Der griechische Dichter Sophokles lebte von 497 bis 406 v. Chr. und gilt bis heute als einer der herausragendsten Dichter der Antike. Sein maßgebliches Werk ist die sogenannte »Thebanische Trilogie«, die aus den Dramen »König Ödipus«, »Ödipus auf Kolonos« sowie »Antigone« besteht.
Die Tragödie »Antigone« wurde erstmals 442 v. Chr. aufgeführt. Die zentralen Fragen des Stücks behandeln Themen wie die Wechselbeziehung von Gesetz und Glaube und suchen eine Antwort auf die Frage nach dem Preis des Widerstandes für die einen oder anderen Grundprinzipien. Zu den handelnden Personen zählen neben Antigone selbst und ihrer Schwester Ismene noch ihr Onkel Kreon (König von Theben), seine Frau Eurydike und deren gemeinsamer Sohn Haimon, der mit Antigone verlobt ist. Da das Stück gleich mehrere griechische Sagen und Mythen behandelt, ist eine zeitliche Einordnung nur schwer möglich. Ort der Geschehnisse ist der Königspalast in Theben.
Nachdem sich König Ödipus in die Verbannung schicken ließ, entbrannte zwischen seinen Söhnen Eteokles und Polyneikes ein erbitterter Streit um das Königreich, der beide Brüder das Leben kostete. Daraufhin besteigt Antigones Onkel, König Kreon, den Thron. Den stets heimattreuen Eteokles lässt er würdevoll beisetzen, während die Überreste von Polyneikes den Tieren vorgeworfen werden.
Im einführenden Prolog wird der Zwiespalt der Thematik bereits deutlich. Antigone missbilligt die von Kreon angeordnete schmachvolle »Beseitigung« des Polyneikes und ersucht ihre Schwester Ismene um Unterstützung dabei, König Kreon noch umzustimmen. Das Weltbild von Ismene ist aber eher klassisch unterwürfig, weshalb sie ihre Hilfe ablehnt.
Erstes Epeisodion – 1. Akt
Im Verlauf einer Rede anlässlich der Thronbesteigung betont König Kreon den hohen Stellenwert der irdischen Gesetze und Richtlinien, um dadurch dem Vaterland dienen zu können. Weil Ismene eine ganz ähnliche Einstellung hat, beschließt die gläubige Antigone, ihrem Bruder eine würdevolle Beisetzung auf eigene Faust zukommen zu lassen. Als König Kreon durch einen Wachsoldaten davon erfährt, wird durch den Chor des Stückes die elementare Frage zwischen Vaterlandsliebe und dem Willen der Götter aufgeworfen, weil Antigone sich mit List und Mut über die königlichen Anweisungen hinweggesetzt hat.
Zweites Epeisodion – 2. Akt
Der treue Wachsoldat des Königs konnte Antigone am Grab des Bruders stellen und bringt sie zu seinem Herrscher. Dort räumt die gottesfürchtige Frau ein, ihren Bruder würdevoll beigesetzt zu haben, weil alles andere der Blasphemie gleichkäme. Es folgt ein Disput darüber, ob nun der Wille der Götter oder vielleicht doch die Pflichten gegenüber dem Land das Maß aller Dinge sind. Kreon beschließt den Tod von Antigone, weil sie nach seiner Anschauung die irdischen Gesetze gebrochen habe. Als die herbeigeeilte Ismene aus Liebe zu ihrer Schwester ebenfalls in den Tod gehen will, lehnt Antigone dies allerdings ab.
Drittes Epeisodion – 3. Akt
Von der Bestrafung erfährt auch Haimon, der Verlobte von Antigone, der daraufhin einen Streit mit seinem Vater, König Kreon beginnt. Beide Männer geraten heftig in Erregung und der Sohn bezichtigt seinen Vater, die göttlichen Gesetze zu missachten und seine staatliche Macht zu missbrauchen. Dabei wird deutlich, dass Haimon mehr zur Demokratie als zur Monarchie oder einer Diktatur neigt. Wütend durch den Streit und enttäuscht über die Sichtweise seines Sohnes will Kreon seine Gefangene nun lebendig einmauern.
Viertes Epeisodion – 4. Akt
Als Antigone von dem Vorhaben des Königs erfährt, fühlt sie sich in ihrem Denken und Handeln bestätigt. Gemäß ihrer stark religiösen Weltanschauung ist sie sogar voller Erwartung, weil sie bald ihre verstorbenen und getöteten Angehörigen wiedertreffen wird.
Fünftes Epeisodion – 5. Akt
In den Diensten von König Kreon steht auch ein blinder Seher namens Teiresias, der wie Antigone eher den göttlichen Regeln zugetan ist. Als er seinem Herren von dunklen Vorzeichen berichtet, wird er von Kreon der Lüge und der Geldgier bezichtigt. Empört über diese Beleidigung, sagt Teiresias seinem König den Tod des einzigen Sohnes Haimon voraus. Trotz des immer noch bestehenden Vater-Sohn-Konflikts trifft das Kreon sehr, der sich daraufhin Hilfe suchend an den Chor des Stückes wendet. Dieser rät König Kreon zu einer angemessenen Beisetzung von Polyneikes, um dessen Würde doch noch zu bewahren. Außerdem müsse Antigone umgehend wieder freigelassen werden.
Exodus
Verzweifelt von dem angekündigten Tod seines Sohnes beginnt König Kreon nun, sein Weltbild infrage zu stellen. Als er aber seine Taten und Handlungen korrigieren will, ist es bereits zu spät. Seine gefangene Schwiegertochter hat sich bereits erhängt, weil sie einen bevorstehenden Hungertod fürchtete. Ihr Verlobter ist, getrieben von brennendem Liebesschmerz, aber auch von großer Enttäuschung über seinen Vater, ebenfalls in den Freitod gegangen. Dabei wird deutlich, dass Haimon seinen Vater immer als Vorbild gesehen hat und dass er dem König bedingungslos – auch bis in den Tod – gefolgt wäre, wenn es denn nur für das richtige Weltbild gewesen wäre.
Als Haimons Mutter und Kreons Ehefrau Eurydike durch einen Boten von diesen Vorfällen erfährt, stirbt auch sie durch die eigene Hand, weil der Schmerz über den Verlust einfach zu unerträglich ist. König Kreon hat unterdessen seinen toten Sohn in den Königspalast bringen lassen, um zu trauern. Als der Bote ihm auch noch von der toten Eurydike berichtet, die in Kreon den alleinigen Schuldigen für die Ereignisse sah, beginnt der Monarch endlich, seine bisherige Sicht der Dinge zu hinterfragen. Das Ergebnis ist die Erkenntnis, dass er sich arrogant, selbstherrlich und hochmütig verhalten hat, was zwangsläufig eine göttliche Strafe nach sich zieht.
Sophokles wirft mit seiner Tragödie die Frage nach unterschiedlichen Weltbildern auf. Er behandelt die Auswirkungen und Folgen, die eine Bindung an eine totalitäre, demokratische oder mythische Position mit sich bringen kann. Deutlich wird das vor allem durch die sehr unterschiedlichen Charaktere, deren Überzeugungen und Ideale in dem Stück aufeinanderprallen. Erzählt wird die Tragödie in Versen, einer seinerzeit gebräuchlichen Weise. Daneben spielt der Chor im Hintergrund eine große Rolle, der jedes Epeisodion mit resümierendem Gesang abschließt, den handelnden Personen aber auch als Dialogpartner dient. Eine der wichtigsten Aussagen des Stückes ist, dass selbst die besten Gesetze, Herrschaftsformen und Gesellschaftsmodelle immer wieder hinterfragt werden müssen (insbesondere unter humanitären Aspekten), um auf Dauer nicht einer selbstherrlichen Anmaßung zu erliegen.