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Die Physiker

Sprache und Stil

Der Text weist eine überwiegend schlichte und schmucklose Ausdrucksweise auf, die es allen Bildungs- und Gesellschaftsschichten ermöglicht, dem Stück zu folgen und es zu verstehen. Dies entspricht der Intention des Schriftstellers Dürrenmatt, seine Botschaft über Wissenschaft und die Gefahren, die sie für die Menschheit birgt, einem möglichst breiten Publikum darzubieten, um auf diese Weise ein Umdenken zu bewirken. Darüber hinaus lenkt die schmucklose Ausdrucksweise den Fokus auf den Inhalt; der Leser wird nicht durch sprachliche Formulierungen vom eigentlichen Thema abgelenkt. Die schlichte Sprache wird durch die Verwendung einiger physikalischer Fachbegriffe unterbrochen. Verwendet werden diese Fachbegriffe (beispielsweise »Eisler-Effekt« oder Begriffe in den Bereichen Schwerkraft, Elektrizität oder Planeten) überwiegend in Gesprächen zwischen den drei Physikern; unter sich weisen sie eine gehobenere Sprache auf als im Gespräch mit anderen Figuren. Besonders deutlich wird dieser Unterschied, wenn man betrachtet, wie Möbius mit den anderen beiden Physikern spricht und welche Sprache er hingegen in der Gegenwart seiner Familie wählt: Indem er seiner Familie gegenüber umgangssprachliche Wörter und Wendungen (»Fratzen«, »stinkend«) verwendet, glaubt er, sie vertreiben zu können. 

Daneben spielen Täuschungen eine große Rolle in dem Stück – dazu zählen vor allem auch mehr- beziehungsweise doppeldeutige Aussagen. Oft entspricht die eigentliche Bedeutung bestimmter Aussagen nicht dem, was der Leser versteht. Dabei ist zu akzentuieren, dass es sich dabei nicht um zufällige Missverständnisse handelt, sondern der Leser bewusst dazu gebracht werden soll, diese Aussagen falsch zu verstehen. Schließlich werden im zweiten Akt die eigentlichen Intentionen hinter den Aussagen aufgedeckt – der Leser erhält damit eine völlig neue Sicht und Perspektive auf das Stück. Sicher geglaubte Aspekte werden infrage gestellt und müssen neu bedacht werden. Darin kann eine Referenz auf die Wissenschaft und Forschung gesehen werden: Auch hier muss immer wieder ein Umdenken geschehen, Dinge können sich ändern und müssen dann mit anderen Augen kritisch beurteilt und gegebenenfalls neu bewertet werde. Ein Beispiel für diese doppeldeutigen Aussagen, die sich später erst in ihrer vollen Bedeutung entfalten, ist unter anderem die Szene, als Kilton dem Inspektor im ersten Akt erzählt: »Ich bin schließlich nicht verrückt.« Dass es sich dabei um die Wahrheit handelt, erfährt der Leser erst am Ende des Stücks: Zunächst aber wirkt diese Aussage wie der unglaubwürdige Versuch eines Verrückten, den Inspektor vom Gegenteil zu überzeugen. Wie am Ende herauskommt, ist Kilton jedoch tatsächlich nicht verrückt. 

Neben den mehr- und doppeldeutigen Aussagen nutzt Dürrenmatt auch sprachliche Stilmittel wie beispielsweise Stilbrüche (»Ich darf Ihnen versichern, daß ich die Kreutzersonate bei weitem schwungvoller hinunterfiedeln würde als Ernst Heinrich Ernesti eben« (Kilton)), Kalauer (»Meine Aufgabe besteht darin, über die Gravitation nach-zudenken, nicht ein Weib zu lieben« (Kilton)), sprachliche Paradoxien (»Sie liebte mich, und ich liebte sie. Das Dilemma war  nur durch eine Vorhangkordel zu lösen« (Kilton)), groteske Wendungen (»Diese Irrenentwickeln oft gigantische Kräfte. Es hat etwas Großartiges« (Gerichtsmediziner)), Wortspiele (»Wir wären fertig, Herr Inspektor« (Blocher)); »Und mich macht man fertig« (Inspektor Voß)), Phrasen (»Befehl ist Befehl« (sowohl Kilton als auch Eisler)), Sentenzen (»Wir sind in unserer Wissenschaft an die Grenzen des Erkennbaren gestoßen« (Möbius)) oder ironische Aussagen (»Die Krankenschwester liegt auf dem Parkett, in tragischer und definitiver Stellung ...« (Kilton)). Durch diese rhetorischen Gestaltungsmittel erhält die eigentlich dramatische Handlung eine gewisse Komik und Absurdität, was der Intention Dürrenmatts, das Stück als Komödie zu inszenieren, entgegenkommt. Dürrenmatt versucht auf diese Weise, noch intensiver in die Gedankenwelt des Lesers vorzudringen und ihm seine Botschaft zu vermitteln; er glaubt, den Leser durch die Komödie stärker gefangen zu nehmen, als dies zum Beispiel mit einem Drama möglich wäre. 

Veröffentlicht am 5. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. Oktober 2022.