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Das Tagebuch der Anne Frank

Die Anfangszeit im Versteck: 6. Juli 1942 – Ende 1942

Zusammenfassung

Am 5. Juli 1942 erhält Margot einen Brief von der SS, in dem sie zum Dienst im Arbeitslager einberufen wird. Otto Frank hat für einen solchen Fall vorgesorgt: Mit der Unterstützung seiner Angestellten hat er in den vergangenen Monaten im Hinterhaus seines Firmengebäudes ein Versteck für die Familie eingerichtet. Am 6. Juli 1942 zieht die Familie, unterstützt von den Helfenden mit wenigen Habseligkeiten, in das Versteck im Hinterhaus um und Anne beschreibt in ihrem Tagebuch, wie es dort aussieht. Da die Eltern bereits vor Monaten damit begonnen haben, Haushaltsgegenstände, Lebensmittel und Kleider ins Versteck zu schicken, finden die Franks eine mit allem Nötigen ausgestattete kleine Wohnung vor, deren Eingang durch ein drehbares Bücherregal getarnt ist. Während die Mutter und Margot von der plötzlichen tiefgreifenden Veränderung zunächst wie gelähmt sind, beginnen Anne und ihr Vater, die Habseligkeiten zu verstauen und die Zimmer wohnlich einzurichten. »Ich fühle mich [...] wie in einer sehr eigenartigen Pension, in der ich Ferien mache« (S. 38), schreibt Anne am 11. Juli 1942 in ihr Tagebuch.

Um nicht entdeckt zu werden, dürfen die Franks das Versteck nicht verlassen, nicht aus dem Fenster schauen und müssen sich tagsüber sehr leise verhalten, um nicht von den Arbeitern im angrenzenden Lager gehört zu werden. In einem Nachtrag vom 28. September 1942 (S. 11) spricht Anne von ihrer Beklemmung angesichts dieser Vorsichtsmaßnahmen und von ihrer Angst, entdeckt zu werden. Ihre Katze Moortje, die sie zurücklassen musste, vermisst sie sehr. In ihrer Familie fühlt sie sich manchmal ungerecht und schlechter behandelt als Margot und beschreibt das Gefühl, eine Außenseiterposition einzunehmen: »Ich passe nicht zu ihnen, das merke ich vor allem in der letzten Zeit sehr deutlich. Sie sind so gefühlvoll miteinander, und das will ich lieber sein, wenn ich allein bin.« (12.07.42, S. 41 f.)

Am 13. Juli 1942 zieht die dreiköpfige Familie van Daan ins Versteck: Herr und Frau van Daan sowie der fünfzehnjähriger Sohn Peter, den Anne als schüchtern und langweilig wahrnimmt. Erst sind alle wie »eine große Familie« (14.08.42, S. 43), es treten jedoch schon bald Spannungen zutage. Frau van Daan und Edith Frank kommen nicht gut zurecht und Anne ist erstaunt über die teilweise heftigen Streitereien des Ehepaars van Daan, da sie diese von ihren Eltern nicht kennt. Anne berichtet, das Ehepaar van Daan abends manchmal zu besuchen und sich zu unterhalten.

Ein großes Ärgernis für Anne sind jedoch die Ermahnungen und Erziehungsversuche von Herr und Frau van Daan, die Anne für ungezogen, unbescheiden und schwatzhaft halten. Annes Eltern nehmen sie in Schutz, was für Spannungen zwischen beiden Ehepaaren sorgt. Anne ist das viele Geschrei, vor allem an ihre Adresse, nicht gewohnt und leidet darunter. Zudem wird sie ohne die gewohnten Zerstreuungen nachdenklich und fühlt sich einsam: »Um mich herum ist eine große Leere. Früher dachte ich darüber nie nach, Vergnügungen und Freundinnen erfüllten mein Denken. Nun denke ich oft über unglückliche Dinge oder mich selbst nach.« (20.11.42, S. 79). Immer wieder gibt es jedoch auch heitere Ereignisse im Versteck, z. B. als sich Anne und Peter verkleiden, Anne im Anzug und Peter in einem Kleid seiner Mutter, und so die Erwachsenen zum Lachen bringen.

Ins Versteck dringen erschreckende Nachrichten aus der Außenwelt: Jüdische Bekannte und Freunde werden deportiert und Anne berichtet in ihrem Tagebuch fassungslos von Vergasungen, Lagern und den Strafpraktiken der Gestapo. Im Hinterhaus ist der Schrecken groß, als es an der Tür zum Versteck klopft, der Vorfall stellt sich jedoch als falscher Alarm heraus (20.10.42, S. 68). Da die Untergetauchten beschlossen haben, noch einer weiteren Person einen Platz im Versteck anzubieten, zieht am 17. November 1942 der Zahnarzt Dr. Dussel in der Hinterhauswohnung ein. Er teilt das Zimmer mit Anne, worüber diese nicht begeistert ist. Generell versteht sie sich mit dem Zahnarzt nicht gut und stört sich an dessen Erziehungspredigten.

Von ihren Eltern werden Anne und Margot dazu angehalten, auch im Versteck weiterzulernen und sie erhalten vom Vater Unterricht. Rätselraten, Gymnastik und Buchbesprechungen sowie gelegentliche Hilfsarbeiten für das Büro oder das Lager dienen im Hinterhaus als Zeitvertreib. Anne beobachtet durch einen Spalt im Vorhang Menschen auf der Straße und späht, wenn es dunkel wird, mit einem Fernglas in die erleuchteten Zimmer der Nachbarn. Im Dezember feiern die Untergetauchten Chanukka und – zum ersten Mal im Leben – auch Nikolaus.

Analyse

Anhand der Tagebucheinträge aus der ersten Zeit im Versteck zeigt sich deutlich Annes starker Charakter. Anstatt in Verzweiflung zu geraten, passt sie sich schnell an die grundlegende Veränderung ihrer Lebensumstände an. Ihr Leben, zu dem zuvor der Schulbesuch sowie der tägliche Umgang mit Freundinnen und Freunden gehörte, hat sich radikal gewandelt: Sie darf nicht mehr nach draußen, kann sich nur noch im begrenzten Raum der Hinterhauswohnung bewegen, muss sich leise verhalten und lebt auf engem Raum in ständigem Kontakt mit den anderen Hinterhausbewohner/-innen. Ab Mitte November muss sie zudem ihr Zimmer mit dem ihr bis dato unbekannten Zahnarzt Dr. Dussel teilen, den sie nicht gut leiden kann. Nichtsdestotrotz beschreibt sie die neue Lebenssituation oftmals humorvoll und nimmt ihr so, zumindest teilweise, ihren Schrecken.

Zugleich zeigen sich aber auch Probleme: Anne, die sich in ihrer Familie oft unverstanden fühlt, leidet unter den Maßregelungen der anderen Erwachsenen im Versteck und wehrt sich gegen diese, wodurch sie mit den van Daans und Dussel in Konflikt gerät. Bereits in diesen ersten Monaten im Versteck thematisiert Anne ihr verstärktes Nachdenken über sich selbst, das aus einem Mangel an äußerer Ablenkung und Vergnügungen resultiert. Diese Reflexion über sich selbst und die anderen Personen im Versteck nimmt im Verlauf des Tagebuchs eine immer größere Rolle ein. Wie auch im weiteren Verlauf des Tagebuchs wechseln sich in den ersten Monaten heitere und nachdenkliche bis niedergeschlagene Einträge ab. Diese offenbaren die ganze Bandbreite von Annes Gefühlen während ihrer ersten Zeit im Versteck, die von Beklemmungen und Angst über Wut und Traurigkeit bis zu heiterer Ausgelassenheit reichen.

Veröffentlicht am 10. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 10. Oktober 2022.