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Die Physiker

Historischer Hintergrund

Friedrich Dürrenmatts »Die Physiker« entstand im Jahr 1961; die Uraufführung fand am 21. Februar 1962 im Schauspielhaus Zürich statt, wobei Kurt Horwitz die Regie führte. Zu diesem Zeitpunkt herrschte eine angespannte und ängstliche Stimmung unter den Menschen: Durch die Teilung in Ost- und Westmächte sowie den möglichen Einsatz von Atombomben befürchteten die Menschen einen neuen Krieg. Dabei handelte es sich bei der Bedrohung durch einen atomaren Schlag um eine Gefahr, die sich bereits seit dem 2. Weltkrieg in  den Köpfen der Menschen manifestierte: In den USA gab es während des 2. Weltkriegs Bedenken, es könnte im zu dieser Zeit nationalsozialistisch geführten Deutschland zum Bau einer bedrohlichen Atombombe kommen und diese könnte daraufhin eingesetzt werden, um den Krieg zu gewinnen. Aufgrund dieser Befürchtung verlangten einige Wissenschaftlicher in den USA finanzielle Mittel vom Präsidenten der USA, um damit selbst eine Atombombe bauen zu können und auf diese Weise mit einem Gegenschlag drohen zu können. Unter diesen Wissenschaftlern befand sich beispielsweise auch Albert Einstein, den auch Dürrenmatt in seinem Stück »Die Physiker« aufgreift, indem sich einer der drei Physiker für Einstein ausgibt. Wie in »Die Physiker«, verlor auch der reale Einstein die Kontrolle über die Situation; die Ausmaße stellten sich als lebensbedrohlich für die gesamte Menschheit heraus.

Da es sich bei der Atombombe für Dürrenmatt um ein reell greifbares Problem handelt, das jederzeit dazu in der Lage wäre, immensen Schaden und sehr großes Leid anzurichten, beschäftigte Dürrenmatt sich intensiv mit diesem Thema und griff es nicht erst in seinem Werk »Die Physiker« auf, sondern auch schon einige Jahre vorher in seinem Sketch »Der Erfinder« (1949), den er für das Kabarett »Cornichon« anfertigte. Bereits an der Titelwahl offenbarten sich hierbei einige Parallelen – so wurde beispielsweise in beiden Fällen ein simpler Titel gewählt; außerdem ist in beiden Texten eine Berufsbezeichnung gegeben, die sich jeweils auf den wissenschaftlichen respektive forschenden Bereich bezieht. Auffällig ist dabei, dass es in »Der Erfinder« nur ein Wissenschaftler ist, später in »Die Physiker« sogar drei. Auch wandelte sich der Ausgang der Geschichte, die Handlung gewinnt in seinem späteren Werk an Dramatik und Bedrohlichkeit. Während der Protagonist in »Der Erfinder« die Menschheit am Ende retten kann, indem er die kleine Atombombe im Ausschnitt einer Frau verstecken kann, stehen die drei Physiker in »Die Physiker« am Ende des Stücks vor der Katastrophe: Die Manuskripte sind in die Hände einer unberechenbaren Frau gefallen; die Physiker haben die Kontrolle darüber gänzlich verloren. Auffällig ist hierbei vor allem auch die Tatsache, dass eine Frau in beiden Werken den Ausgang der Problematik maßgeblich beeinflusst: In »Die Erfinder« ermöglicht sie ein friedliches Ende, in »Die Physiker« leitet sie die Katastrophe ein.

Neben den politischen Gegebenheiten wurde Dürrenmatt außerdem durch Bertolt Brechts »episches Theater« beeinflusst, von dem er sich mit seiner Komödie »Die Physiker« abzugrenzen versuchte. Dürrenmatts Stück kann als Referenz sowohl auf Robert Jungks »Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher« (1956) als auch auf Bertolt Brechts »Das Leben des Galilei« (1939) gesehen werden. Anzuführen ist dabei, dass sich die beiden Autoren stark in ihrer Auffassung von Wissenschaft und der Frage nach einer Lösung unterscheiden: Brecht suggeriert in seinem »Das Leben des Galilei« die Möglichkeit auf eine Besserung – sofern die Menschen als Einheit die Gefahren anerkennen und sie vernünftig und aktiv zu lösen versuchen. Im Unterschied dazu kreiert Dürrenmatt ein »Worst Case«-Szenario: Der schlimmste Handlungsausgang tritt tatsächlich ein; es besteht keine Hoffnung, der Leser wird am Ende des Stücks mit einer Katastrophe konfrontiert, die die gesamte Menschheit gefährdet. Zeitgleich zur Uraufführung publizierte Dürrenmatt »Die Physiker« im Zürcher Arche Verlag, mit dessen Verleger Peter Schiferli der Schweizer Schriftsteller Dürrenmatt zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre zusammenarbeitete. Wie bereits im Programmheft, sind auch an die Textfassung »21 Punkte zu den ‚Physikern‘« angefügt. Er widmete das Buch Terese Giehse, die ihn dazu inspiriert hat, aus dem eigentlich männlichen Leiter der Psychiatrie eine weibliche Leiterin zu machen. Im Jahr 1980 wurde der Text als Werkausgabe veröffentlicht, wofür Dürrenmatt ein paar kleine Änderungen vorgenommen hat.

Veröffentlicht am 12. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. Oktober 2022.