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Bahnwärter Thiel

Inhaltsangabe

Der Bahnwärter Thiel ist ein pflichtbewusster und frommer Mann, der in einer kleinen Siedlung unweit des Berliner Stadtrands lebt. Dort geht er seiner Aufgabe nach, die im Wesentlichen darin besteht, den Schlagbaum des Bahnübergangs zu schließen, wenn ein Zug vorbeifährt, und ihn wieder zu öffnen, wenn der Zug vorbeigefahren ist. Auch Kontrollgänge und leichte Ausbesserungen an den Gleisen kommen hin und wieder vor.Thiel versieht seinen Dienst fünf Jahre lang, ohne dass es zu nennenswerten Unterbrechungen kommt – zwei Verletzungen aufgrund von Arbeitsunfällen sind die große Ausnahme. 

Nach fünf Jahren heiratet Thiel. Seine Frau ist eine stille, ebenfalls fromme Person namens Minna, mit der er schließlich ein Kind zeugt. Noch im Wochenbett stirbt Minna und lässt Thiel mit dem gemeinsamen Sohn Tobias allein.

Nach einem Trauerjahr heiratet Thiel erneut. Zunächst geschieht das vor allem aus praktischen Erwägungen. Tobias braucht, so sieht es Thiel, eine Mutter, vor allem, weil Tobias sich langsamer entwickelt als andere Kinder und kränklich ist. Die neue Frau, Lene, ist das krasse Gegenteil von Minna: grobschlächtig, streitsüchtig, dominant und von starker Sexualität. Thiel verfällt den physischen Reizen seiner neuen Frau. 

Auch Lene bekommt ein Kind von Thiel. Dadurch gerät Tobias in eine schwierige Situation. Alles deutet darauf hin, dass Lene den Jungen in Abwesenheit Thiels misshandelt und ihm Arbeiten aufträgt, die der schwächliche Junge gar nicht erledigen kann. Eines Tages vergisst Thiel sein Butterbrot und kommt unerwartet nach Hause. Bei dieser Gelegenheit bekommt er mit, wie Lene Tobias behandelt. Sie schreit ihn an und bedenkt ihn mit heftigen Flüchen. Nur handgreiflich wird sie – diesmal – nicht, aber auch nur, weil Thiels Auftauchen sie aus dem Konzept bringt.

Die Erkenntnis, dass es seinem heißgeliebten Erstgeborenen in seiner Abwesenheit so schlecht geht, wird zur Quelle tiefen Leids für Thiel. Zurück in seiner Bahnwärterhütte verfällt er in einen Zustand, der bereits auf eine Art Wahnsinn schließen lässt. Die auch aus religiösem Mystizismus entspringenden Halluzinationen, die Thiel in der Einsamkeit des Waldes hat, zeigen seine verstorbene Frau Minna, die sich von ihm abzuwenden scheint. Thiel hat, gerade weil er die Misshandlung ihres Sohnes ignoriert, untilgbare Schuldgefühle, die seinen Zustand weiter verschlimmern.

Einstweilen gelingt es ihm noch, durch eine klare Trennung von Arbeit und Heim die Situation auszuhalten, doch Lene drängt darauf, seinen Arbeitsort kennenzulernen. Unter Vorwänden hält er sie zwar davon ab, schließlich aber muss er sich fügen und Lene und die beiden Kinder begleiten ihn zu seiner Hütte.

Der Tag bei seiner Hütte erscheint zunächst als sehr schön. Alle sind zufrieden, selbst die zanksüchtige Lene. Doch es kommt zur Katastrophe. Während Thiel seine Arbeit verrichtet und Lene mit den beiden Kindern unterwegs ist, gerät Tobias auf die Gleise und wird von einem Zug erfasst und überrollt. Schwer verletzt wird der Junge zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht. Die Wartezeit verbringt Thiel alleine. Nun tritt sein Wahnsinn vollends hervor. Er steigert sich zur Raserei, in der der Bahnwärter seinen jüngsten Sohn, der in der Aufregung in seinem Kinderwagen vergessen wurde, erwürgen will. Gerade rechtzeitig kommt Thiel aber zu sich. Der Wahn legt sich kurzzeitig.

Als aber klar wird, dass es für Tobias keine Rettung mehr gibt, dass sein Erstgeborener tot ist, fällt Thiel in ein Delirium. Der Bewusstlose wird von Arbeitern nach Hause getragen. Später kommen die Arbeiter wieder und finden Lene und den Säugling tot im Haus. Thiel ist verschwunden, wird aber schließlich gefunden. Er sitzt auf den Gleisen, genau an der Stelle, an der Tobias vom Zug erfasst wurde. Mit der Einlieferung Thiels in die psychiatrische Abteilung der Berliner Charité endet die novellistische Studie vom Bahnwärter Thiel.

Veröffentlicht am 4. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 4. April 2023.