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Streuselschnecke

Aufbau des Werkes

Die Kurzgeschichte »Streuselschnecke« gehört zu den kürzesten Erzählungen der Autorin Julia Franck. Sie ist dem im Jahr 2000 erstmals veröffentlichten Sammelband »Bauchlandung« entnommen und umfasst nur zwei Buchseiten beziehungsweise knapp fünfhundert Wörter. Wegen ihres kurzen Umfangs ist sie besonders für den Einsatz im Schulunterricht geeignet.

Die Handlung beginnt in medias res mit dem Anruf des Vaters. Es wird in chronologischer Reihenfolge erzählt, wobei nur ein grober zeitlicher Rahmen der erzählten Zeit von etwa drei Jahren durch das Alter der Ich-Erzählerin markiert wird. Neben der Ich-Erzählperspektive gibt es keine weiteren Erzählinstanzen. Die Leserinnen und Leser erfahren also nur das, was die Ich-Erzählerin mitteilt. Allerdings lässt sich zwischen einem rein erzählenden Ich und einem erlebenden Ich unterscheiden. »Während die Perspektive des erlebenden Ichs einen Blick auf konkrete Geschehnisse und damit auch auf die Entwicklung der Beziehung ermöglicht, gibt die Perspektive des erzählenden Ichs dieser Entwicklung einen Rahmen und skizziert sie überblicksartig.« (Kloppert 223) Da die Ich-Erzählerin Teil der erzählten Welt ist, handelt es sich um eine homodiegetische Erzählung.

Nach zwei Sätzen Einleitung, in der der zeitliche Rahmen (»als ich vierzehn war«, Franck 51), die Situation sowie der Ort der Handlung (»in Berlin«, Franck 51) kurz beschrieben wird, wechselt die Ich-Erzählerin von der Rückschau in die eigentliche Figurenperspektive. Daraufhin schildert sie die Ereignisse aus der Sicht ihres jüngeren Ichs in zeitlicher Reihenfolge, ohne jedoch konkrete Zeitpunkte für die einzelnen Begebenheiten zu nennen. 

Der Hinweis »Zwei Jahre später …« (52) markiert eine Zäsur durch einen größeren zeitlichen Sprung und eine starke Zeitraffung in der Erzählung. An dieser Stelle lässt sich die Erzählung auch inhaltlich in etwa zwei gleich lange Hälften unterteilen. Während der erste Abschnitt von dem Kennenlernen der Ich-Erzählerin und ihrem Vater handelt, steht im zweiten Teil der Abschied durch die Krankheit und den Tod des Vaters im Mittelpunkt des Geschehens.

Bei der Kurzgeschichte »Streuselschnecke« handelt es sich um eine offene Erzählung, die für die Leserinnen und Leser in medias res einsetzt. Allerdings lassen sich sowohl Hinweise für ein geschlossenes als auch für ein offenes Ende finden. 

Für ein geschlossenes Ende spricht zunächst, dass die Geschichte mit dem Tod des Vaters zu einem klaren Ausgang führt und den für die Erzählung relevanten Handlungsstrang des Kennenlernens und des Aufbaus einer Vater-Tochter-Beziehung abschließt. Auch der Spannungsbogen, der sich durch die Unwissenheit und fehlgeleitete Erwartungshaltung der Lesenden ergibt, wird am Ende durch die Nennung der Identität des Vaters in Form einer Pointe aufgelöst. 

Dennoch lassen sich gleichzeitig auch Merkmale finden, die für ein offenes Ende sprechen. Hier wären die zahlreichen Leerstellen in der Kurzgeschichte zu nennen, die der Spekulation und Interpretation der Leserinnen und Leser überlassen bleiben. Außerdem lässt die Autorin am Ende auch einige Fragen unbeantwortet, beispielsweise, warum sich der Vater erst so spät bei seiner Tochter gemeldet hat oder in welchem Verhältnis die Ich-Erzählerin zum Rest ihrer Familie steht. Auch die Zukunft des Mädchens wird nicht näher beschrieben.

Ebenfalls charakteristisch für eine Kurzgeschichte ist, dass sich die Handlung in der »Streuselschnecke« auf ein zentrales Thema beziehungsweise einen Konflikt konzentriert, mit dem sich die Figuren auseinandersetzen. Auch der Handlungsort ist mit dem Raum Westberlin begrenzt. Überdies tauchen in der Erzählung neben einigen Nebenfiguren, die am Rande erwähnt werden, nur zwei Hauptpersonen auf. Typisch ist auch die personale Erzählperspektive sowie die Fokussierung auf alltägliche Themen und zwischenmenschliche Beziehungen.

Veröffentlicht am 29. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 29. August 2023.