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Bahnwärter Thiel

Sprache und Stil

Echt naturalistisch ist der bewusste Verzicht auf eine überbordende Schilderung des Innenlebens von Thiel. Es handelt sich zwar durchaus um einen personalen Erzähler – das bedeutet, alle Ereignisse sind aus Thiels Sicht geschildert, sodass der Leser zu keiner Zeit mehr weiß als der Protagonist Thiel. Gleichzeitig wird auch Thiel vor allem aus der Außenperspektive gezeigt.

Die Figurenrede ist eher nüchtern. Eine Ausnahme davon stellt Thiels Wahngespräch mit Minna dar (62). An dieser Stelle bricht der nüchterne Satzbau in sich zusammen. Thiels Sprache besteht nurmehr aus Ausrufen und Flüchen. So wird deutlich, wie es um den Geisteszustand Thiels wirklich steht.

Die Erzählinstanz zeichnet sich über weite Strecken ebenfalls durch einen eher nüchternen Sprachstil aus, allerdings wird dieses Muster an vielen Stellen unterbrochen. So etwa die Szene, in der er seinen Säugling beinahe tötet: »Ein roter Nebel umwölkte seine Sinne, zwei Kinderaugen durchdrangen ihn; er fühlte etwas Weiches, Fleischiges zwischen seinen Fingern. Gurgelnde und pfeifende Laute, untermischt mit heiseren Ausrufen, von denen er nicht wußte, wer sie ausstieß, trafen sein Ohr« (63). Diese kurze Szene ist gleichzeitig auch ein gutes Beispiel für die personale Erzählsituation, also dafür, dass die Erzählung vor allem aus Thiels Sicht geschildert wird.

Den nüchternen Stil lässt die Novelle aber auch in den häufigen Naturschilderungen hinter sich. Hier fällt vor allem auf, dass sich die Erzählinstanz immer wieder des semantischen Feldes des Flüssigen bedient. Das semantische Feld der Flüssigkeiten wird auch bei den Schilderungen von Thiels Wahn eingesetzt: »Da fiel etwas in sein Hirn wie heißes Siegellack« (63).

»Krähenschwärme badeten gleichsam im Grau der Luft« (45), »Licht schien ausgegossen« (54), oder: »der Wald brauste wie Meeresbrandung« (51). Nahe damit verwandt ist die Gleichsetzung des Waldes mit einem Meer: »In scharfen Linien schossen die Strahlenbündel durch das Gewirr der Stämme, hier eine Insel zarter Farrenkräuter, [.,,] dort die silbergrauen Flechten des Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd« (54).

Veröffentlicht am 4. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 4. April 2023.