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Bahnwärter Thiel

Rezeption und Kritik

Gerhart Hauptmanns »Bahnwärter Thiel« war nicht nur eines der ersten Werke, die der aus Schlesien stammende Schriftsteller veröffentlichte, die Novelle verschaffte ihm auch unmittelbares Ansehen. So schrieb die österreichische Schriftstellerin Marie Herzfeld in einem 1890 an Hauptmann gesendeten Brief: »Als ich vor Jahren Ihren ›Bahnwärter Thiel‹ in der ›Gesellschaft‹ fand, jubelte ich, und seither habe ich Ihren Namen nicht vergessen. Damals schrieb ich an dänische Freunde: ›Ich glaube, wir bekommen eine deutsche Literatur‹« (Herzfeld 277).

1890 erschien die Novelle des Nobelpreisträgers von 1912 erstmals in Buchform. Der damals noch junge S. Fischer-Verlag veröffentlichte den »Bahnwärter Thiel« zusammen mit der Novelle »Der Apostel« (Post 44). Durch den »Bahnwärter Thiel« wurde Hauptmann rasch innerhalb der progressiven Berliner Literaturszene bekannt. Für ihn war »Bahnwärter Thiel« »so etwas wie eine schriftstellerische Legitimation« (Post 44). Einflussreiche Persönlichkeiten, wie etwa der berühmte Naturalist Arno Holz, besuchten Hauptmann in Erkner.

Der Kunsthistoriker Ludwig Goldstein schrieb anlässlich einer Publikation zu Ehren Hauptmanns im Jahre 1922 über den »Bahnwärter Thiel« : »[E]s sind nur Worte, und doch wieder nicht Worte. Es ist poetisch durchleuchtete, greifbare Gegenständlichkeit. Etwas Neues, wie es Einem kaum begegnet ist. Etwas Neues bei den Deutschen« (Goldstein 104). Und über den Autor Hauptmann heißt es auf der folgenden Seite, er sei ein »Seher«, ja ein neuer »Menschenkünder« (Goldstein 105).

Von der linken Seite des politischen Spektrums allerdings wurde der Pessimismus des »Bahnwärter Thiel« bemängelt, wenngleich auch hier die hohe literarische Qualität der Novelle betont wurde (Post 48 f.). 

Der erste Herausgeber der Novelle, Michael Georg Conrad, schrieb zur zeitgenössischen Rezeption des »Bahnwärter Thiel«: »Im Frühling 1887 erhielt ich Gerhart Hauptmanns erstes Novellen-Manuskript [...] zugeschickt. [...] Aus dem Leserkreise erhielt ich bald begeisterte Zuschriften: Man habe seit Zola keine bessere Novelle in Deutschland gelesen. Die Technik des Vortrags sei verblüffend. Voll herzlicher Freude teilte ich Hauptmann die Wirkung seiner ersten Novelle mit« (Conrad 78).

Noch in den 1970er-Jahren ist der »Bahnwärter Thiel« Schullektüre (Post 1) und wird von beiden deutschen Staaten jeweils verfilmt. 1968 gibt das ZDF Werner Völger den Auftrag, die Novelle zu verfilmen. Die Hauptrolle spielt der legendäre Heinz Baumann, die Musik übernimmt niemand Geringeres als Dietrich Fischer-Dieskaus Bruder Klaus. In der DDR folgt 1982 eine Verfilmung, die sich bis heute einiger Beliebtheit erfreut. Freilich liegt der Fokus hier eher auf den sozialen Umständen, die das Schicksal Thiels begünstigen. Die Novelle selbst erweist sich tatsächlich als vielschichtiger.

Veröffentlicht am 4. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 4. April 2023.