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Streuselschnecke

Zitate und Textstellen

  • »Der Anruf kam, als ich vierzehn war.«
    – Erzählerin (51)

    Es handelt sich um den ersten Satz der Kurzgeschichte, der die Erzählung für die Leserinnen und Leser abrupt einleitet. Der bestimmte Artikel signalisiert die rückwärtsgerichtete Erzählperspektive einer mittlerweile erwachsenen Frau. Die Zeitangabe im Nebensatz markiert den Beginn der erzählten Zeit.

  • »Zwar hatte ich schon viel über solche Treffen gehört und mir oft vorgestellt, wie so etwas wäre, aber als es soweit war, empfand ich eher Unbehagen.«
    – Erzählerin (51)

    Die Wendung »solche Treffen« erscheint vor dem Hintergrund des Alters der Ich-Erzählerin merkwürdig und lässt zunächst ein moralisch fragwürdiges Arrangement zwischen dem Mann und dem Mädchen vermuten. Auch das beschriebene »Unbehagen« deutet auf diese Lesart hin. In der Re-Lektüre der Kurzgeschichte, mit dem Wissen, dass es sich um eine Vater-Tochter-Beziehung handelt, passt die Aussage jedoch auch sehr gut. Schließlich kann man sich vorstellen, dass Familienmitglieder gerade im Kontext der Wiedervereinigung sich häufig jahrelang nicht gesehen haben. Aber auch ganz allgemein gibt es zahlreiche Gründe und Möglichkeiten für nachträgliche Familienzusammenführungen.

  • »Unsympathisch war er nicht, eher schüchtern.«
    – Erzählerin (51)

    Dies ist einige der wenigen Stellen in der Kurzgeschichte, an denen die Ich-Erzählerin direkt kommentiert, was sie fühlt oder denkt. Hier schildert sie kurz und knapp den ersten Eindruck, den sie von dem Mann hat. Auffällig ist die doppelte Verneinung. Eventuell ist dies ein Hinweis darauf, dass sie ursprünglich angenommen hatte, er wäre unsympathisch. Woran sie diese Bewertung allerdings festmacht, bleibt ungesagt.

  • »Ein feines, ironisches Lächeln zog er zwischen sich und die anderen Menschen.«
    – Erzählerin (51)

    Dieser sprachlich interessante Ausdruck bezieht sich auf das Verhältnis, das der Mann zu seinen Mitmenschen hat. Das Lächeln hat dabei die Funktion einer Grenze oder Barriere, die der Mann offenbar zwischen sich und den anderen Leuten errichtet hat. Das heißt, selbst zu seinen Freunden, auf welche sich diese Äußerung im Handlungskontext bezieht, hat er ein distanziertes Verhältnis.

  • »Schlimm war das nicht, schließlich kannte ich ihn kaum, was sollte ich da schon verlangen?«
    – Erzählerin (51 f.)

    Diese Äußerung der Ich-Erzählerin bezieht sich auf die Tatsache, dass der Mann ihr von sich aus kein Geld gegeben hat und sie sich auch nicht traut, ihn danach zu fragen. Die rhetorische Frage markiert den Beginn eines Abschnitts, in dem die Ich-Erzählerin ihre Meinung bezüglich ihrer Lebenswirklichkeit als Vierzehnjährige frei zum Ausdruck bringt. Es ist die einzige Stelle in der gesamten Kurzgeschichte, die in Form einer erlebten Rede formuliert ist. Dadurch erfahren die Lesenden die Gefühle und Gedanken der Ich-Erzählerin aus maximaler Nähe und direkt aus der Perspektive des handelnden und erlebenden Ichs, also der Figurenperspektive.

  • »Zwei Jahre später, der Mann und ich waren uns noch immer etwas fremd, sagte er mir, er sei krank.«
    – Erzählerin (52)

    Dieser Satz markiert einen Zeitsprung sowie eine Zäsur in der Erzählung, die zunächst rückblickend vom erzählenden Ich berichtet wird. Der Einschub und Kommentar, dass sich die beiden immer noch etwas fremd waren, fällt wieder dem erlebenden Ich in der Figurenperspektive zu. Dadurch, dass dieser Satz unmittelbar nach dem Teil in der erlebten Rede steht, werden die Leserinnen und Leser aus der Nähe zum Ich wieder herausgerissen und erfahren sehr nüchtern und sachlich von der Krankheit des Mannes, die sich im weiteren Verlauf als tödlich herausstellt.

  • »Er starb ein Jahr lang, [...].«
    – Erzählerin (52)

    Diese Formulierung weist auf den langen, schmerzhaften Tod des Mannes hin. Er lebt noch ein Jahr in dem Wissen, dass er sterben wird. Auf diese Weise wird das Ziel des Zeitraums, das Sterben, auf den Zeitraum selbst übertragen. Das heißt, der Vater des Mädchens lebte noch ein Jahr so, als ob er stürbe. Außerdem beinhaltet diese Wendung eine starke Zeitraffung, die für diese Kurzgeschichte typisch ist. Diese wird wieder rückblickend aus der Perspektive des erzählenden Ichs geäußert.

  • »Er sagte, die einfachen Dinge seien ihm jetzt die liebsten – er wolle nur Streuselschnecken, nichts sonst.«
    – Erzählerin (52)

    Diese in der indirekten Rede wiedergegebene Äußerung des Vaters führt die titelgebenden Streuselschnecken ein, die als Symbol für das sich langsam anbahnende Verhältnis zwischen Mann und Mädchen bzw. Vater und Tochter gedeutet werden können. Nach dieser Aussage stehen die Streuselschnecken sinnbildlich für die einfachen Dinge im Leben des Mannes, an denen er sich kurz vor seinem Tod festhalten möchte.

  • »Er sagte, er hätte gerne mit mir gelebt, es zumindest gern versucht, er habe immer gedacht, dafür sei noch Zeit, eines Tages – aber jetzt sei es zu spät.«
    – Erzählerin (52)

    An dieser Stelle wird den Leserinnen und Lesern deutlich gemacht, dass es eine Vorgeschichte zum Kennenlernen der beiden Hauptfiguren gibt, die eher auf die Lesart der Vater-Tochter-Beziehung verweist. Der Vater äußert sein Bedauern darüber, dass ihm so wenig Zeit mit seiner Tochter bleibt, da er nun weiß, dass er bald sterben wird. Die Formulierung im Konjunktiv zeigt zugleich den irrealen Wunsch des Vaters und seine Unsicherheit darüber, ob er überhaupt fähig gewesen wäre, ein gemeinsames Leben mit seiner Tochter zu haben. Das deutet auf ein geringes Selbstvertrauen des Vaters hin. Der Gedankenstrich markiert den Übergang von der irrealen Hoffnung in die nüchterne Realität. Es ist gleichzeitig auch die letzte Äußerung des Mannes, die in der indirekten Rede wiedergegeben wird. Danach springt die Perspektive wieder zurück zum erzählenden Ich, das den Tod des Vaters in der Rückschau berichtet.

  • »Meine Mutter kam nicht. Ich nehme an, sie war mit anderen Dingen beschäftigt, außerdem hatte sie meinen Vater zu wenig gekannt und nicht geliebt.«
    – Erzählerin (52)

    Der erste Satz des Zitats enthält eine für die Ich-Erzählerin wichtige Information: Ihre Mutter erscheint nicht zu der Beerdigung des Vaters. Das verwendete Präsens im darauffolgenden Satz zeigt, dass die Annahme aus der Perspektive des erzählenden Ichs geäußert wird. Somit bildet diese Erzählinstanz den Rahmen für eine Handlung, die in der Erzählung »Streuselschnecke« größtenteils aus der Figurenperspektive dargestellt wird.
    Der erste Grund, dass die Mutter zu beschäftigt sei, erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten Familienverhältnisse fast schon wie ein Vorwand beziehungsweise die geäußerte Entschuldigung der Mutter. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den nachgestellten Informationen um die tatsächlichen Gründe handelt, weswegen die Mutter nicht zur Beerdigung erscheint.

Veröffentlicht am 29. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 29. August 2023.