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Warten auf Godot

Historischer Hintergrund und Epoche

»Warten auf Godot« wurde zwischen 1948 und Anfang 1949 geschrieben, 1952 erstmals publiziert und 1953 in einem kleinen Pariser Theater – das inzwischen den Spielbetrieb aufgrund finanzieller Probleme einstellen musste – uraufgeführt. 

Die Originalsprache des Stückes ist Französisch. Das ist durchaus von Bedeutung. Bertolt Brecht – der andere große Dramatiker des 20. Jahrhunderts – schrieb vor dem Krieg:

    Wenn man vor einigen Jahren über modernes Theater sprach, dann nannte man das Moskauer, das New Yorker und das Berliner Theater. Vielleicht sprach man noch von einer oder der anderen Aufführung Jouvets in Paris oder Cochrans in London (...). Aber im großen Ganzen gab es nur drei Theaterhauptstädte, was die Moderne betrifft. (Brecht 1967: 263)

Dass es in Frankreich durch die Besetzung der Hauptstadt Paris durch die Wehrmacht nicht besser für das Theater wurde, ist nicht weiter überraschend. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die französische Philosophie in Mode, gerade auch in Deutschland. Der Existenzialismus und die Philosophie des Absurden erscheinen als allein mögliche Philosophien, mit der katastrophalen Gegenwart umzugehen. Diesem ideologischen Umfeld, gerade unter Gebildeten, verdankt sich der immense Erfolg von Becketts Stück. Tatsächlich ist es kein modernes Stück mehr. In Russland wurden bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts dadaistisch-absurde Stücke aufgeführt, etwa von Daniil Charms. Auch Bertolt Brecht schrieb Stücke, die deutlich innovativer waren. Seinen Erfolg verdankt Becketts Stück auch seiner Bürgerlichkeit.

Es ist eine Bürgerlichkeit, die durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts verändert wurde. Eine Bürgerlichkeit vielleicht, die genau weiß, wie es um sie bestellt ist. Hitler wurde demokratisch gewählt, die Amerikaner, die ja eigentlich die Guten waren, schließlich befreiten sie Europa von den Nationalsozialisten, warfen zwei Atombomben auf Japan. Und dabei werden alle Verbrechen der Kolonialzeit, die zahlreichen Genozide, gar nicht eigens erwähnt.

Als das Stück erschien, war der Krieg zwar vorbei, aber im Kalten Krieg bahnte sich direkt der nächste an. Noch vor der Uraufführung des Stückes begann der Koreakrieg. »Warten auf Godot« entstand zu einer Zeit, die von Unsicherheit und Terror gekennzeichnet war. Und auf eine paradoxe Weise verspricht das Stück eine Erklärung. Allerdings besteht diese Erklärung in der Erklärung, es gebe keine Erklärung. »Warten auf Godot« ist ein absurdes Stück, vielleicht aber vor allem ein paradoxes Stück, das durch diese Eigenart auch heute noch aktuell ist.

Veröffentlicht am 25. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2023.