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Deutschstunde

»Deutschstunde« ist ein erfolgreicher Roman von Siegfried Lenz. Das Werk setzt sich kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Veröffentlicht wurde es 1968 und traf den Nerv der westdeutschen Studentenbewegung der 1960er-Jahre.

Werkdaten

Titel
Deutschstunde
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1968
Originalsprache
Deutsch
Literarische Epoche oder Strömung

Inhaltsangabe

Der 1968 erschienene Roman »Deutschstunde« von Siegfried Lenz spielt auf zwei ineinander verwobenen Zeitebenen. In der Rahmenhandlung sitzt der Ich-Erzähler Siggi Jepsen 1954 in einer Jugendstrafanstalt bei Hamburg ein. Im Rückblick erzählt er die Ereignisse, die sich im (fiktiven) Dorf Rugbüll bei Glüserup im äußersten Norden Schleswig-Holsteins von 1943 bis in die ersten Nachkriegsjahre zugetragen haben.


Der junge Siggi Jepsen sitzt in einer Besserungsanstalt ein. In der Deutschstunde soll er einen Aufsatz zum Thema »Die Freuden der Pflicht« schreiben soll. Sofort kommt ihm sein Vater Jens Ole Jepsen in den Sinn. So viele Eindrücke und Erinnerungen stürmen auf Siggi ein, dass er keinen Anfang findet und ein leeres Heft abgibt. Er soll den Aufsatz deshalb in einer Einzelzelle nachschreiben, wo er wie besessen zu erzählen beginnt. Er schreibt Tag und Nacht und bittet mehrfach um eine Verlängerung der Strafe, die ihm auch gewährt wird. Die Niederschrift dauert mehrere Monate, und Siggi unterbricht sie nicht einmal, um seinen 21. Geburtstag zu feiern.

Siggis Erinnerungen beginnen mit einem Berufsverbot, das im April 1943 in Berlin gegen den Maler Max Ludwig Nansen auf Bleekenwarf verhängt wird. Sein Jugendfreund, der Polizist Jens Ole Jepsen, überbringt die Anordnung. Er will deren Einhaltung peinlich genau überwachen. Damit verändert sich die Beziehung der beiden. Siggi beschreibt seinen Vater als jemanden, dessen Existenz sich darauf gründet Befehle zu erhalten und auszuführen. Weil Siggi sich gern in Nansens Haus aufhält, verlangt der Polizist von seinem Sohn den Maler zu bespitzeln.

»Deutschstunde« – Der Film

Am 3. Oktober 2019 startete »Deutschstunde« in den Kinos. 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Romans von Siegfried Lenz gelang Christian Schwochow eine überzeugende Inszenierung des Stoffs. Authentische Filmaufnahmen entstanden an Drehorten in Norddeutschland und Dänemark. Der Weite der Landschaft stehen die bedrückende geistige Enge jener Zeit und die seelischen Qualen der Protagonisten gegenüber.

Das Drehbuch stammt von Heide Schwochow, der Mutter des Regisseurs. Der Film hält sich eng an die Buchvorlage und überzeugt mit außergewöhnlichen schauspielerischen Leistungen. In der Rolle des verfolgten Malers Nansen ist Tobias Moretti zu sehen, den Gegenpart des pflichtbesessenen Polizeipostens Jepsen übernahm Ulrich Noethen. Nachwuchstalent Levi Eisenblätter spielt den jungen Siggi, Tom Gronau verkörpert dessen ältere Version.

Eine Filmbesprechung findest du auf www.kinofreunde.de/filme/deutschstunde/.

Mitten in eine große Geburtstagsfeier auf Bleekenwarf platzt ein Eilbrief aus Berlin. Darin wird die Beschlagnahme aller Bilder der letzten zwei Jahre verfügt. Jens Ole Jepsen zieht sie sofort ein. Der Maler beschuldigt ihn, durch seinen unbedingten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit eine Mitverantwortung zu haben.

Siggis Bruder Klaas Jepsen hat sich als Soldat selbst verstümmelt. Während des anschließenden Lazarettaufenthaltes desertiert er. Aus Angst vor Auslieferung durch seine Eltern geht er nicht nach Hause, sondern sucht Zuflucht beim Maler. Bei einem Abend im Glüseruper Heimatverein wird deutlich, dass Siggis Vater über das zweite Gesicht verfügt. Siggi fürchtet, er könne Klaas in seinem Versteck aufspüren. Aus Angst vor Entdeckung flüchtet Klaas ins Moor, wo er Opfer eines Tieffliegerangriffs wird. Seine Eltern liefern den Schwerverletzten aus.

Der Postbote Okko Brodersen wirft dem Polizeiposten bei der Überwachung von Nansens Malverbots Übereifer vor. Dieser dagegen spricht von »entarteter Kunst« und beruft sich auf seine Pflicht. Er beschlagnahmt sogar leeres Papier, von dem der Maler behauptet, es seien unsichtbare Bilder. Nansen malt trotz des Verbots. Als er dabei vom Jepsen ertappt wird und dieser unnachgiebig auf einer Anzeige besteht, zerreißt er das Bild vor dessen Augen. Siggi klebt die Schnipsel heimlich zusammen und versteckt das geflickte Bild.

Als der Maler vorübergehend verhaftet wird, vertraut er Siggi im letzten Moment ein Bild an, das dieser am Körper versteckt. Ein anderes Mal wird Siggi ungewollt zum Helfershelfer seines Vaters und verrät ihm ein Versteck von Bildern.

Selbst als die Engländer in Glüserup landen, haben für den Polizeiposten Pflichterfüllung und Gehorsam oberste Priorität. Am nächsten Tag verbrennt er sämtliche Akten, bevor er von einem englischen Kommando verhaftet wird.

Nach Kriegsende kehrt Klaas Jepsen apathisch zurück nach Rugbüll. Er geht jedoch nicht zu seinen Eltern, sondern zieht wieder in das Haus des Malers, wo er sich langsam erholt. Nach drei Monaten Internierung wird Jens Ole Jepsen wieder in sein Amt als Polizeiposten eingesetzt. Als erstes verbietet er seinem Sohn Klaas für immer das Haus.

Auch nach dem Krieg hält Jepsen an seiner vermeintlichen Pflicht fest, Nansens Bilder vernichten zu müssen. Aus einer Strandhütte des Malers entwendet er einen Bilderzyklus und verbrennt ihn. Siggi kommt zu spät und kann die Tat nicht verhindern. Als Siggis Versteck, eine alte Mühle, in der er seine Kostbarkeiten sammelt, abbrennt, verdächtigt er seinen Vater der Brandstiftung. In Nansens Atelier meint der verstörte Siggi später eine Flamme zu sehen, die sich auf ein gemaltes Bild zubewegt. Er bringt das Bild deshalb unter seiner Kleidung in Sicherheit.

Als Jepsens Pflichtversessenheit neue krankhafte Züge annimmt, fürchtet Siggi um die Bilder des Malers. Er steigert sich in die Vorstellung hinein, die Kunstwerke vor seinem Vater retten zu müssen. Er beginnt, Bilder aus Nansens Haus zu entwenden und zu verstecken. Er wird überführt und als Kunstdieb zu drei Jahren Haft verhaftet. So gelangt er in die Jugendstrafanstalt.

Am Ende des Aufsatzes ist Siggi der Meinung, dass er zu Unrecht in der Strafanstalt einsitzt: Sein Vater sei derjenige, der umerzogen werden müsse. Doch er fügt sich in den Alltag auf der Insel. Wenige Tage nach Beendigung seiner Strafarbeit wird er entlassen und sieht sich einer ungewissen, von der Vergangenheit belasteten Zukunft gegenüber.


Die »Deutschstunde« von Siegfried Lenz war ein großer Erfolg. Der Roman setzt sich als einer der ersten mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Er führt die fatalen Folgen blinden Gehorsams und unreflektierter Pflichterfüllung vor Augen. Weitere Interpretationsansätze können der Vater-Sohn-Konflikt oder der Reifeprozess des Protagonisten während des Niederschreibens des Erlebten sein. Lenz‘ virtuoser Umgang mit Sprache macht das Lesen zu einem besonderen Vergnügen und lässt Bilder entstehen, die man nicht mehr vergisst.

Veröffentlicht am 9. Januar 2013. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.

Autor des Werkes

Deutscher Autor
Siegfried Lenz wurde am 17. März 1926 im ostpreußischen Lyck geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters wuchs er bei seiner Großmutter auf. Im Jahre 1943 wurde er zur Marine eingezogen, desertierte und geriet in Dänemark in britische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung studierte er in Ha…

Kapitelübersicht

1: Die Strafarbeit
Gegen Siggi Jepsen wird eine Strafe verhängt: Nachschreiben eines Aufsatzes
2: Das Malverbot
Der Maler Max Ludwig Nansen erhält Berufsverbot
3: Die Möwen
Suche nach Möweneiern
Der Polizeiposten Jens Ole Jepsen verlangt von seinem Sohn den Maler auszuspionieren
4: Der Geburtstag
Geburtstagsfeier von Teo Busbeck auf Bleekenwarf
Beschlagnahme der Bilder der letzten zwei Jahre
Hinauswurf von Addi, Hilkes Verlobtem
Erstes Auftreten des Psychologen Wolfgang Mackenroth
5: Verstecke
Der Deserteur Klaas, Siggis Bruder, wird zunächst von Siggi und später vom Maler versteckt
Okko Brodersen, der Postbote, warnt den Polizeiposten vor Übereifer
6: Das zweite Gesicht
Entdeckung, dass der Polizeiposten über das zweite Gesicht verfügt
7: Die Unterbrechung
Befragung Siggis durch den Direktor und eine Gruppe von Psychologen
Verlängerung der Strafe wird gewährt
8: Das Porträt
Der Polizeiposten ertappt Nansen beim Malen
Siggi bringt ein geflicktes Bild in Sicherheit
9: Heimkehr
Klaas wird bei Tieffliegerangriff im Moor schwer verletzt und von seinen Eltern ausgeliefert
10: Die Frist
Der Maler wird festgenommen und vertraut Siggi ein Bild an
11: Unsichtbare Bilder
Busbeck sucht ein Versteck für unsichtbare Bilder
Siggi bringt seinen Vater unabsichtlich auf seine Spur
12: Unterm Brennglas
Von Mackenroth verfasster Lebenslauf Siggis
Ditte Nansens Tod und Beerdigung
13: Lebenskunde
Landung der Engländer
Bildung einer Volksfront
Internierung des Polizeipostens
14: Sehen
Klaas kehrt zurück nach Bleekenwarf
Der Maler arbeitet an einem Selbstbildnis
Teo Brusbeck verlässt Bleekenwarf
15: Die Fortsetzung
Siggis 21. Geburtstag in der Strafanstalt
Klaas wird von seinen Eltern verstoßen
Der Polizeiposten verbrennt Bilder des Malers
Auszeichnung des Malers durch die Königliche Akademie
16: Furcht
Siggis alte Mühle brennt ab
Siggi bringt zum ersten Mal ein Bild vor scheinbar drohender Gefahr in Sicherheit
17: Die Krankheit
Der Maler sucht nach der »Wellentänzerin«, die Siggi versteckt hat
Mackenroth erläutert Siggis Verhältnis zu seinem Vater
18: Besuche
Ausstellung des Malers in Hamburg
Siggis Festnahme
19: Die Insel
Siggis Ankunft auf der Insel
20: Die Trennung
Das Beenden der Strafarbeit
Ankündigung von Siggis Entlassung

Kurze Zusammenfassung

Der Ich-Erzähler Siggi Jepsen sitzt – es ist das Jahr 1954 – in der Hamburger Jugendstrafanstalt und soll dort, da er statt des verlangten Aufsatzes über die »Freuden der Pflicht« nur leere Blätter abliefert, das so Versäumte als Strafarbeit nachholen. Das Thema evoziert bei Siggi Erinnerungen an seinen Vater, der als Dorfpolizist in einem schleswig-holsteinischen Ort, Rugbüll, seinen Dienst tut und eines Tages seinen Jugendfreund, den Maler Max Ludwig Nansen, vom Malverbot unterrichten soll und dessen Einhaltung überwachen muss. (Modell für den Maler war Emil Nolde, dem 1941 von den Nationalsozialisten Malverbot erteilt wurde.) Siggi verbündet sich mit dem Maler, während sein Vater pflichtbewusst der Überwachung des Verbotes folgt. Nach dem Krieg verfolgt der Vater paranoid den Maler weiter. Siggi meint, ihn beschützen zu müssen und entwendet eines seiner Bilder aus einer Ausstellung, weshalb er zu der Jugendstrafe verurteilt wird.

Chronologie und Schauplätze

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Zeit des Nationalsozialismus und BRD und ebenso an zwei Orten: Dorf Rugbüll und Jugendhaftanstalt.

Es handelt sich um eine Rahmenerzählung, wobei in den Rahmen (1952–1954 Jugendstrafanstalt) in Form von Rückblenden Erlebnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus (1943–1945) eingerückt sind.

Hauptpersonen

Die wichtigsten Personen des Romans:

  • Jens Ole Jepsen: Vater von Siggi
  • Gudrun Jepsen: Mutter von Siggi
  • Klaas Jepsen: das älteste Kind von Jepsens
  • Hilke Jepsen: die älteste Schwester von Siggi
  • Siggi Jepsen: das jüngste Kind von Jepsens
  • Max Ludwig Nansen: der Maler, der unter Malverbot gestellt wird, dessen Einhaltung von Jens Ole Jepsen überwacht werden soll

Zeitgeschichte und Entstehung

Siegfried Lenz gehört zu den wichtigsten Schriftstellern der Nachkriegszeit. Er wurde 1926 geboren, gehört zur Gruppe 47. Zu seiner Generation gehören auch Autoren wie Böll, Enzensberger, Grass, Kunert, Walser.

Er begleitete mit seinem Werk die Geschichte der BRD. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Hörspiele und literarische Essays, Kinderbücher und Reden.

Die »Deutschstunde« erscheint 1968. Sie wird zu einem großen Bucherfolg. Der Erfolg des Romans dürfte auch durch die Studentenrevolte der 68er-Generation erklärbar sein.

Interpretationsansätze

Drei Interpretationsansätze bieten sich an:

  • Die Selbstinterpretation von Siegfried Lenz zu seinem Werk
  • Eine Interpretation, die von dem Titel ausgeht
  • Eine Interpretation, die sich des Zentralthemas der Pflicht annimmt

Lektürehilfe

Königs Erläuterungen zu »Deutschstunde«

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