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Warten auf Godot

1. Akt

Zusammenfassung

Zu Beginn des Stücks versucht Estragon, seine Schuhe auszuziehen. Offenkundig ist dies mit erheblichen Anstrengungen verbunden. Schließlich gibt Estragon seine Mühen auf und resigniert. Wladimir kommt hinzu und bekundet seine Freude, Estragon wiederzusehen.

Im Laufe des Gesprächs erfahren die Zuschauer, dass Estragon im Graben geschlafen und zuvor Gewalt erfahren hat, doch es sei nicht so schlimm gewesen. Wladimir antwortet mit einer Selbstmordfantasie. Um 1900 hätte man sich vom Eiffelturm stürzen müssen, nun aber würden die beiden Männer wahrscheinlich nicht einmal mehr hineingelassen werden. Daraufhin versucht Estragon erneut, seine Schuhe auszuziehen, was abermals misslingt. Unterdessen bricht Streit zwischen den beiden Männern aus.

Allerdings ist der Streit so schnell vorbei, wie er begonnen hat. Estragon weist Wladimir auf seinen offenen Hosenstall hin, was Wladimir zum Anlass nimmt, über Sprichwörter nachzudenken und dabei seinen Hut abzusetzen, in ihn hineinzufühlen und ihn wieder aufzusetzen – diese Handlungsfolge wird sich über das Stück hin häufig wiederholen. Die beiden Männer sprechen aneinander vorbei, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Wladimir setzt seinen Hut wieder ab und probiert Wörter aus: »Zer-schmet-tert«. Unterdessen gelingt es Estragon, seinen Schuh auszuziehen. Er schaut in seinen Schuh und wühlt darin herum – ähnlich wie zuvor Wladimir in seinem Hut – , findet nichts und resigniert.

Wladimir nimmt das Spiel mit seinem Hut wieder auf und kommt auf das Lukasevangelium – Kapitel 23, Verse 39-43 – zu sprechen, in dem einer der Diebe, die neben Jesus am Kreuz hingen, erlöst wird. Im Gespräch bricht Wladimir in Gelächter aus, was ihm allerdings körperliche Beschwerden verschafft. Also versucht er zu lächeln, das gelingt aber nur bedingt. Das Lächeln »erstarrt, dauert eine Weile und erlischt plötzlich« (33). In der Folge erzählt Wladimir Estragon die Geschichte von den Dieben am Kreuz, wobei problematisiert wird, dass die Episode ausschließlich bei Lukas stattfindet. Im Anschluss kommt das erste Mal die Wendung »Wir warten auf Godot« vor (39). Außerdem erfährt das Publikum, dass der Baum an der Landstraße, wo die Männer auf Godot warten, keine Blätter hat.

Den beiden ist auch nicht bewusst, welcher Tag eigentlich ist. Auch ist ihnen nicht klar, ob sie bereits am Abend zuvor an diesem Ort gewesen sind. In dieser Orientierungslosigkeit schläft Estragon ein – woraufhin Wladimir ihn sofort weckt, weil er sich einsam fühlt. Estragon klagt, dass Wladimir ihn nie schlafen lassen würde. Nun aber will Estragon Wladimir seinen Traum erzählen, was Wladimir wiederum scharf zurückweist. Das provoziert Estragon zu der Überlegung, ob sie sich nicht besser trennen sollten. Zuvor hatte Wladimir ihm noch gesagt, dass er ohne seine Hilfe verloren wäre. Unvermittelt wird aber auch dieses Thema fallengelassen. Nun versucht Estragon, sich einzuschmeicheln, beginnt mit einer Geschichte von einem Engländer in einem Bordell, die Wladimir ihm erzählen soll, doch Wladimir weigert sich.

Auf der Suche nach einer Beschäftigung fällt ihnen der Baum wieder auf. Estragon und Wladimir stellen sich genüsslich vor, sich an ihm zu erhängen. Allerdings stellen sich schnell entsprechende Probleme ein: wenn der Ast etwa bei einem von ihnen bräche, wäre der andere allein. Also lassen sie es. Die Lösung wird von Godot erwartet, wobei auffällt, dass keiner von beiden weiß, worum sie Godot eigentlich gebeten haben und was genau sie von ihm erwarten.

Estragon bekommt Hunger und erbittet sich eine Möhre von Wladimir. Diese wird ihm zwar gewährt, genießen tut er sie jedoch nicht. Das Gespräch kommt wieder auf Godot zurück. Estragon und Wladimir versuchen zu ergründen, welche Art Beziehung sie zu Godot unterhalten, kommen aber auf kein Ergebnis. Selbst der Name Godot wird schließlich angezweifelt.

Plötzlich ertönt ein Schrei in der Nähe. Estragon und Wladimir erwarten die drohende Gefahr regungslos. Es folgt der Auftritt von Pozzo und Lucky: Pozzo führt Lucky an einem Strick und hat eine Peitsche, um ihn antreiben zu können. Außerdem fungiert Lucky als Träger. Estragon und Wladimir fragen, ob Pozzo Godot sei, was dieser verneint. Daraufhin fragt Pozzo seinerseits, wer dieser Godot sei, was die beiden aber nicht beantworten. Nun beginnt die Misshandlung Luckys, Pozzo kontrolliert ihn mittels Peitsche und Strick. Ein offenkundiger Sinn steckt allerdings nicht in der Misshandlung. Tatsächlich behindert die Gewalt sogar die Ausübung des Befohlenen.

Estragon und Wladimir inspizieren Lucky; auf ihre Versuche, ihn anzusprechen, reagiert dieser allerdings nicht. Pozzo hat unterdessen angefangen, ein Huhn zu essen, woraufhin Estragon nach den Knochen fragt und sie schließlich auch bekommt. Wladimir jedoch beginnt unvermittelt über die Behandlung Luckys zu schimpfen. Seine Wut weicht bald einer Hemmung, sodass Pozzo wieder die Herrschaft über das Gespräch an sich reißen kann. Allerdings ist Pozzo kaum in der Lage, auf Fragen zu antworten, er vergisst Sachverhalte und ist damit ähnlich sprunghaft wie Estragon und Wladimir. Er schildert seine Beziehung zu Lucky, verkündet, dass er ihn loswerden wolle und Lucky beginnt zu weinen. Estragon, der sich Lucky annehmen möchte, wird von diesem getreten.

Pozzo bezeichnet Lucky als seinen Knuck, als einen Knecht, durch den man gucken kann (vgl. 87). Zusätzlich versichert Pozzo nochmals, dass Lucky unbedingt wegmüsse. Nach sprunghaften Gesprächen führt Pozzo Luckys »Denken« vor. Lucky beginnt einen Monolog, der einem Bewusstseinsstrom ähnelt. Gleichzeitig ist der Monolog so gestaltet, dass der Inhalt unverständlich bleibt. Die Reaktionen von Pozzo, Estragon und Wladimir werden mit zunehmender Dauer immer ablehnender. Schließlich ergreifen sie Lucky und zwingen ihn, zu verstummen. Dies gelingt, indem sie ihm den Hut abnehmen.

Lucky liegt am Boden und kann nicht aufstehen, deswegen helfen Estragon und Wladimir ihm. Schließlich steht Lucky, wird wieder mit dem Gepäck beladen und angekettet. Lucky und Pozzo treten ab. Nun sind Estragon und Wladimir wieder allein, wobei Wladimir behauptet, Pozzo und Lucky zu kennen, dass sie sich jedoch verändert hätten. Estragon bezweifelt, die beiden zu kennen, sodass schließlich auch Wladimir unsicher wird.

Als nächstes tritt der Junge auf und bringt eine Nachricht von Herrn Godot. Wladimir fragt den Jungen aus, doch plötzlich bricht Estragon hervor, bedrängt den Jungen und unterstellt ihm, alles erlogen zu haben. Wladimir fängt diese Situation auf und setzt das Verhör fort. Freilich ist auch dieses nicht ergiebig, schließlich lautet die Nachricht lediglich, dass Herr Godot heute nicht kommen könne, sicherlich aber morgen vor Ort sei. Die beiden Landstreicher sollen also am nächsten Tag wiederkommen. Dennoch setzt Wladimir sein Verhör fort, augenscheinlich ohne echte Intention. Am Ende weiß er gar nicht, was er Herrn Godot ausrichten lassen will.

Mit dem Fortgang des Jungen setzt die Nacht ein. Wieder kommt das Gespräch auf Jesus und die Kreuzigung. Estragon wirft erneut die Frage auf, ob sie sich nicht besser trennen sollten. Nach einem kurzen Wortwechsel beschließt Estragon allerdings, dass es sich jetzt auch nicht mehr lohne. Sie einigen sich schließlich darauf, zusammen zu gehen. Doch keiner rührt sich. Ende des ersten Aktes.

Analyse

Bereits im ersten Akt wird schnell deutlich, welche Bedeutung der Sprache im Stück zukommt. So ist es Wladimirs Meditation über die Sprichwörter (vgl. 31), die den Streit zwischen den beiden Männern schlichtet. Generell fällt auf, wie sprunghaft die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten ist. Schon auf der ersten Seite kontrastiert die Freude Wladimirs mit dem Desinteresse Estragons (vgl. 27). Diese Asymmetrie in der Beziehung findet sich tatsächlich im gesamten Stück. Allerdings gilt das Moment des Sprunghaften auch für Estragon und Wladimir als Individuen. Zwischen abgrundtiefer Resignation, Aggression und Begeisterung wechseln die beiden ohne Probleme.
Freilich hat das Stück eine gewisse Tendenz zur Verzweiflung, was sich bereits am ersten ausgesprochenen Satz verstehen lässt. »Nichts zu machen« – mit diesem hoffnungslosen Satz beginnt »Warten auf Godot« (27). Dass der erste Satz bereits einen resignativen Charakter hat, setzt den Ton für das ganze Stück. In der Welt von »Warten auf Godot« erscheint alles vergeblich. Gespräche werden als hoffnungslos aufgegeben. Damit korrespondiert die tiefe Hoffnungslosigkeit, die sich etwa darin zeigt, dass der Selbstmord als etwas positives, leider aber bereits vergebliches beschrieben wird: »Man hätte vor einer Ewigkeit daran denken sollen, so um 1900. [...] Hand in Hand hätten wir uns vom Eiffelturm runtergestürzt, mit den ersten. Da sahen wir noch anständig aus. Jetzt ist es zu spät« (29). Auch die Aussicht, sich an dem Baum zu erhängen wird rasch fallengelassen. Grund dafür sind praktische Erwägungen. Aber überhaupt verselbstständigen sich die Gespräche. So möchte Estragon von Wladimir eine Geschichte erzählt bekommen, setzt dann aber selbst an, sie zu erzählen. Plötzlich fordert er von Wladimir, die Geschichte weiterzuerzählen, doch das Gespräch versandet (vgl. 45).

Die Gespräche landen immer wieder bei der stereotypen Wendung »Wir warten auf Godot«. Es lässt sich sagen, dass Godot das Ziel aller Anstrengungen ist und gleichzeitig auch der Grund, warum Gespräche nicht über ein zirkuläres Gerede hinausgehen. Die Sprache ist in »Warten auf Godot« ein wesentlicher Handlungsträger. Die Protagonisten geben sich ihr hin – wenngleich dies auch ein Grund ist für die Unfähigkeit, jemals an ein kommunikatives Ziel zu kommen. Bereits am Anfang des Stücks genießt Wladimir den Klang von Wörtern (vgl. 39), später tut dies auch Estragon (vgl. 45). Beide Protagonisten sind jedoch in der Sprache gefangen. Es ist schließlich nur der Merksatz, sie warteten auf Godot, der sie an ihren Ort fesselt. Die Sprache ist mächtig in diesem Stück, gleichzeitig ist sie Teil des Problems. Es wird ständig über etwas geredet, aber getan wird nichts. Die Verbindung von Sprache und Wirklichkeit ist ungemein brüchig.

Wie wirkmächtig die Sprache ist, lässt sich auch an der Szene erkennen, in der Wladimir das Lukasevangelium kommentiert. Die Geschichte vom erlösten Dieb ist nur bei Lukas zu finden, trotzdem glaube jeder daran. Die Geschichte ist ein sprachliches Phänomen, das direkte Auswirkungen auf den Glaubensinhalt unzähliger Menschen hat. So funktioniert auch der Satz »Wir warten auf Godot«: alle Beteiligten wissen, wie schlecht es um die Einlösung des Versprechens, Godot würde kommen, bestellt ist, trotzdem halten sie sich an den Satz. Ja, letzten Endes halten sich die beiden sogar nur an den Namen Godot. Was sie eigentlich von ihm wollten, wissen sie gar nicht mehr (vgl. 51). Wer Godot eigentlich ist, was er vermag und wie er ihnen helfen könne, ist ebenfalls völlig unklar. Godot ist eine ungeheure Leerstelle, auf die Estragon und Wladimir immer nur rekurrieren, ohne jemals wirklich ans Ziel zu kommen. Es ist die Sprache, die hier einerseits Hoffnungen schürt, andererseits aber dafür verantwortlich ist, dass es niemals zur Erfüllung kommt. In diesem Sinne ist »Warten auf Godot« weniger absurdes Theater als vielmehr Sprechtheater.

Die ungeheure Wirkung der Sprache zeigt sich besonders deutlich an Luckys Monolog (vgl. 105 ff.). Die von Lucky verwendete Sprache verursacht bei allen Zuhörern Unbehagen. Auch, weil es sich um eine Sprache handelt, die nicht mehr verständlich ist. Dennoch ist es bezeichnend, dass diese wirkungslose Sprache solch eine Macht entfaltet. Sie ist es ja auch, die Pozzo für seine Niedergeschlagenheit verantwortlich macht. Estragon und Wladimir zeigen diese Abneigung ebenfalls. Diese Abneigung gegenüber der Sprache und dem Erzählen zeigt sich aber auch, als Wladimir es sich verbittet, dass Estragon ihm seinen Traum erzählt (vgl. 45). Im Stück wird Sprache immer auch als Gefahr verstanden.

Veröffentlicht am 25. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2023.