betroffenheit aus.
Auf dem Güterbahnhof ist ein Wagen abgestellt, aus dem Stimmen zu hören sind. Trotz strikten Verbots nähert sich Herschel Stamm zweimal dem Waggon und erzählt den Menschen von den vorrückenden Russen. Herschel wird erschossen und Jakob fühlt sich schuldig, hält aber dagegen, dass er möglicherweise anderes Unheil verhindert habe. Er erkennt, wie wichtig das vermeintliche Radio für die Menschen ist: Es soll wieder funktionieren, und er will die Nachrichten nach einem genauen Plan verbreiten.
Lina besteht darauf das Radio zu sehen. Hinter einem Vorhang im Keller spielt Jakob für sie Radio. Er will, dass Lina die Wahrheit kennt. Lina versteht, dass Jakob das Radio ist.
Professor Kirschbaum wirft Jakob vor, durch die Verbreitung der Nachrichten alle in Gefahr zu bringen. Jakob verteidigt sich: Er gebe den Menschen Mut und Hoffnung. Schließlich räumt der Professor ein, dass es in letzter Zeit keine Selbstmorde mehr gegeben habe.
Wenige Tage später wird Professor Kirschbaum von zwei Gestapo-Männern abgeholt. Er soll Sturmbannführer Hardtloff nach einem Herzanfall behandeln. Kirschbaum erkennt die Aussichtslosigkeit seiner Situation und vergiftet sich während der Fahrt zu Hardtloffs Villa.
Als Schmidt, ein assimilierter Jude, beim Ausschaufeln einer Fäkaliengrube zusammenzubrechen droht, lassen ihm Jakobs Informationen über ein Interview mit Churchill neue Kräfte zuwachsen.
Die Deportationen ganzer Straßenzüge nehmen zu. Mischa kann durch besonnenes Handeln Rosa retten. Ihre Eltern werden deportiert. Rosa wohnt jetzt bei Mischa. Sie will Jakob aufsuchen, um ihn wegen seiner Lügen zur Rede zu stellen. Sie trifft auf Lina, die sich – heimlich beobachtet von Jakob – über Rosas Unterstellungen empört zeigt und die Existenz des Radios bezeugt. Gleich darauf wird Elisa Kirschbaum, die Schwester des Professors, von den Deutschen abgeholt.
Danach verlässt Jakob alle Kraft. Als Kowalski bei ihm erscheint, beichtet ihm der geschwächte Jakob, dass er kein Radio besitze. In der Nacht erhängt sich Kowalski. Jakob macht sich Vorwürfe und nimmt das vermeintliche Radio wieder in Betrieb.
Der Erzähler verkündet, dass sich Jakobs Geschichte dem Ende nähert. Er will zwei Enden erzählen: eines, das ihm passend erscheine, und das tatsächliche Ende.
In dem Ende des Erzählers ist Jakob entschlossen der Geschichte ein Ende zu machen und zieht sich immer mehr von den anderen zurück. Er bringt Lina zu Mischa und Rosa. Beim Versuch über die Grenze des Ghettos zu fliehen wird er von einem Wachposten erschossen. In derselben Nacht kommt die Rote Armee und befreit das Ghetto.
Im tatsächlichen Ende wird das Ghetto geräumt. Die Bewohner, unter ihnen Jakob, Lina und der Erzähler, werden in Eisenbahnwaggons in ein Konzentrationslager gebracht. Unterwegs teilt Jakob dem Erzähler seine Geschichte mit.
Fast beiläufig und ohne Pathos schildert Jurek Becker den Alltag der Juden im Ghetto und die Willkür- und Terrorherrschaft der Besatzer. Mit seinem nahezu heiteren und ironischen Stil verstärkt der Autor den Eindruck des Grauens.
Für seinen ersten Roman »Jakob der Lügner« erhielt der Autor 1971 den Heinrich-Mann-Preis und 1975 den Nationalpreis der DDR. Das Buch wurde 1974 von Frank Beyer verfilmt. Als einziger Film der ehemaligen DDR erhielt er eine Oscar-Nominierung. 1999 erfolgte eine Neuverfilmung als Hollywood-Produktion.