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Warten auf Godot

Zitate und Textstellen

  • »Schließlich hätte ich in seiner Haut stecken können und er in meiner. Wenn der Zufall es nicht anders gewollt hätte. Jedem das Seine«
    – Pozzo (83)

    An der Textstelle lässt sich der paradoxale Charakter des ganzen Stücks ablesen. Pozzo spricht, doch widerspricht er sich dabei selbst. Die Rede ist von Lucky. Pozzo behauptet, ihre Stellung zueinander hätte jederzeit auch anders ausfallen können. Es sei Zufall, dass die Machtmittel zwischen ihnen so ungleich verteilt sind. Gleichzeitig aber schreibt Pozzo diesem Zufall einen Willen zu, was den Zufall zum Schicksal macht, denn nur das Schicksal verfügt über eine Art Willen.

    Bestärkt wird diese Interpretation auch durch den letzten Satz. Das Klassikerzitat – Es stammt von Cicero und lautet im Original »suum cuique« – »Jedem das Seine«, verweist auf die sogenannte Prädetermination, also die Vorherbestimmtheit aller Dinge. Es handelt sich um drei Sätze. Die ersten anderthalb sagen, es gebe nur Zufall, die letzten anderthalb sagen, es gebe nur Vorherbestimmung.

  • »Deshalb habe ich mir einen Knuck genommen«
    – Pozzo (87)

    Ein Beispiel für den Wortwitz Becketts, der sich nur an wenigen Stellen so offensiv zeigt wie hier. Ein Knuck ist ein Knecht, durch den man gucken kann. Das wird besonders wichtig, wenn Pozzo im zweiten Akt erblindet ist.

  • »Jetzt ... ja ... froh das bist du wieder… gleichgültig da sind wir wieder… traurig da bin ich wieder«
    – Wladimir (149)

    Die Stelle zeigt, dass das Stück durch die kleinen Gesten lebt. Es passiert nicht viel, also muss der Fokus auf dem Spiel der Protagonisten liegen. Hier vollzieht Wladimir eine komplette emotionale Entwicklung von Freude über Gleichgültigkeit zu Leid. So richtig interessant wird es aber erst, wenn man betrachtet, was er tatsächlich sagt. Er ist froh, Estragon wiederzusehen. Doch schnell stellt sich nach der Wiedersehensfreude eine Gleichgültigkeit ein. Schließlich ist er traurig, wieder hier zu sein. Am Ende ist er wieder auf sich selbst verworfen. Die Einheit mit Estragon besteht nicht mehr. Er ist, trotz Gesellschaft, allein.

  • »Estragon: Und wenn er kommt? / Wladimir: Sind wir gerettet.«
    – Estragon und Wladimir (233)

    Dieser Wortwechsel bleibt ebenso folgenlos wie jeder andere. Was heißt »gerettet«? Scheinbar gibt Wladimir eine Antwort auf die Frage, die das ganze Stück stellt: Was passiert, wenn Godot wirklich kommt, und wenn das Warten auf ihn ein Ende hat? Wie vage Wladimirs Antwort ist, zeigt sich, wenn man sie mit der Szene ganz zu Anfang in Beziehung setzt, in der die beiden bekennen, dass sie überhaupt nicht mehr wissen, was sie von Godot wollten (vgl. 51). Wissen sie überhaupt, wovor sie gerettet werden wollen?

  • »Das ist die ganze Menschheit«
    – Estragon (207)

    Estragon probiert verschiedene Namen aus, um Pozzo und Lucky zu rufen. Konkret: Er nennt sie Kain und Abel. An diese Nennung schließt vorliegende Textstelle an. Die Menschheit zerfällt demnach in zwei Kategorien, die mit den Namen Kain und Abel korrelieren. Die einen sind, wie Abel, tot. Die anderen, wie Kain, verworfen. Die Überlebenden tragen eine Schuld mit sich, sind von Gott – vielleicht von Godot – verlassen. Diese Textstelle spricht stark für eine religiöse Deutung des Stücks.

  • »Nichts zu machen«
    – Estragon (27)

    Der allererste Satz des Stücks ist bereits Ausdruck reinster Resignation. Damit ist der Ton für das ganze Stück gesetzt. Formal interessant ist, dass der erste Satz mit dem jeweils letzten Satz eines jeden Aktes korrespondiert. Er wird von den letzten Redebeiträgen am Ende der Akte richtiggehend evoziert, sodass eine Kreisbewegung entsteht. Tatsächlich könnte man den ersten Akt ja ohne Probleme wieder an den zweiten Akt hängen und das Stück wiederholen. Das Stück hat kein Ende – und streng genommen nicht einmal einen Anfang, schließlich evoziert das Ende den Anfang.

  • »Du hättest Dichter werden können«
    – Wladimir (35)

    Dieses Zitat ist ein Beispiel dafür, an welches Publikum sich das Stück wendet. Tatsächlich richtet es sich eben nicht an ein sonderlich modernistisches Publikum. Das Stück steht noch voll in der Tradition des bürgerlichen Theaters, daher an dieser Stelle ein Witz auf Kosten der Bohème. Vielleicht verdankt das Stück gerade dieser Ausrichtung seinen Erfolg. Man könnte sagen, dass es diese harmlos bürgerlichen Witze sind, die das Stück für ein Massenpublikum tauglich machen. Mit diesem progressiven Zug lässt Beckett den elitären Diskurs der klassischen Moderne hinter sich.

  • »Ich fühlte mich einsam«
    – Wladimir (43)

    Wladimir erscheint in seiner Äußerung wie ein Kind. Weil er sich einsam fühlt, weckt er Estragon. Das könnte rührend sein, wenn es sich bei der Figur nicht um einen etwa 65 Jahre alten Mann handeln würde. Weil es sich um einen Erwachsenen handelt, ist die rührende Motivik gleichzeitig Ausdruck der tiefen Selbstbezogenheit Wladimirs – in der ihm Estragon natürlich nicht nachsteht.

    Außerdem zeigt es ihre wechselseitige Abhängigkeit. Sie können nicht ohne einander. Auch dies ist weniger rührend als vielmehr Ausdruck ihrer Charakterschwäche. Die beiden sind – so täppisch und clownesk sie sich auch aufführen – grausam.

  • »Wladimir: Was sollen wir also machen? / Estragon: Gar nichts. Das ist gescheiter.«
    – Wladimir und Estragon (49)

    In dieser Textstelle findet sich eine Rechtfertigung für das Handeln der Figuren. Interessant ist, dass hier einmal Wladimir die Frage stellt und Estragon antwortet. Dies wiederum korrespondiert mit dem Eindruck, dass Estragon und Wladimir letzten Endes austauschbar wären. Es bestehen zwar Unterschiede, die Gemeinsamkeiten scheinen aber über weite Strecken zu überwiegen – wobei das bei der Unzuverlässigkeit der Äußerungen ohnehin nicht mehr zu sagen ist.

  • »Ist es das Gegenteil?«
    – Estragon (59)

    Diese Textstelle ist ein Beispiel für die unterschiedlichen Register, derer sich die Protagonisten beim Reden bedienen. Ein Gespräch über persönliche Vorlieben wird unversehens zur sprachphilosophischen Betrachtung. Die Textstelle ist damit auch ein weiterer Beleg für die These, das Stück sei nicht zuletzt auch ein Stück über die Sprache selbst.

Veröffentlicht am 25. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2023.