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Die Physiker

2. Akt

Zusammenfassung

Noch während der laufenden Ermittlungen durch Inspektor Voß entschließt sich Möbius dazu, seine bis dato gut gehüteten Erkenntnisse zu vernichten, da er sich seiner Verantwortung darüber mehr als bewusst ist. Es gelingt ihm ferner, die beiden anderen Protagonisten zum Schweigen zu überreden, damit seine Forschungsergebnisse keinesfalls in die Hände der einen oder anderen Macht geraten, für die Einstein und Newton jeweils arbeiten. Im Verlaufe des Gesprächs versuchen beide jedoch, den Forscher Möbius auf ihre jeweilige Seite zu ziehen und für den Geheimdienst ihres Landes anzuwerben, denn beide wissen noch nichts von den verbrannten Unterlagen. Als beide Agenten erkennen, dass sie das gleiche Ziel haben und sich deswegen im Weg sind, kommen plötzlich zwei Revolver zum Vorschein, werden aber nach einem weiteren Disput wieder abgelegt.

Nachdem alle Fronten geklärt sind, entschließen sich die beiden Agenten Ernesti und Beutler zur Flucht aus der Anstalt, weil beide dort nichts mehr ausrichten können. Möbius hingegen weigert sich nach wie vor beharrlich, die Anstalt zu verlassen, weil in ihm die Erkenntnis gereift ist, dass seine Forschungsergebnisse weder bei der einen noch bei der anderen Großmacht gut und sicher aufgehoben sind. Es gelingt Möbius sogar, die beiden Spione zum Bleiben zu überreden, da sie sich des Mordes an den anderen beiden Krankenschwestern schuldig gemacht haben.

Womit die drei Insassen nicht gerechnet haben, ist die Verschlagenheit der Mathilde von Zahnd. Sie ist Eigentümerin und gleichzeitig Chefärztin der Anstalt. Jedoch ist sie als einzige der handelnden Personen des Stücks tatsächlich geisteskrank und glaubt wirklich daran, regelmäßig mit König Salomo zu sprechen und von ihm Anweisungen zu erhalten. Mathilde von Zahnd hat alle Gesprächsnotizen und Aufzeichnungen sorgfältig kopiert und aufbewahrt. Sie eröffnet den beiden Agenten, dass sie dadurch sowie durch das Abhören von Gesprächen in der Zelle deren wahre Identität durchschaut habe und nun die gestohlenen Unterlagen und Ergebnisse in bare Münze umwandeln werde. So heißt Herbert Georg Beutler, der sich für Newton hält, eigentlich Alec Jasper Kilton und der wahre Name von Ernst Heinrich Ernesti (Einstein) ist Joseph Eisler. Ferner stellt sich nun heraus, dass die drei ermordeten Krankenschwestern von ihrer Chefin auf die drei Insassen angesetzt wurden. Mathilde von Zahnd fühlt sich nun – angespornt durch König Salomo – dazu berufen, die Welt zu beherrschen, wobei ihr die Ergebnisse von Johann Wilhelm Möbius helfen sollen. Außerdem kommt noch heraus, dass die Chefärztin nicht nur äußerlich entstellt ist, sondern auch darunter leidet, keine eigenen Kinder bekommen zu können. Umso bedeutsamer ist es in ihren Augen, dass König Salomo gerade sie für diese große Aufgabe ausgewählt habe. Fatalerweise können Kilton, Eisler und Möbius die geisteskranke Ärztin nicht aufhalten, weil nach den drei Morden niemand bereit ist, ihnen zu glauben.

Analyse

Zu Beginn des zweiten Akts findet stellt sich eine ähnliche Situation wie im ersten Akt dar, zumindest was die äußeren Bedingungen betrifft: Wieder ist Inspektor Voß zu Besuch, um einen Mord zu untersuchen. Jedoch haben sich die genauen Vorgänge und Gedanken in ihr Gegenteil verkehrt: Inspektor Voß lehnt sowohl die Zigarre als auch den Schnaps von Mathilde von Zahnd ab, was einen Hinweis darauf liefert, dass er die Härte und Strenge vom Beginn der Komödie ablegt. Außerdem findet er sich dieses Mal nicht erst im Gespräch mit der Oberschwester, sondern direkt mit der Leiterin Mathilde von Zahn, was zum einen Mathilde stärker in den Fokus rückt und den Leser unterschwellig auf das tragisch Finale vorbereitet, zum anderen aber auch vor Augen führt, wie stark der Inspektor mittlerweile in das Gedankengut der Klinik verstrickt ist. Die Regeln der Einrichtung bedeuten eine Art Auszeit von seinem sonst so stressigen und unangenehmen Job – der Inspektor scheint überaus froh über diese Möglichkeit zu sein, was unter anderem dadurch bezeugt wird, dass er sich nun wesentlich ruhiger und entspannter zeigt als noch im ersten Akt. So ist er schließlich auch nicht mehr derjenige, der sich den Schweiß abwischt, sondern Mathilde von Zahnd; auch sie ist es, die dieses Mal das Wort »Mörder« ausspricht und nicht Inspektor Voß. Diese Beobachtungen erzeugen schleichende Zweifel an der Glaubwürdigkeit und der angeblichen Fürsorglichkeit der Oberärztin.

Die Patienten Newton und Einstein verkörpern die Ost- und Weststaaten im Rahmen des Kalten Kriegs: Beide fürchten sich vor einem Gegenschlag und wagen daher nicht den ersten Schritt; die Bedrohung liegt dennoch schwermütig in der Luft: »Da wir beide, wie ich vermute, mit Waffen tüchtig umzugehen wissen, wollen wir doch ein Duell möglichst vermeiden, finden Sie nicht?« (Einstein) Als Möbius verkündet, dass er die Manuskripte verbrannt habe, einigen sich die beiden Konfliktpartner mit Möbius darauf, sich aus der Forschung herauszuhalten und in der Anstalt zu bleiben, um den begangenen Morden einen Sinn zu verleihen. In ihr Schicksal gefügt, stoßen sie auf die Schwestern an, wobei sie Physiker mit Gefangenen, Verrückten und Verbrechern gleichstellen und damit suggerieren, dass es sich bei Physikern respektive Wissenschaftlern im Allgemeinen um Verbrecher im großen Stil handele.

Das tragische Ende des Stücks wird dadurch präfiguriert, dass die drei Physiker nacheinander das Wort »Nacht« in ihre Sätze einbauen (»Eine geheimnisvolle Nacht«; »Eine glückliche Nacht«; »Eine andächtige Nacht«). Wenig später wird dieses Ende durch eine dramatische Wendung eingeleitet: Mathilde von Zahnd, die sich als wahnsinnig und manipulativ erweist, steht dabei mit ihrer Weiblichkeit in einem Gegensatz zu den logisch denkenden Physikern. Diese Weiblichkeit wird allerdings durch ihre Jungfernschaft und die Nähe zur Wissenschaft geschmälert.

Am Ende des Textes stellen sich die drei Physiker dem Publikum vor, was an ein Abschlussplädoyer vor Gericht erinnert. Sie stellen sich dabei nicht mit richtigem Namen vor, sondern nehmen die Identität derjenigen an, die sie als Ausdruck ihrer angeblichen Geisteskrankheit vorgeschoben hatten. Nach dem jeweiligen »Plädoyer« verlassen sie die Szenerie und gehen in ein Zimmer – so, als würden sie dort auf ihre Bestrafung warten. Im Verlauf ihrer Vorstellung geben sie ihre Namen, biographische Eckdaten, Leistungen für die Wissenschaft, aber auch Schwächen respektive Fehler an. Am Ende der jeweiligen Vorstellung wiederholen sie den Namen und die wichtigsten Kerndaten. Es kann vermutet werden, dass diese »Plädoyers« am Ende dazu dienen, den Leser darüber aufzuklären, dass Wissenschaft nicht immer nur Fortschritt und Verbesserung bedeutet, sondern auch Gefahren birgt; der Leser soll dazu motiviert werden, sich kritisch und reflektierend mit Forschung und Wissenschaft auseinanderzusetzen.

Veröffentlicht am 12. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. Oktober 2022.