Das Drama »König Ödipus« von Sophokles wurde 425 v. Chr. uraufgeführt; es gründet auf dem Sagenzyklus um das Geschlecht der Labdakiden. Sophokles konnte auf viele Erzählvarianten und unterschiedliche literarische Bearbeitungen der Legende zurückgreifen, nach der Ödipus prophezeit wird, seinen Vater zu töten und mit seiner Mutter Kinder zu zeugen. Der Mythos wird beim Publikum als bekannt vorausgesetzt und der eigentliche Inhalt der Tragödie sind die Wahrheitssuche und Selbstenthüllung Ödipus‘, die zur Katastrophe seiner Selbstblendung führen. Das Stück spielt vor dem Königspalast in Theben.
In der Stadt Theben wütet die Pest: Menschen und Tiere sterben, Felder werden unfruchtbar. Alle Hoffnungen richten sich auf den klugen und mitfühlenden König Ödipus, der die Stadt einst von der Sphinx befreit hat. Ödipus hat seinen Schwager Kreon nach Delphi geschickt, um das Orakel zu befragen, wie Theben von der Geißel befreit werden könne. Die Antwort des Apollon lautet, dass der Mörder von König Laios, Ödipus‘ Vorgänger auf dem Thron, gefunden und bestraft werden müsse. Ödipus verpflichtet sich zur rückhaltlosen Aufklärung des Verbrechens, das vor seiner Ankunft in Theben stattgefunden hat. Er droht dem Mörder die Verbannung an.
1. Epeisodion
Auf Anraten des Chorführers wird der anerkannte blinde Seher Teiresias zu Hilfe geholt. Als Teiresias erscheint, verweigert er dem König zunächst seine Dienste, angeblich um diesem Leid zu ersparen. Als Ödipus Teiresias zum Reden drängt, bezichtigt der ihn des Mordes an Laios. Ödipus vermutet hinter der Anschuldigung einen Komplott des Sehers mit Kreon. Teiresias verwehrt sich dagegen. Er zieht Ödipus‘ Herkunft in Zweifel und weissagt dem Mörder von Laios ein tragisches Schicksal.
2. Epeisodion
Kreon wirft Ödipus vor, durch die ungerechtfertigte Beschuldigung seinen Ruf verletzt zu haben. Er beschwört seine Loyalität zum Königshaus. Ödipus hält an seinem Verdacht fest, dass Kreon mit Teiresias im Bunde sei und droht Kreon den Tod an. Die hinzutretende Iokaste, Frau des Ödipus, fordert die Männer auf, angesichts der dramatischen Lage in Theben ihren Streit beizulegen. Als auch der Chor verlangt, das Wohl der Stadt über die persönlichen Differenzen zu stellen, lenkt Ödipus widerstrebend ein.
Um Ödipus zu beruhigen, zweifelt Iokaste die Richtigkeit von Teiresias Weissagungen an. Als Beweis erzählt sie ihm von einer lang zurückliegenden Prophezeiung, die sich nicht bewahrheitet habe: Dem Sohn, den sie mit Laios hatte, war vorhergesagt worden, dass er seinen Vater töten werde, weshalb Laios den Säugling hatte aussetzen lassen. Tatsächlich sei Laios jedoch später an einer Weggabelung von Räubern erschlagen worden. Ödipus horcht auf und fragt nach den näheren Umständen. Er erschrickt und vermutet in den Unbekannten, die er auf dem Weg von Korinth nach Theben in Notwehr getötet hatte, Laios und sein Gefolge.
Ödipus erzählt Iokaste ebenfalls von einem Orakelspruch, demzufolge er seinen Vater ermorden und mit seiner Mutter Kinder zeugen werde. Um dem Spruch zu entgehen, habe er seine Eltern, das korinthische Königspaar Polybos und Merope, verlassen. Zweifel daran, ob er überhaupt der leibliche Sohn des Königspaars sei, haben ihn das Orakel befragen lassen. Jetzt befällt ihn eine furchtbare Ahnung und er verlangt, den einzigen überlebenden Zeugen des Überfalls auf Laios, einen Hirten, rufen zu lassen.
3. Epeisodion
Ein Bote aus Korinth überbringt unterdessen die Nachricht, dass König Polybos an Altersschwäche gestorben sei und Ödipus König von Korinth werden solle. Ödipus sieht darin die Bestätigung dafür, dass die Orakelsprüche, hier der Vatermord, sich nicht bewahrheiten. Ödipus fürchtet sich trotzdem vor dem zweiten Teil des Orakelspruchs, der Vermählung mit seiner Mutter. Der Bote will ihn beruhigen: Er selbst habe Ödipus als Säugling mit durchstochenen Fersen im Khitairon-Gebirge gefunden und zum Königspaar von Korinth gebracht, das Ödipus an Kindes statt angenommen habe.
Es stellt sich heraus, dass der Hirte aus Theben, dessen Auftrag es war, das Kind zu töten, und der es stattdessen im Gebirge ausgesetzt hat, derselbe ist, der als einziger den tödlichen Überfall an der Weggabelung überlebt hat, und nach dem bereits geschickt wurde. Vergeblich versucht Iokaste, die die Tragödie jetzt durchschaut hat, Ödipus von weiteren Nachforschungen abzuhalten. Dieser zeigt sich jedoch entschlossener als je zuvor.
4. Epeisodion
Der Mann aus Laios Gefolge erscheint und gibt nach langem Zögern zu, den Säugling damals dem Mann aus Korinth übergeben zu haben. Zudem erkennt er in Ödipus denjenigen, der Laios getötet hat. Schlagartig begreift Ödipus die ganze Wahrheit und stürzt in den Palast.
Exodos
Ein Diener schildert später die Geschehnisse im Innern des Palastes: Als Ödipus in Iokastes Gemach kam, um sie zu töten, hatte diese sich im Angesicht der Katastrophe bereits erhängt. Ödipus löste den Strick und stach sich mit Iokastes goldenen Kleiderspangen die Augen aus, um die Welt nicht mehr sehen zu können.
Ödipus tritt blutüberströmt vor den Palast und nennt Apollon den Verursacher seines leidvollen Schicksals, infolgedessen er nicht mehr sehen will. Er verflucht den Hirten, der ihm als Kind das Leben gerettet und dadurch Leid über so viele Menschen gebracht hat. Als Kreon erscheint, legt Ödipus die Zukunft seiner beiden Töchter Ismene und Antigone in dessen Hände. Kreon lässt die Kinder holen und verspricht für sie zu sorgen. Bevor er jedoch der Forderung Ödipus‘ nachkommt, ihn des Landes zu verweisen oder zu töten, will Kreon die Götter dazu befragen.
Die Figur des Ödipus steht als Beispiel dafür, dass das Schicksal einen Menschen von höchsten Höhen in tiefste Tiefen stürzen kann. Ödipus‘ besondere Tragik ergibt sich daraus, dass er alles tut, um dem Orakelspruch zu entgehen, aber eben damit seinen Untergang herbeiführt. Sophokles‘ Drama gilt als eines der bedeutendsten der Weltliteratur. Die leidenschaftliche und eigenverantwortliche Wahrheitssuche seines Protagonisten führt ihn zur Selbsterkenntnis, damit aber auch ins Verderben.