Wolfgang Borchert wurde am 20. Mai 1921 in Hamburg als einziges Kind seiner Eltern geboren. Sein Vater, Fritz Borchert, war Volksschullehrer, seine Mutter, Hertha Borchert, geb. Salchow wurde später als plattdeutsche Heimatschriftstellerin bekannt. Sie veröffentlichte ihre Erzählungen in Zeitungen und niederdeutschen Zeitschriften, publizierte einen Prosaband und arbeitete für den Rundfunk. Wolfgang Borchert hatte zeitlebens ein sehr enges Verhältnis zur Mutter, während das zum Vater eher schwierig und konfliktbeladen war. Dennoch war der Vater sein erster Zuhörer und Leser und tippte auch während der Krankheit des Sohnes all seine Werke auf der Schreibmaschine ab.
Aus Wolfgang Borcherts Kindheit ist nicht viel bekannt. Er galt als lebhafter und intelligenter Junge. Seine früh ausgeprägte Beobachtungsgabe, seine Fröhlichkeit sowie sein Hang zu Witz und Schabernack schlugen sich in seinem späteren Schaffen nieder.
Von 1928 bis 1932 besuchte Wolfgang Borchert die Volksschule in Hamburg-Eppendorf, danach ging er auf die Oberrealschule Eppendorf, die er 1938 nach Abschluss der Obersekunda (nach der 11. Klasse) verließ. Die Familie war mit vielen Schriftstellern, Journalisten und Künstlern befreundet, wodurch der Sohn bereits frühzeitig mit Literatur und Kunst in Kontakt kam. Mit 15 Jahren begann Borchert, selbst Gedichte zu schreiben, und bereits 1938, mit 17 Jahren, konnte er seine ersten Werke im »Hamburger Anzeiger« veröffentlichen. Diese frühen Gedichte unterscheiden sich in Sprache und Stil noch sehr von der Originalität und Unverwechselbarkeit des späteren Wolfgang Borchert, sie sind konventionell in der Form und sprachlich von starkem Pathos geprägt. Die literarischen Vorbilder des jungen Wolfgang Borchert – Rilke, Hölderlin, Benn und Trakl – sind deutlich erkennbar.
Im Dezember 1937 besuchte Borchert eine Inszenierung von Shakespeares »Hamlet« im Thalia Theater Hamburg mit dem berühmten Schauspieler Gustaf Gründgens in der Hauptrolle. Diese erste Begegnung mit dem Theater hat Borchert nachhaltig geprägt und war ausschlaggebend für seinen Wunsch, Schauspieler zu werden. Auch schrieb er in der Folge selbst drei Theaterstücke, die jedoch alle unveröffentlicht und unaufgeführt blieben. So entstand 1938 sein erstes Drama »Yorick der Narr«, 1939 zusammen mit seinem Freund Günter Mackenthun die Komödie »Käse« und 1940 das Drama »Granvella. Der schwarze Kardinal«.
1939 begann Wolfgang Borchert auf Wunsch seiner Eltern eine Lehre als Buchhändler in der Buchhandlung Heinrich Boysen. Dennoch blieb sein Wunsch, Schauspieler zu werden, weiter bestehen und er nahm heimlich Schauspielunterricht bei dem Schauspieler und Regisseur Helmuth Gmelin.
Bereits frühzeitig zeigte sich bei Wolfgang Borchert ein großer Freiheitsdrang sowie eine Haltung der Auflehnung gegen den im NS-Staat herrschenden Zwang zu Gemeinschaft und den damit verbundenen militärischen Drill. In die verpflichtende Hitlerjugend trat Borchert zwar ein, blieb ihr jedoch immer öfter fern. Auch äußerlich rebellierte er gegen den staatlich verordneten Druck zur Uniformität. Er grenzte sich auch durch seine exzentrische Kleidung bewusst von der Einheitsgesellschaft ab und zeigte eine auffällige Individualität gegen staatlich verordnete Ideologie und Konformität.
Seine Auflehnung gegen die Obrigkeit zeigte sich auch auf künstlerischem Gebiet und so geriet er im April 1940 zum ersten Mal wegen eines Gedichts in Konflikt mit der Gestapo. Er wurde verhaftet und zwei Tage lang verhört, dann jedoch wieder entlassen. Auch hatte er sich bereits einem kleinen Kreis aus gleichgesinnten Freunden und Künstlern angeschlossen, die sich zu literarischen Diskussionsabenden trafen und dabei auch streng verbotene expressionistische Texte lasen.
Während er die Ausbildung zum Buchhändler im Dezember 1940 ohne Abschluss abbrach, bestand er am 21. März 1941 die Abschlussprüfung als Schauspieler vor der Reichstheaterkammer. Er erhielt sein erstes Engagement an der Landesbühne Osthannover ab April 1941 und ging mit dem Theater auf Tournee. Es war der Beginn einer sehr kurzen, intensiven Theaterzeit, die Borchert selbst immer als die glücklichste Zeit seines Lebens gesehen hat. Er spielte in dem Wandertheater kleine Rollen in zeitgenössischen Komödien wie August Hinrichs »Krach um Jolanthe« oder Maximilian Böttchers »Krach im Hinterhaus«.
Schon im Juni 1941 wurde Borchert jedoch zum Kriegsdienst einberufen und durchlief bis September 1941 die Grundausbildung bei der Panzer-Nachrichten-Ersatz-Abteilung 81 in Weimar-Lützendorf. Bereits in dieser Zeit litt Borchert unter dem militärischen Drill und der Erniedrigung durch Vorgesetzte, dem er ausgesetzt war. Am 10. September wurde Borcherts Einheit dann zum Einsatz an der Ostfront beim Angriff auf die Sowjetunion abkommandiert. Er war an der Front bei Witebsk und Klin-Kalinin eingesetzt und hat später seine Kriegserlebnisse in vielen seiner Kurzgeschichten thematisiert.
Am 23. Februar 1942 kehrte Borchert von einem Postengang mit einer Schussverletzung an der linken Hand zurück, in der Folge musste ihm der Mittelfinger amputiert werden. Wie genau die Verletzung zustande gekommen ist, ob durch den Angriff eines russischen Soldaten, wie Borchert behauptete, oder ob er sie sich selbst beigebracht hatte, ist bis heute ungeklärt. Da er zudem an Diphtherie und Gelbsucht erkrankte, wurde er im März ins Heimatlazarett Schwabach verlegt. Noch im Krankenhaus wurde er am 25. Juni unter dem Verdacht der Selbstverstümmelung verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis Nürnberg gebracht. In dem nach drei Monaten Einzelhaft am 31. Juni stattfindenden Prozess vor dem Militärgericht kamen auch belastende Briefe zur Sprache, die inzwischen beschlagnahmt worden waren und in denen Borchert sich kritisch über den NS-Staat und die Sinnlosigkeit des Krieges äußerte. Die Anklage forderte die Todesstrafe, dennoch glaubte das Gericht der Darstellung Wolfgang Borcherts und sprach ihn frei. Wegen der »staatsfeindlichen Äußerungen« in seinen Briefen blieb Borchert jedoch weiterhin in Haft und wurde in einem zweiten Prozess wegen Verstoßes gegen das »Heimtückegesetz« einige Wochen später zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Diese wurden auf eigenen Wunsch schließlich in sechs Wochen verschärfter Arrest mit anschließender sogenannter »Frontbewährung« umgewandelt.
Nach seiner Haftentlassung war Wolfgang Borchert ab November 1942 wieder als Soldat an der Ostfront im Einsatz, diesmal als Melder ohne Waffe bei den Kämpfen um Toropez, wo er sich starke Erfrierungen der Füße zuzog. Da er weiterhin Fieberanfälle hatte, zu denen auch wieder Gelbsucht kam, wurde er zunächst mit Verdacht auf Fleckfieber ins Seuchenlazarett Smolensk verlegt. Die schrecklichen Zustände hier verarbeitete er später in der Kurzgeschichte »An diesem Dienstag«.
Zwar bestätigte sich der Fleckfieber-Verdacht nicht, dennoch kam Borchert im März ins Reservelazarett im Harz. Nach einer leichten Verbesserung seines Gesundheitszustandes kam er im August 1943 auf Heimaturlaub nach Hamburg, das kurz zuvor, während der »Operation Gomorrha« im Juli, durch starke Luftangriffe zu großen Teilen zerstört worden war. Seiner Betroffenheit über die Zerstörung seiner geliebten Heimatstadt Hamburg gab er in vielen seiner späteren Gedichte und Erzählungen Ausdruck.
Bereits am 19. Juli 1943 hatte er zum ersten Mal einen Prosatext im »Hamburger Anzeiger« veröffentlicht, sein »Requiem für einen Freund«, der im Krieg gefallen war. Während seines Hamburg-Aufenthaltes im August 1943 trat Borchert außerdem mit unpolitischen Gedichten im Kabarett im Bronzekeller auf.
Als sich nach der Rückkehr zu seiner Einheit im Oktober wieder Fieberanfälle und Leberbeschwerden einstellten, wurde Wolfgang Borchert endgültig »wehrdienstuntauglich« geschrieben und sollte an ein Fronttheater versetzt werden. Nur einen Tag vor der Abreise, am 30. November 1943, führte er vor Kameraden eine Parodie des Reichspropagandaministers Goebbels auf und wurde in der Folge denunziert und verhaftet. Damit begann sein zweiter Gefängnisaufenthalt, ab Januar 1944 in neunmonatiger Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Dort herrschten sehr schlechte Haftbedingungen. Die Gefangenen waren ohne Schutz bei den sich verstärkenden Luftangriffen auf Berlin, lebten unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und ohne medizinische Betreuung. Dies trug maßgeblich zur Verschlechterung seines ohnehin schon stark angegriffenen gesundheitlichen Zustandes und zum Fortschreiten seiner Krankheit bei. Bei dem am 21. August stattfindenden Prozess wurde Borchert wegen »Wehrkraftzersetzung« zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, was gemessen an den vielen Todesurteilen bei ähnlicher Anklage ein mildes Urteil war. Später erhielt Borchert »Strafaufschub zwecks Feindbewährung«, zu der es aber aufgrund der heranrückenden alliierten Truppen nicht mehr kam. Am 29. März 1945 geriet Borchert mit seiner Einheit bei Frankfurt am Main in französische Gefangenschaft, konnte jedoch fliehen und erreichte nach einem 600 Kilometer langen Fußmarsch am 10. Mai 1945 erschöpft und schwer krank seine Heimatstadt Hamburg.
Nach Kriegsende war Wolfgang Borchert voller Pläne für die Zukunft. Lebenshungrig wollte er all die während der NS-Diktatur, im Krieg und in der Gefangenschaft verlorenen Jahre nachholen und endlich frei leben und arbeiten können. Doch es zeichnete sich das Voranschreiten der schweren Lebererkrankung ab, die Borchert sich bereits 1941 in Russland zugezogen hatte und die durch die widrigen Lebensumstände der letzten Jahre, starke körperliche Verausgabung und die mangelnde medizinische Versorgung in den langen Haftzeiten unaufhaltsam fortschritt. Dennoch rang Wolfgang Borchert seinem kranken Körper in den zweieinhalb Jahren, die ihm nach dem Krieg noch blieben, unter äußerster Willensanstrengung sein gesamtes hinterlassenes Prosawerk und sein Theaterstück »Draußen vor der Tür« ab, das ihn in der ganzen Welt berühmt machte.
Außerdem startete er noch 1945 zahlreiche Theateraktivitäten, um wieder in seinem eigentlichen Beruf, der Schauspielerei, und in der Theaterwelt Fuß zu fassen. So schrieb Borchert Texte für das Kabarett »Janmaaten im Hafen« und trat im September auch ein einziges Mal noch selbst dort auf. Im November eröffnete das von Borchert mitbegründete Hinterhoftheater »Die Komödie« in Hamburg-Altona (das allerdings im Dezember bereits wieder schließen musste). Außerdem begann Borchert als Regieassistent seines ehemaligen Schauspiellehrers Helmuth Gmelin bei den Proben zu Lessings »Nathan der Weise« am Hamburger Schauspielhaus mitzuwirken. Die Premiere fand dann jedoch schon ohne ihn statt und ab Ende 1945 wurde er schließlich endgültig bettlägerig.
Während eines längeren Krankenhausaufenthaltes entstand am 24. Januar 1946 die erste umfangreiche Erzählung Borcherts, die Kurzgeschichte »Die Hundeblume«. Sie erschien bereits im April in der »Hamburger Freien Presse«, und bereits zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Rowohlt Verlag auf Borchert aufmerksam, der später sein Gesamtwerk herausgeben sollte.
Von Beginn an fällt hier eine ganz neue Sprache und Form auf und es entwickelt sich der unverwechselbare Stil, der Borchert zum wichtigsten Vertreter der Trümmerliteratur und zur Stimme der jungen, desillusionierten Nachkriegsgeneration werden lässt. Unter dem Einfluss der amerikanischen »short story« stand eine karge, einfache Sprache voller Andeutung und Auslassung im Vordergrund, die mit allen seiner bisherigen Vorbildern brach. Doch trotz der »Stunde Null«, die Borchert auch für die Literatur postulierte, lässt sich in Sprache und Stil auch seine starke Prägung durch den Expressionismus feststellen.
Trotz seines sich weiterhin verschlechternden Gesundheitszustandes entstanden im Jahr 1946 noch weitere 28 Kurzgeschichten. Im Dezember 1946 erschien der erste Gedichtband »Laterne, Nacht und Sterne« in der »Hamburgischen Bücherei«. Anfang 1947 schrieb er dann in nur acht Tagen das Drama »Draußen vor der Tür«, das am 13. Februar vom Nordwestdeutschen Rundfunk als Hörspiel gesendet und ein großer Erfolg wurde und viel Aufmerksamkeit erregte. Es begründete den Ruhm des Schriftstellers Wolfgang Borchert quasi über Nacht. In der Folge erreichten ihn viele Anfragen von Presse und Verlagen, er erhielt zahlreiche Besuche, und die Hamburger Kammerspiele nahmen das Stück für eine Bühnenfassung an, dessen Uraufführung am 21. November der Autor jedoch nicht mehr erleben sollte.
Die erste Kurzgeschichtensammlung von Wolfgang Borchert erschien im Juni 1947 ebenfalls in der Hamburgischen Bücherei unter dem Titel »Die Hundeblume«, gefolgt von der Prosasammlung »An diesem Dienstag« im November 1947. Im weiteren Verlauf des Jahres 1947 entstanden bis September weitere 21 Prosatexte.
Während er seinem kranken Körper in einem regelrechten kreativen Schaffensrausch und unter beträchtlichen Schmerzen und Fieberanfällen sein beeindruckendes literarisches Lebenswerk abrang, verschlechterte sich sein Zustand unaufhaltsam. Dazu trugen auch der harte und eisige »Hungerwinter« 1946/1947 bei, sowie die fehlende medizinische Versorgung im zerstörten Nachkriegsdeutschland. Eine lang geplante Reise zu einem Kuraufenthalt in die Schweiz, die ihm einflussreiche Freunde ermöglichen wollten, verzögerte sich immer wieder und kam schließlich zu spät, als er am 22. September 1947 endlich nach Basel aufbrechen konnte. Die letzten beiden Monate seines Lebens verbrachte Wolfgang Borchert im Basler St. Clara-Spital, alleine und abgeschnitten von den Hamburger Unterstützern und der Familie. Sein zuletzt geschriebenes Vermächtnis, der Prosatext »Dann gibt es nur eins!«, das bis heute als eindrückliches pazifistisches Manifest gegen den Krieg gilt, entstand nur wenige Tage vor seinem Tod am 20. November 1947.
Einen Tag später fand die Uraufführung von »Draußen vor der Tür« in den Hamburger Kammerspielen statt, was den Beginn einer bis heute anhaltenden Erfolgsgeschichte auf deutschen und internationalen Theaterbühnen markiert.
Nach der Trauerfeier und Einäscherung auf dem Basler Friedhof wurde Wolfgang Borcherts Urne schließlich am 17. Februar 1948 auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beigesetzt.
Prägende Erlebnisse
Zu den einschneidendsten Erlebnissen in Wolfgang Borcherts Leben gehörte die Kriegserfahrung in seinem insgesamt neun Monate dauernden Einsatz als Soldat an der Ostfront in Russland. Hier begann auch der sein weiteres kurzes Leben überschattende Leidensweg einer unheilbaren Lebererkrankung, die man in den Kriegs- und Nachkriegsjahren weder richtig diagnostizieren noch behandeln konnte.
Außerdem waren seine Haftzeiten aufgrund kritischer Aussagen über das NS-Regime, denen bereits zuvor die Verfolgung durch die Gestapo vorausgegangen war, ein prägendes Erlebnis für das Leben und Werk des Autors. Darin lag auch seine tiefe Überzeugung von der Freiheit der Kunst und der Kraft des Wortes begründet, das zu unbedingter Wahrheit verpflichtet ist.
Neben den persönlichen Erfahrungen von Schmerz und körperlicher Qual der Krankheit, ist es aber vor allem das Erlebnis des unermesslichen Leids und Elends, das der Krieg über alle Menschen brachte, das Wolfgang Borcherts Leben und Werk maßgeblich beeinflusst hat. Dabei machte er grundsätzlich keinen Unterschied, ob es sich um Soldaten oder die Zivilbevölkerung aller Länder, ob im besetzten Russland oder in den durch Bombardierungen zerstörten deutschen Städten handelte.
Dennoch ist ein wesentlicher Grundzug seines Wesens und seines dichterischen Schaffens eine grundlegend positive Lebenshaltung sowie eine große Zukunftshoffnung. Diese gründen sich vor allem auf dem Glauben an die Menschlichkeit und die Fähigkeit des Menschen zur Verständigung, zur Zusammenarbeit und zum bedingungslosen Mitgefühl mit anderen.