Bertolt Brecht schrieb 1929/30 in Berlin das epische Theaterstück »Die heilige Johanna der Schlachthöfe«. Schauplatz der Handlung sind die Union Stock Yards, die Schlachthöfe Chicagos, während der Weltwirtschaftskrise von 1929. Im Mittelpunkt steht die Heilsarmistin Johanna Dark. Angesichts des Arbeiterelends wird sie zur Klassenkämpferin. Sie scheitert jedoch in ihrem Bemühen, die sozialen Missstände zu verändern.
Eine gekürzte Fassung des Stücks erschien 1932 als Hörspiel im Berliner Rundfunk. Zur Uraufführung gelangte die Heilige Johanna erst 1959 in Hamburg. Das Stück besteht aus zwölf Bildern. Einige davon sind in weitere Einzelbilder untergliedert.
Auf Anraten seiner Informanten an der New Yorker Wall Street will Chicagos führender Fleischfabrikant Pierpont Mauler seine Firmenanteile verkaufen. Sein Partner Cridle soll seine Anteile übernehmen. Dafür muss Mauler zuvor den gefährlichen Konkurrenten Lennox zu Fall bringen.
Lennox’ Ruin treibt seine Arbeiter ins Elend. Angeführt von Johanna Dark verteilen Mitglieder der Heilsarmee (Schwarze Hüte) Essen an die Hungernden. Sie singen und predigen von der Liebe Gottes. Als bekannt wird, dass auch Mauler und Cridle ihre Fabriken schließen, bricht Verzweiflung aus. Johanna bittet Mauler um Hilfe für die Armen.
Jeanne d’Arc (ca. 1412–1431) ist eine französische Nationalheldin. Während des Hundertjährigen Krieges verhalf die Bauerntochter den Franzosen zum Sieg über die Engländer. Aufgrund von Verrat wurde sie später hingerichtet. Ihr Schicksal ist Stoff zahlreicher literarischer Werke, darunter Schillers berühmter Tragödie »Die Jungfrau von Orleans« (1801).
Brecht nimmt mit dem Namen seiner Hauptfigur, Johanna Dark, Bezug auf diesen Stoff. Obwohl sein Drama oft als Parodie auf Schillers Tragödie betrachtet wird, ist auch seine Johanna eine glühende Idealistin. Erst am Schluss des Stückes akzeptiert sie Gewalt als Mittel zur Durchsetzung revolutionärer Ziele. Zu diesem Zeitpunkt wird sie jedoch von den Kapitalisten bereits zur christlichen Märtyrerin stilisiert.
Mauler seinerseits will Johanna zeigen, dass die Charakterlosigkeit der Armen Schuld an ihrem Unglück sei. Doch Johanna begreift schnell, dass die Armen nur aus Hunger und Verzweiflung unmoralisch handeln. Zusammen mit den Schwarzen Hüten zieht sie zur Viehbörse und prangert die Gewissenlosigkeit der Börsianer an.
Beeindruckt von Johannas furchtlosem Auftreten, will Mauler den Markt retten. Ohnehin veranlasst ihn ein zweiter Brief von der Wall Street zur Änderung seiner Taktik. Johanna betrachtet Mauler als Wohltäter. Sie selbst wird als Vermittlerin gefeiert. Später begreift sie, dass Maulers Handeln nur ihm persönlich, nicht aber den Arbeitern nützt.
Maulers Ansicht nach gehören Kapitalismus und Religion zusammen. Er verlangt von Johanna, seine manipulativen Eingriffe in den Markt als notwendig anzuerkennen. Im Gegenzug will er die Schwarzen Hüte unterstützen. Doch Johanna lehnt ab. Vielmehr macht sie die Sache der Arbeiter zu ihrer eigenen. Dabei hängt sie weiterhin dem Ideal der Gewaltlosigkeit an.
Inzwischen kontrolliert Mauler die gesamte Fleischindustrie. Die Arbeiter planen einen Generalstreik. Johanna soll einen Brief mit dem Aufruf dazu überbringen. Aus Angst vor einem Aufstand ändert Mauler erneut seine Taktik. Die Arbeiter erklären sich Maulers Wandel mit Johannas Einfluss auf ihn. Sie wird als Wohltäterin gefeiert. Daraufhin hält Johanna den Streik und die dazugehörige Gewalt für überflüssig. Sie leitet den Brief nicht weiter und der Generalstreik platzt.
Doch der Fleischmarkt ist längst ruiniert; alle Fabriken bleiben geschlossen. Die hungernden Massen klagen Johanna an. Verzweifelt erkennt sie ihren Fehler, den Generalstreik vereitelt zu haben. Als der Aufstand niedergeschlagen ist, kommt es zu weiteren Entlassungen und Lohnsenkungen. Johanna erkennt, dass all ihr Tun vergeblich war. Das Elend der Arbeiter ist noch größer geworden.
Ohnmächtig bricht Johanna zusammen. Die Sterbende erkennt, dass die Not der Arbeiterklasse den Kapitalismus am Leben hält. Jetzt akzeptiert sie sogar Gewalt als Mittel zum Umsturz dieses Systems. Doch niemand hört sie noch. Die Unterdrücker ehren die Tote als Märtyrerin und beginnen mit ihrer Kanonisierung.
Das Stück schildert den Klassenkampf vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise. Diese hatte massive Auswirkungen auf alle. Nach Brecht machen die Manipulationen an der Börse jedoch die Reichen noch reicher, während die Besitzlosen den Preis dafür zahlen. Daraus leitet der Autor die Notwendigkeit von Aufstand und gegebenenfalls auch Gewalt ab. Brecht will den einzelnen Zuschauer zu einer kritischen Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse erziehen. Diese Intention stand im krassen Gegensatz zum seinerzeit erstarkenden Nationalsozialismus. Zur Uraufführung gelangte das Stück deshalb erst 1959, knapp dreißig Jahre nach seiner Entstehung.