Skip to main content

Fräulein Else

Zitate und Textstellen

  • »Du willst nicht mehr weiterspielen, Else?«

    Die Erzählung setzt damit ein, dass Paul Else fragt: »Du willst nicht mehr weiterspielen, Else?« Auf diese Weise ist der Leser direkt im Geschehen, ohne dass es eine Hinführung zur Situation gibt. Der Text gewinnt dadurch an Spannung und Nähe. Darüber hinaus präfiguriert diese Frage das Schicksal der Protagonistin in zweifacher Weise: »Weiterspielen« meint einerseits das Spielen gesellschaftlicher Rollen, kann andererseits aber auch synonym für »leben« stehen. Als Else auf die Frage des Cousins mit »Nein, Paul, ich kann nicht mehr, Adieu« antwortet, ist also angedeutet, dass Else ihre gesellschaftliche Rolle nicht mehr »weiterspielen« möchte, in einem weitergehenden Schritt aber auch nicht mehr weiterleben kann.

  • »Ich werde heute Veronal nehmen.«

    Else stellt hier sehr konkrete Überlegungen in Bezug auf ihren Suizid an: Sie nennt die Methode, das Hilfsmittel und sogar einen expliziten Tag. Diese Detailgenauigkeit deutet darauf hin, dass sie sich letzten Endes tatsächlich das Leben nimmt. Unterstrichen wird diese Vermutung weiterhin dadurch, dass sie mit »werde« den Indikativ und nicht den Konjunktiv wählt, es sich hier also um ein festes Vorhaben und nicht bloß Phantasien oder vage Möglichkeiten handelt.

  • »Wo werd‘ ich mit fünfundvierzig sein? Vielleicht schon tot. Hoffentlich.«

    Aufgrund der gesellschaftlichen Zwänge und der psychischen Konflikte der Protagonistin fühlt diese sich nicht in der Lage, langfristige Pläne zu gestalten: Sie kann sich keine erfüllende, sorgenlose Zukunft vorstellen – es ist leichter für sie, davon auszugehen, dass sie bis dahin ohnehin schon gestorben ist. Die Textstelle verstärkt also auch den Verdacht, dass Else am Ende Suizid begeht.

  • »Glaub‘ mir, du vergibst dir nicht das Geringste, mein geliebtes Kind.«

    Diesen Satz liest Else im Brief der Mutter, als diese Else damit beauftragt, Dorsday um die benötigte Geldsumme zu bitten. Die Mutter legt dabei die Verantwortung gänzlich in Elses Hände und deutet an dieser Stelle an, dass es Elses Schuld sei, falls der Vater die Schulden nicht begleichen und daher verhaftet werde. Die Aussage ist damit zum einen Ausdruck der manipulativen Art der Mutter und betont zum anderen die gestörte Mutter-Tochter-Beziehung.

  • »Aber Kind will ich keines haben. Ich bin nicht mütterlich.« Wenig später: »Ich werde auf dem Land leben. Einen Gutsbesitzer werde ich heiraten und Kinder werde ich haben.«

    Deutlich wird hier Elses Unvermögen, endgültige Entscheidungen treffen zu können; sie springt zwischen mehreren Möglichkeiten hin und her. Die Aussage, dass sie nicht »mütterlich« sei, liefert einen Hinweis darauf, dass sie von ihrer Umgebung und der Gesellschaft das Gefühl erhält, nicht gut genug zu sein. Aus diesem gekränkten Selbstwertgefühl resultieren Versagensängste, die sie daran hindern, ihre Wünsche und Vorstellungen in die Tat umzusetzen.

  • »Ich lasse mich nicht so behandeln. Papa soll sich umbringen. Ich werde mich auch umbringen. Eine Schande dieses Leben. Am besten wär’s, sich dort von dem Felsen hinunterzustürzen und aus wär’s. Geschähe euch recht, allen. Ich stehe auf.«

    Else denkt im Verlauf der Erzählung oft über verschiedene Möglichkeiten nach, wie sie aus dieser unangenehmen Situation herauskommen könnte – dabei taucht immer wieder der Gedanke an Suizid auf. In den meisten Fällen denkt sie dabei nur über den eigenen Suizid nach, hier bezieht sie den Suizid allerdings auch auf den Vater, der sich ebenfalls umbringen solle. Da sie möglicherweise durch das Kindheitstrauma eine extreme Abhängigkeit zum Vater entwickelt haben könnte, lässt sich vermuten, dass sie nicht ohne den Vater sein möchte – sie könnte im Tod sogar eine Art Neubeginn im Hinblick auf das Verhältnis zu ihrem Vater sehen.

  • »Ich werde ihm sagen, daß er nicht der Erste ist, der mich so sieht. Ich werde ihm sagen, daß ich einen Geliebten habe. […] Wenn ich ihm nur irgendwie die Freude verderben könnte.«

    Else überlegt, wie sie Dorsday die Freude daran nehmen könnte, sie nackt zu sehen und ihm dadurch die Exklusivität daran zu nehmen. Auf diese Weise versucht Else, Kontrolle über die Situation zu gewinnen und außerdem als Siegerin hervorzugehen. Sie will außerdem ihre Selbstbestimmung wahren, indem sie selbst entscheidet, wem und auf welche Weise sie ihren Körper präsentiert. Aus derselben Motivation heraus entsteht auch das Vorhaben, sich nicht nur Dorsday, sondern allen anwesenden Gästen des Hotels nackt zu zeigen.

  • »Widerlicher Kerl. Ich hasse ihn. Alle Menschen hasse ich.«

    Deutlich wird hier die Abneigung gegen Dorsday, aber auch Elses Verhaltensmuster, andere Menschen in ihren Gedanken zu verurteilen. Dass sie ihren Hass dabei unmittelbar auch auf alle Menschen bezieht, lässt vermuten, dass sie insgeheim alle Menschen verurteilt, in ihnen den Grund für ihre gegenwärtige Situation sieht und diese negativen Gefühle auf Dorsday projiziert. Die Hassgefühle, die sie ihm allein schon aufgrund seiner Forderung entgegenbringt, werden dadurch weiter verstärkt. Neben Dorsday dient auch die eigene Mutter, die ihre Tochter durch den Brief erst in ihre ausweglose Situation bringt, als Projektionsfläche für Elses Hass auf die Menschheit: »Mama ist ziemlich dumm. Von mir hat sie keine Ahnung. Andere Menschen auch nicht.«

  • »Alle, alle sollen sie mich sehen! Dann gibt es kein Zurück, kein nach Hause zu Papa und Mama, zu den Onkeln und Tanten.«

    Diese Textstelle ist bezogen auf Elses Plan, sich vor allen Hotelgästen nackt zu zeigen. Mit diesem Akt bricht sie aus ihrer gesellschaftlichen Rolle aus und behauptet ihre Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Allerdings passt sie durch diesen Ausbruch nicht mehr in die Gesellschaft, sie kann nicht mehr zurückkehren – ihr bleibt als Konsequenz nur der Suizid.

  • »Adresse bleibt Fiala.«

    Elses Mutter teilt der Tochter in einem Telegramm mit, dass sich die erforderliche Summe erhöht habe, der Adressat aber derselbe bleibe: »Adresse bleibt Fiala.« Else wiederholt diese Phrase immer wieder und scheint dadurch in Hysterie und Verzweiflung zu geraten. Die Aussage steht sinnbildlich dafür, dass sich Elses Situation verschlimmert und immer weiter verschlimmern wird: So wie die Adresse Fiala, »bleibt« auch Elses Dilemma bestehen.

Veröffentlicht am 4. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 4. Oktober 2022.