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Macbeth

Interpretation

Schein und Sein

Das Verschwimmen oder Vertauschen von Tatsachen wird bereits in der 1. Szene mit »Schön ist hässlich, hässlich schön« (7) angesprochen und fungiert dabei wie eine Einleitung in das Motiv von Schein und Sein. Damit ist gemeint, dass die äußere Erscheinung einer Figur, Situation oder eines Sachverhalts nicht das widerspiegelt, was in ihrem Inneren verborgen liegt und der Wahrheit entspricht. Dieses Mittel wird von mehreren Charakteren bedient:

Macbeth gibt sich gegenüber Duncan als treuer Untertan und gegenüber Banquo als Freund. Insgeheim plant er jedoch deren Tode. Seine Frau spielt das gleiche Spiel. Auch die Adligen unter Macbeths Gefolge zeigen sich als loyal Ergebene, beabsichtigen jedoch dessen Sturz mit Hilfe der englischen Truppen.

Die Hexen verfolgen böse Absichten. Ihre Prophezeiungen beinhalten aber die Wahrheit. Durch ihren Verzicht auf einen Kommentar führen sie Macbeth in die Irre. Macbeth interpretiert die Prophezeiungen zu seinem eigenen Vorteil und sieht demnach, was er sehen will. Er trägt somit aktiv zu seiner Täuschung bei.

Auch der gesellschaftliche Stand trügt. Macbeth und seine Frau erhoffen sich von der Ernennung zum Königspaar Glück und Ruhm. Als sie diesen Status erreichen, bleibt das Glück allerdings aus. Stattdessen quälen sie die Konsequenzen ihrer Tat. Sie leiden unter einem geplagten Gewissen und Unsicherheit: »Nichts ist gewonnen, alles ist dahin, | Stehn wir am Ziel mit unzufriednem Sinn: | Viel sichrer, das zu sein, was wir zerstört, | Als dass uns Mord ein schwankend Glück gewährt.« (54)

Der persönliche Filter, durch den ein jeder Mensch seine Umwelt wahrnimmt, beeinflusst auch die Figuren in »Macbeth«. Duncan begegnet Macbeth mit blindem Vertrauen, obwohl er soeben von dessen Vorgänger verraten wurde. Er glaubt nicht daran oder sieht zumindest keinen Anhaltspunkt, dass Macbeth etwas Ähnliches, gar Schlimmeres tun könnte. Letztendlich ahnt er nicht, was dieser im Schilde führt, da er seine wahren Absichten nicht ergründen kann: »Kein Wissen gibt’s, | Der Seele Bildung im Gesicht zu lesen« (18).

Auch Macbeth lässt sich von seiner persönlichen Weltsicht leiten. Die Aussicht auf den Thron lässt dabei Machthunger und Ehrgeiz in ihm aufsteigen und entfesselt eine Mordbereitschaft, die ihn selbst erschrickt. Sein Hang zum Irrationalen verstärkt sich im Laufe des Dramas. So sieht er aus Furcht vor der Mordtat einen Dolch in der Luft schweben und aus Angst vor Fleances Rache Banquos Geist beim abendlichen Bankett. Obwohl es sich dabei um Halluzinationen und ebenso Erscheinungen handelt, entspringen diese aus Macbeth selbst. Trotz Prophezeiungen und Irreleitungen begeht Macbeth seine Taten reflektiert und in vollem Bewusstsein (Neis, 86). Er ist fähig, diese moralisch zu bewerten und wird durch die möglichen Konsequenzen bereits im Vorfeld von Gewissensbissen, Ängsten und Verunsicherungen heimgesucht. Letztendlich ist seine Begierde jedoch zu groß und siegt. Die Sicherheit, in der er sich nach den weiteren Prophezeiungen wiegt, rührt nicht von diesen selbst, sondern von seinen Interpretation. Zum Schluss muss er seine eigene Täuschung erkennen, beschuldigt aber die Hexen. Edgar Neis drückt dies mit folgenden Worten aus: »Er ist, am Ende seines Weges, seiner Täuschung beraubt.« (Neis, 89)

Das Böse 

Das Böse ist in »Macbeth« allgegenwärtig und wird vor allem durch die Hexen repräsentiert. Diese stehen für die »Umkehrung aller Werte« (Neis, 83), wie sich bereits in der 1. Szene mit »Fair is foul, and foul is fair«, im Deutschen »Schön ist hässlich, hässlich schön« (7) zeigt. Laut dem Elisabethanischen Verständnis der Weltordnung widerspricht das Böse der Natur des Menschen. Dennoch ist dieses im Menschen angelegt. Lady Macbeth muss ihre Weiblichkeit und damit das Weiche und Milde verbannen, um vollkommen böse zu werden. Macbeth geht über sein warnendes Gewissen und moralisches Bewusstsein hinweg, um seine Tat umzusetzen. Auch mögliche Konsequenzen muss er ignorieren. Banquo spürt die Versuchung durch das Böse ebenfalls. Ihm gelingt jedoch der Widerstand. 

Das Böse ist verlockend und täuscht. In »Macbeth« steht es eng in Verbindung mit Macht. Ehrgeiz und Machtgier werden zu Macbeths sündhaften Motivatoren. (Herforth, 97f.) Allerdings bleiben die hinter dem Reiz verborgenen Wünsche und Hoffnungen unerfüllt. Die daraus resultierende Verzweiflung Macbeths zieht ihn in eine Abwärtsspirale.

Auf die Hingabe zum Bösen und der damit verbundenen Einmischung in die göttliche Ordnung folgen Chaos und Zerstörung. Das Böse wirkt dabei wie eine Krankheit, welche sich verschlimmert und sich auf andere Systeme ausbreitet. Macbeth versinkt immer tiefer darin. Das Morden fällt ihm zunehmend leichter, bis er so weit geht, Macduffs gesamte Familie auszulöschen. (Mürb, 40) Gefühle und Fähigkeiten wie Liebe, Mitgefühl oder Empathie verschwinden. Am Ende bleiben Misstrauen, Argwohn und Isolation. Macbeth zerstört sich selbst.

Das Gute, charakterisiert durch Frieden und Sicherheit, kann allerdings erst mit der Auslöschung des Bösen Einzug halten, wofür Macbeths Tod nötig ist. Das steht im engen Zusammenhang mit dem Elisabethanischen Verständnis von Ehre und Loyalität, welche die Ordnung sichern. Macbeth missachtet diese Tugenden. (ebd., 41) Das Böse bestimmt die Handlung als Grundthematik und verleiht dem Drama die Struktur von Ordnung, Unordnung, Ordnung. (Herforth, 96)

Die abstrakten Mächte des Bösen können sich erst durch menschliche Handlungen entfalten. Deutlich wird dies an den Hexen, die Macbeth zwar mit den Prophezeiungen täuschen wollen, jedoch keinen Mordauftrag erteilen. Macbeth will daraufhin die Weissagungen mit Gewalt erfüllen und handelt entsprechend. Er ist von seinen erträumten Zukunftsszenarien und damit eigens hervorgerufenen Täuschungen geblendet.

Geschlechterrollen

Im Elisabethanischen Zeitalter wurden den Geschlechtern von Mann und Frau klare Attribute zugeschrieben. Das weibliche Geschlecht stand dabei in erster Linie für Schwäche, sowohl körperlich als auch moralisch und mental. Besonders deutlich wird dies in Akt 2, Szene 3, als Macduff den Königsmord nicht vor Lady Macbeth auszusprechen vermag: »O zarte Frau, | Ihr dürft nicht hören, was ich sagen könnte.« (42) Den Gegenpol zum schwachen Verstand der Frauen bildet ihre starke Sinnlichkeit, die allerdings von Männern gezähmt werden müsse. Darin mündet auch die Auffassung, »dass Frauen sich dem Manne zu fügen haben.« (Gelfert, 44f.) 

Starke Gefühle und Emotionalität wurden als »weibisch« bezeichnet. Männer hatten diese nicht zu zeigen. Dies offenbart sich unter anderem in Szene 3, Akt 4, als Malcolm Macduff auffordert, den Schmerz über seine ermordete Familie wie ein Mann zu ertragen (vgl. 92). Das männliche Geschlecht zeichnet sich durch Krieg, Kampf und vor allem Stärke aus und bildet somit einen Kontrast zur Schwäche der Weiblichkeit. Diese Attribute erklären auch, warum der Kampf zur Konfliktlösung eingesetzt wird.

Lady Macbeth widerspricht mit der Entsagung ihrer Weiblichkeit und der Hingabe zum Bösen und Grausamen ihrer Rolle und damit der ihr zugeordneten Position im Kosmos. An diesem Punkt kommt es zu einer Umkehrung der Geschlechter. Lady Macbeth agiert herzlos, ehrgeizig und kämpferisch, während Macbeth verunsichert und ängstlich ist. Sie überredet ihren Gatten zum Mord an König Duncan, der die göttliche Ordnung folglich auf höchster Ebene stört. Das hat Chaos zur Folge.

Auch die Hexen werden als weibliche Figuren gelesen, wie die Aussagen von »Zauberschwestern« (32) und »Unheilsschwestern« (12) zeigen. Letztere spielen auf ihre Verbindung zum Bösen und Teuflischen ab. Dies ist auf die Unterdrückung des christlichen Marienkults im 16. Jahrhundert zurückzuführen, wodurch sich »de[r] weibliche[n] Aspekt der christlichen Gottheit« ins Gegenteil kehrte und die Wiederauflebung des Hexenkults zur Folge hatte. (Posener, 79ff.)

Neben Lady Macbeth und den Hexen tritt nur eine weitere Frau im Drama auf: Lady Macduff. Dabei handelt es sich jedoch um eine kaum ausgearbeitete Figur, die sich vor allem durch die typischen Eigenschaften von Schwäche, Sorge und der Abhängigkeit vom Mann auszeichnet.

Veröffentlicht am 3. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. November 2023.