Der Jugendroman »Ins Nordlicht blicken« von Cornelia Franz wurde 2012 veröffentlicht. Er handelt von der Selbstfindung des Protagonisten Pakkutaq Wildhausen, genannt Pakku. Als Siebzehnjähriger nimmt er die Identität des gleichaltrigen Jonathan Querido an. Neun Jahre später wird Pakku von seiner Vergangenheit eingeholt. Der Roman thematisiert zudem das Phänomen der globalen Erwärmung und seine Auswirkungen. Schauplätze der Handlung sind Hamburg, verschiedene Orte in Grönland sowie das Kreuzfahrtschiff »MS Alaska«. Die erzählte Zeit umfasst die Jahre 2011 bis 2020; Rückblenden reichen zurück bis in die späten 1960er Jahre; der Epilog spielt im Jahre 2025.
Die knapp 280 Seiten des Romans sind in 48 Kapitel mit zwei Handlungssträngen unterteilt. Abwechselnd werden die Ereignisse der Gegenwart (Jonathans/Pakkus Schiffsreise nach Grönland, die Reise mit Shary durchs Land) und die Rückblenden (Pakkus Leben in Grönland, seine Flucht und die erste Zeit in Hamburg) erzählt.
- Handlungsstrang I umfasst 24 Kapitel und schildert die Gegenwart im Jahr 2020.
- Handlungsstrang II umfasst 23 Kapitel und schildert in Rückblenden die Ereignisse im Jahre 2011.
- Der Epilog in Kapitel 48 fasst die Ereignisse im Zeitraum 2020 bis 2025 zusammen und beschließt den Roman.
Im Handlungsstrang I wird in der dritten Person erzählt, der Er-Form;
im Handlungsstrang II tritt Pakkutaq als Ich-Erzähler auf.
Es folgt die Inhaltsangabe in chronologischer Reihenfolge.
Leben in Grönland
Im Jahre 2011 lebt der siebzehnjährige Pakkutaq, genannt Pakku, bei seinem alkoholabhängigen deutschen Vater Peter Wildhausen in Grönlands Hauptstadt Nuuk. Pakkus Mutter Evie Kristiansen, eine Inuk, war bald nach seiner Geburt an einer Überdosis Heroin gestorben. Pakku wurde von seiner Großmutter im Wendland aufgezogen. Nach deren Tod kam er im Alter von neun Jahren zu seinem Vater nach Nuuk. Eine Beziehung entwickelte sich zwischen den beiden nicht.
Peter ist besessen von der Idee mit Pakku eine Bienenzucht aufzubauen. Seine Pläne gründen sich auf den Klimawandel und die Erderwärmung, die Grönland verändern wird. Pakku findet die Idee des meist betrunkenen Vaters absurd, hat jedoch keine eigene Vorstellung von der Zukunft. Wie sein Freund Aqqaluk und dessen Bruder Angaju arbeitet Pakku als Krabbenpuler in der illegalen Fischfabrik von Sven Kristiansen.
Obwohl er sich nach Liebe und Sex sehnt, entzieht Pakku sich den Verführungsversuchen der hübschen Maalia. Er will sich nicht binden; er träumt davon das Land und sein trostloses Zuhause zu verlassen. Der abendlichen Langeweile entflieht Pakku, indem er im Internet Backgammon spielt. Mit seinem virtuellen Gegner Spider verabredet er sich in Hamburg.
Grönland liegt in der Arktis und ist die größte Insel der Erde. Geografisch und geologisch gehört Grönland zu Nordamerika. Die 300 km breite Davisstraße (engl.: Davis Strait) trennt Grönland von der kanadischen Baffininsel (engl.: Baffin Island). Grönland ist ungefähr sechsmal so groß wie Deutschland und besteht zu vier Fünfteln aus dem sogenannten Inlandeis oder Eisschild. Im arktischen Klima leben der für die Region typische Eisbär sowie der Moschusochse. Auch Polarfuchs, Polarhase und zahlreiche Vogelarten sind hier heimisch. Das Land ist reich an Bodenschätzen, die durch das schmelzende Eis zugänglich werden. Die Ausbeutung Grönlands durch internationale Großkonzerne ist absehbar.
Flucht von Grönland nach Hamburg
Pakku organisiert seine Fahrt nach Hamburg als »blinder Passagier« auf der »MS Alaska«. In einer Styroporkiste versteckt lässt er sich von Aqqaluk an Bord des Kreuzfahrtschiffs schmuggeln. Am vorletzten Tag der Reise wird er von dem philippinischen Schiffsjungen Jonathan Querido entdeckt. Der will ihn beim Kapitän anzeigen. In einem verzweifelten Kampf erschlägt Pakku Jonathan. Er zieht dessen Uniform an und nimmt die Identität von Jonathan Querido an. Den als Pakkutaq verkleideten Toten wirft er über Bord.
Leben in Hamburg
In Hamburg geht Pakkutaq in das Café, in dem er mit Spider verabredet ist. Dort begegnet er Lloyd, einem wohlhabenden Architekten, den er zunächst für Spider hält. Lloyd nimmt den mittellosen Pakkutaq wie einen Sohn bei sich auf. In einem Bildhauer-Atelier in Lloyds Wohnung beginnt Pakkutaq Steine zu bearbeiten. Über seine Vergangenheit schweigt er sich aus.
Ein von Lloyd beauftragter Privatdetektiv findet heraus, dass der elternlose Jonathan Querido der Drogenszene der philippinischen Hauptstadt Manila entkommen ist. Unterdessen sucht Peter Wildhausen in Hamburg nach seinem Sohn Pakku und spürt ihn bei Lloyd auf. Lloyd hält den Unbekannten für einen Verfolger aus dem Drogenmilieu. Aus Sorge um Pakkutaq, alias Jonathan Querido, tötet er Peter Wildhausen. Am selben Tag bringt Lloyd Pakkutaq in eine Internatsschule, wo er eine Steinmetzausbildung beginnen soll. Die beiden sehen sich nie wieder.
Schiffsreise nach Grönland
Im Jahre 2020 reist Pakkutaq, noch immer unter dem Namen Jonathan Querido, auf der »MS Alaska« von Hamburg nach Grönland. An Bord lernt er Shary Enekson kennen. Shary ist 25, in Grönland geboren und lebt seit ihrem vierten Lebensjahr mit ihren Eltern in Kopenhagen. Das Land, in dem ihre Eltern aufgewachsen sind, existiert so nicht mehr. Das Leben in Grönland verändert sich. Das ewige Eis schmilzt und legt Bodenschätze frei. Daneben boomt der Tourismus. Beides beschert dem Land ungekannten Wohlstand. New York dagegen ist 2019 untergegangen. Auch große asiatische Küstenstädte sind Opfer von Überflutungen geworden.
Spuren sogenannter Treibhausgase in der Atmosphäre erzeugen einen natürlichen Treibhauseffekt. Ihm verdanken wir unter anderem eine bodennahe Durchschnittstemperatur von etwa +15° C statt -18°C. Seit Jahrzehnten nehmen die vom Menschen verursachten Treibhausgase in der Atmosphäre jedoch stetig zu. Insbesondere Kohlendioxid (CO2) wird in großen Mengen freigesetzt. Verantwortlich dafür ist vor allem die Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas). Zudem gehen mit der massiven Rodung der tropischen Regenwälder Ökosysteme verloren, die zum Beispiel durch Verdunstungskälte das Klima auf der Erde im Gleichgewicht halten.
Der aus dem Gleichgewicht geratene Treibhauseffekt führt zu einem weltweiten Temperaturanstieg. Dies hat gravierende Folgen für die Umwelt: Die arktischen Gletscher und das grönländische Inlandeis schmelzen. Forscher der US-Weltraumbehörde NASA erwarten einen Anstieg des Meeresspiegels um mindestens einen Meter in den nächsten 100 bis 200 Jahren. Damit drohen niedrig gelegene Landstriche, unter ihnen ganze Inselstaaten wie die Malediven und Großstädte wie Tokio und Singapur, im Meer zu versinken.
Aufenthalt in Nuuk
Die »MS Alaska« erreicht Nuuk; Pakku und Shary gehen an Land. In der einst verschlafenen Kleinstadt herrscht rege Bautätigkeit und Pakku findet sich nicht mehr zurecht. Zufällig entdeckt er auf dem Friedhof einen Grabstein mit seinem eigenen Namen. Er ist erschüttert. Shary nimmt an, dass Pakkutaq sein Freund war; Pakku lässt sie in dem Glauben.
Pakku macht sich auf die Suche nach seinem Vater. Die Siedlung mit den landestypischen Holzhäusern, wo die beiden einst gelebt hatten, ist abgerissen worden. Von Angaju erfährt Pakku, dass sein Vater in den Süden gezogen ist.
Von Nuuk nach Nanortalik
Mit einem alten Stückgutfrachter reisen Pakku und Shary nach Nanortalik im Süden Grönlands. Unterwegs fragt Pakku in den Häfen vergeblich nach seinem Vater. Nebenbei erfährt er, dass im Süden der Insel inzwischen tatsächlich Honig produziert wird. In Qaqortoq, der Bildhauerstadt Grönlands, bewundert er die Skulpturen. Der schweigsame Pakkutaq erkennt plötzlich, dass er als Steinmetz Sprache und Ausdruck gefunden hat.
In Nanortalik
In Nanortalik trifft Pakkutaq auf Aqqaluk. Er bittet ihn, Shary im Glauben zu lassen, er sei Jonathan Querido. Die früheren Freunde ertränken ihre Unsicherheit und Angst anfangs in Alkohol. Später erfährt Pakkutaq, dass einige Wochen nach seiner Flucht eine Leiche mit seinen Papieren in Dänemark angespült worden war. Aqqaluk gesteht die Erpressung des Küchenchefs der »MS Alaska«, Grönemeyer. Aqqaluk und Sven Kristansen hatten ihm die Schuld am Tod des vermeintlichen Pakku gegeben. Im Gegenzug schildert Pakku die Ereignisse auf der »MS Alaska«. Aqqaluk ist verwirrt. Zu der früheren Vertrautheit finden die Freunde nicht zurück.
Von Gunnar Kleist, einem früheren Geschäftspartner seines Vaters, erfährt Pakkutaq, dass sein Vater in Hamburg umgebracht worden ist. Aus den Tatumständen und dem Todestag folgert Pakku, dass Lloyd der Täter war.
Reise nach Qaanaaq
Pakkutaq und Shary fliegen von Nanortalik nach Quaanaaq im äußersten Norden Grönlands. Aus der Luft kann Pakku erkennen, wie Grönland von den Energiekonzernen großflächig ausgebeutet wird.
Ab 1951 wurde in der Nähe des heutigen Qaanaaq ein amerikanischer Militärstützpunkt eingerichtet. Pakkus Mutter wurde 1968 in Qaanaaq geboren. In jenem Jahr stürzte in der Gegend ein Flugzeug mit atomaren Sprengköpfen ab. Die Verseuchung mit Plutonium zog die soziale Verelendung der dortigen Bevölkerung nach sich. Auf dem Friedhof in Qaanaaq findet Jonathan das Grab seiner Mutter. Zum ersten Mal fühlt er sich als Grönländer.
Nach jahrzehntelangen Kämpfen um Selbstverwaltung ist Grönland eine »Nation innerhalb des Königreichs Dänemarks« mit eigenem Parlament und eigener Regierung. Staatsoberhaupt ist die dänische Königin. Grönland ist abgesehen von der Antarktis das am dünnsten besiedelte Gebiet der Erde. Nur etwa 58.000 Menschen leben hier, die meisten von ihnen an der Westküste, knapp 17.000 in der Hauptstadt Nuuk.
Zurück zur wahren Identität
Zurück in Nuuk, entfernt Pakkutaq seinen Namen vom Grabstein und meißelt Jonathan Queridos’ Namen hinein. Unterdessen hat die »MS Alaska« am Ende einer Rundfahrt erneut den Hafen von Nuuk erreicht. Auf der Rückfahrt nach Hamburg gesteht Pakkutaq Shary seine wahre Identität und erzählt ihr seine Lebensgeschichte. In Hamburg stellt er sich der Polizei und wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er und Shary heiraten. Mit dem gemeinsamen Sohn Minik reisen sie im Jahr 2025 erneut nach Grönland.
Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten die Dänen plötzlich das Industriezeitalter nach Grönland. Dies stürzte die Gesellschaft der Jäger und Fischer in eine tiefe Identitätskrise. Massive soziale Probleme prägen Grönland bis heute. Verantwortlich dafür sind auch die geringe Bildung großer Teile der Bevölkerung sowie die gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich. Der weit verbreitete Alkoholismus hat nicht nur gesundheitliche Folgen, sondern ist verantwortlich für die hohe Kriminalitätsrate. Das Land hat eine der höchsten Selbstmordraten der Welt.