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Der Richter und sein Henker

Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1952
Literarische Epoche oder Strömung

Über das Werk

Das Werk »Der Richter und sein Henker« wird von Friedrich Dürrenmatt zuerst als eine kriminalistische Fortsetzungsgeschichte konzipiert, die zwischen dem 15.12.1950 und dem 31.3.1951 in der Wochenzeitschrift »Der Schweizerische Beobachter« veröffentlicht wird.

Es handelt sich hier um eine Auftragsarbeit, die der Autor damals in erster Linie aus finanziellen Nöten angenommen hat. Dürrenmatt ist gezwungen zu schreiben, um seine Familie zu ernähren. Seine ersten Theaterstücke haben ihm wenig Erfolg eingebracht, sodass er sich in dieser Zeit mehr schlecht als recht mit diversen Auftragsarbeiten finanziell über Wasser hält. Auch das Werk »Der Richter und sein Henker« findet 1952 nach seiner Erstveröffentlichung in Buchform im Benziger Verlag sowohl beim Publikum als auch in literarischen Fachkreisen wenig Anklang.

Das Genre des Kriminalromans, das in der Literaturszene der 50er-Jahre kaum Beachtung findet und als leichte Kost der Trivialliteratur zugeordnet wird, reizt Dürrenmatt besonders, denn niemand vermutet dahinter eine ernstzunehmende literarische Lektüre. Der Autor bricht mit diesen Vorurteilen, indem er dieses Genre für seine Werke auswählt, um seine Kunst genau dort zu platzieren, wo sie niemand vermutet. In seinen drei Kriminalromanen – »Der Richter und sein Henker« (1952), »Der Verdacht« (1953) als sein Fortsetzungsroman und »Das Versprechen« (1958) – bedient er sich zwar jeweils des bekannten Musters eines Kriminalromans, entwickelt darin aber immer auch seine eigene Art des Umgangs damit.

So entspricht der Handlungsverlauf in seinem Werk »Der Richter und sein Henker« nur auf den ersten Blick einem klassischen Kriminalroman: Zu Beginn steht ein Mord, ein Kommissar und sein Assistent nehmen die Ermittlungen auf, und am Ende kann ein Täter entlarvt werden. Doch Dürrenmatt geht weit über die reine Ausführung dieses Schemas hinaus und treibt mit dem Genre sein Spiel. Immer wieder unterläuft der Autor das Handlungsschema, und im Verlauf der Geschichte kommt langsam eine zweite, tiefere Ebene zum Vorschein.  

Im Mittelpunkt des Romans steht nämlich plötzlich nicht mehr der Mord am Polizisten Schmied, mit dem der Autor die Geschichte eingeleitet hat. Vielmehr ist es nun eine Wette um die mögliche oder nicht mögliche Aufdeckung von Verbrechen, die vom Hauptprotagonisten, dem Kommissar Bärlach, vor 40 Jahren mit Gastmann, einem Abenteurer, in Konstantinopel in einer Kneipe abgeschlossen wurde und von ihm unbedingt gewonnen werden muss, wobei sich Bärlach illegaler Methoden bedient und seinen Mitarbeiter Tschanz auf heimtückische Art und Weise manipuliert, um seinen Kontrahenten für seine Verbrechen zu ahnden.   

Als Anregung für seine Kriminalgeschichte gibt Dürrenmatt selbst an, dass ihm Theodor Fontanes Roman »Der Stechlin« (1899) und Georges Simenons Kommissar Maigret  – nämlich der Roman »Maigrets erste Untersuchung« (1949) – als Vorbilder gedient hätten.

Als Schauplatz wählt Dürrenmatt nicht ­ – wie normalerweise üblich in Kriminalromanen – die pulsierende Großstadt, sondern es ist die beschauliche Idylle am Bielersee, in der er sowohl die Morde wie auch die geheimen Machenschaften der Schweizer Wirtschaftselite ansiedelt. Es ist seine eigene Heimat, die er damit in den Mittelpunkt des Romans stellt, denn Dürrenmatt wohnte von 1952 bis zu seinem Tod mit seiner Familie in der Nähe des Bielersees.

So sind die Orte, an denen das doppelbödige Spiel des Hauptprotagonisten Kommissar Bärlach seinen Lauf nimmt, im Roman bis ins kleinste Detail genau beschrieben und entsprechen der Realität. 

Im Roman »Der Richter und sein Henker« gelingt es Dürrenmatt, seine Kriminalgeschichte, über die Aufklärung des Mordfalles hinaus, auf eine philosophische Ebene zu heben. Dem Autor geht es nämlich um das Wesen des Menschen an sich und seine Rolle in dieser durchrationalisierten und technisierten Welt. Zeit seines Lebens hat sich Dürrenmatt mit der Frage beschäftigt, inwieweit menschliche Handlungen von Vernunft und Verstand geleitet werden oder doch eher vom Zufall geprägt sind. Im weitesten Sinne geht es ihm um die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, die den Menschen von Beginn seiner Existenz an umtreibt. Dieser zeitlosen Thematik ist es letztendlich zu verdanken, dass dieser Roman über seinen historischen Kontext hinaus in der heutigen Zeit noch immer nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat und in den Gymnasien immer noch als Schullektüre dient.  

Veröffentlicht am 5. Oktober 2012. Zuletzt aktualisiert am 3. März 2024.

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