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Der Besuch der alten Dame

Historischer Hintergrund und Epoche

»Der Besuch der alten Dame« entstand im Jahr 1955 und damit während der Epoche der Nachkriegsliteratur (1945-1967). Anders als in Deutschland, wo direkt auf das Ende des Zweiten Weltkriegs erst einmal die Epoche der Trümmer- oder Kriegsliteratur (1945-1950) folgte, ist das Thema des Krieges aufgrund der politischen Neutralität der Schweiz innerhalb der Schweizer Literatur nach 1945 weniger präsent. 

Aus künstlerischer Sicht erschienen Welt, Politik und Gesellschaft Mitte des 20. Jahrhunderts chaotisch, absurd und paradox. Im neueren deutschsprachigen Theater herrschte aus diesem Grund Konsens darüber, dass die klassische Tragödie in der Nachkriegszeit ausgedient hat. Von Gegenwartsdramatikern wie Dürrenmatt wurden angesichts der politischen und gesellschaftlichen Umstände stattdessen vermehrt absurd anmutende Tragikomödien wie »Der Besuch der alten Dame« verfasst.

Der Hintergrund des Dramas ist vor allem die Hochkonjunktur der Nachkriegszeit, ergo der wirtschaftliche Aufschwung, den die Schweiz als Dürrenmatts Heimatland in den 1950er Jahren u.a. dank der Marshall-Plan-Hilfe der Vereinigten Staaten erhielt. Dementsprechend lautete der ursprüngliche Untertitel des Stücks auch »Komödie der Hochkonjunktur«. Der Konjunkturaufschwung der Schweiz erfolgte noch schneller als das »Wirtschaftswunder« - der Wirtschaftsaufschwung der Bundesrepublik Deutschland zur gleichen Zeit.

Mit dem finanziellen Wohlstand stieg auch die Relevanz von Profit, Konsum und Materialismus in westlichen Gesellschaften. Daraus resultierte unter zeitgenössischen Kritikern die Befürchtung, dass Geld und Materialismus einen ganz anderen gesellschaftlichen Stellenwert einnehmen würden. Auch Dürrenmatt kritisiert in seinem Stück diese in den 1950er Jahren neue gesellschaftliche Tendenz, alles - auch das Wertesystem - dem Profit unterzuordnen.

Veröffentlicht am 24. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 24. März 2023.