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Warten auf Godot

Sprache und Stil

»Warten auf Godot« ist ein Stück, das auch von der Sprache an sich handelt. Dementsprechend exakt sind die einzelnen Worte gesetzt. Allerdings gibt es bei diesem Stück eine Besonderheit. Samuel Beckett ist Ire, seine Muttersprache ist Englisch. Dennoch hat er das Stück auf Französisch verfasst. »En attendant Godot« – was strenger übersetzt »in Erwartung Godots« lauten müsste – ist also der Originalname des Stücks. Als Muttersprachler übernahm Beckett die englische Übersetzung – wie bei allen seinen Texten – selbst. Original und Übersetzung weichen durchaus voneinander ab, wenngleich der allgemeine Tenor erhalten bleibt.

Die deutschsprachige Übersetzung hat zwar nicht die Autorität der ›beiden‹ Originale, dennoch ist sie im Vergleich zu jeder anderen Übersetzung privilegiert. Samuel Beckett hatte nicht nur Verwandte in Deutschland, er war auch sehr lange in Deutschland auf Reisen. Er kannte Berlin, Hamburg, München und hatte wohl durchaus Grundkenntnisse im Deutschen (vgl. Deutschlandfunk 2003). Der Übersetzer Elmar Tophoven stimmte seine Übersetzung dementsprechend mit Beckett ab (vgl. Tophoven 2006). Dies gilt für die meisten zu Lebzeiten publizierten und ins Deutsche übersetzten Texte der Kooperation Beckett/Tophoven. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass auch die deutsche Übersetzung den sprachlichen Geist des Originals aufgreift. 

Es fällt auf – und der Vergleich mit den Originalen in vorliegender Ausgabe ergibt kein anderes Ergebnis – dass »Warten auf Godot« immer wieder zwischen Objekt- und Metasprache wechselt. Auf die Frage, was sie tun sollen, um die Zeit herumzubekommen, verfallen Estragon und Wladimir darauf, sich zu beschimpfen. Hier kommt somit der sprachliche Akt der Emotion zuvor und nicht umgekehrt. Normalerweise ist man zunächst sauer und beschimpft sich dann. Die beiden entscheiden sich aber für letzteres und geraten erst dann in ihre wechselseitige Animosität. 

Auch die Lust, mit der die beiden Protagonisten Wörter ausprobieren, spricht klar für das Primat der Sprache. Die Sprache verselbstständigt sich. Die Zusammenhänge sämtlicher Gespräche untereinander sind assoziativer Art. Deswegen fällt der Mangel an Handlung auch gar nicht weiter auf. Es passiert ja doch etwas, obwohl die ganze Zeit über nichts passiert. Das verdankt sich der Sprache des Textes. Es sind – von lyrischen, den Verlauf auflockernden Passagen abgesehen – klare, einfache Sätze. 

Hinzu kommt, dass diese Sätze immer wieder rezitiert werden. Vor allem das Leitmotiv: »Komm, wir gehen. / Wir können nicht. / Warum nicht? / Wir warten auf Godot. / Ach ja.« (39) ist durch eine Art Kahlschlag-Poetik gekennzeichnet. Hier ist kein überflüssiges Wort. Die Sätze sind auf das Mindestmaß beschränkt. Genau das macht die Besonderheit des Stückes aus und zeigt, in welchem Maße es – obwohl traditionell – eben doch über das Theater der klassischen Moderne hinausgeht. Der linguistic turn (linguistische Wende), der später Theatermacher:innen von Thomas Bernhard über Peter Handke bis Elfriede Jelinek prägen wird, ist ohne Samuel Beckett nicht vorstellbar. 

Veröffentlicht am 25. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2023.