Skip to main content

Sommerhaus, später

Zitate und Textstellen

  • »Stein fand das Haus im Winter.«
    – S. 139

    So beginnt die Erzählung und das Motiv des Winters und der Kälte zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Frieren, Kälte, Schnee und Eis ziehen sich durch die Erzählung und spiegeln die kühle Distanz und Teilnahmslosigkeit der beiden Hauptprotagonisten wider. Lediglich die eingeschobenen Erinnerungen der Erzählerin erläutern, wie das Haus zu seinem titelgebenden Namen »Sommerhaus« kommt, denn die Künstler-Clique verbringt ihre Sommer in solchen Landhäusern. Sommerlich sind jedoch weder die Gefühle der Erzählerin noch die Wetterlage, die mit Steins Haus verknüpft sind.

  • »Haus. Ich erinnerte mich. Stein und sein Gerede von dem Haus, raus aus Berlin, Landhaus, Herrenhaus, Gutshaus, Linden davor, Kastanien dahinter, Himmel darüber, See märkisch, drei Morgen Land mindestens, Karten ausgebreitet, markiert, Wochen in der Gegend rumgefahren, suchend.«
    – S. 139

    Direkt am Anfang der Geschichte erklärt die Erzählerin Steins Wunsch. Dies steht im Kontrast zu Steins bisheriger Lebensführung, denn er hat keinen festen Wohnsitz und schläft bei Freunden und Bekannten oder in seinem Taxi. Doch für Stein bedeutet das Haus noch mehr als ein fester Platz zum Wohnen, denn er sieht darin die Chance, sich der Künstler-Clique zu entziehen und mit der Erzählerin als Paar zusammen zu sein und zu leben. Dabei sucht er nicht in Berlin, sondern bewusst ein idyllisches Landhaus, weit weg von der Clique in der Stadt. Das Haus bedeutet für Stein Sesshaftigkeit, Stabilität und eine gemeinsame Zukunft mit der Erzählerin. Stein ist das Haus so wichtig, dass er rund zwei Jahre nach dem perfekten Haus für sich und die Erzählerin sucht, 80.000 Mark dafür bezahlt und dann auch noch Zeit, Geld und Arbeit in die Renovierung investiert.

    Die Erzählerin allerdings teilt Steins Begeisterung für das Haus nicht. Obwohl sie das Haus noch nicht gesehen hat, versteht sie Steins Begeisterung nicht und vergisst sein Vorhaben sogar, wenn sie ihn nicht sieht. Sie versteht nicht, warum sie sich mit ihm das Haus ansehen soll und auch nicht seine Euphorie. Als sie das Haus schließlich sieht, erkennt sich nicht das Gleiche darin, wie Stein. Für sie ist es nichts weiter, als eine einsturzgefährdete Ruine in einem trostlosen Umfeld; ein einst stolzes, aber nun gestrandetes, verfallenes Schiff. So kann das verfallene Haus auch als aussichtslos verfallene Beziehung der beiden Hauptprotagonisten gelesen werden.

  • »Ich zündete mir mechanisch eine Zigarette an, wie immer, wenn Stein irgendwie auftrat und mir also wenig einfiel.«
    – S. 139

    Dieser Satz spiegelt die Grundhaltung der Erzählerin gegenüber Stein wider. Sie ist sich ihrer Gefühle ihm gegenüber nicht bewusst, empfindet sogar widersprüchlich für ihn und versucht dies durch das Rauchen zu kompensieren. Häufig rauchen die beiden Figuren auch zusammen, damit sie nicht kommunizieren müssen. Die fehlende Kommunikation ist wesentlicher Bestandteil der Geschichte und der Beziehung der beiden Hauptfiguren.

  • »Wenn Stein genug gearbeitet hatte, setzte er sich zu uns. Zu sagen hatte er nichts. Wir nahmen LSD, Stein nahm es auch. Toddi taumelte ins Abendlicht, faselte bei jeder Berührung etwas von ‚Blau‘, Stein lächelte übertrieben heiter und schwieg. Er bekam ihn nicht hin, unseren spitzfindigen, neurasthenischen, abgefuckten Blick, obwohl er sich darum bemühte; meist sah er uns an, als ob wir auf einer Bühne agierten.«
    – S. 143

    Stein grenzt sich schon dadurch von der Künstler-Clique ab, dass er als Einziger mit seinem Nachnamen angesprochen wird. Außerdem ist er der Einzige, der für die Gruppe arbeitet, z. B. verlegt er Kabel bei Annas Konzerten, renoviert die Landhäuser und räumt auf. Wenn er sich nach diesen Arbeiten zu der Gruppe gesellt, hat er nichts zu deren, meist kulturell geprägten Gesprächen beizutragen, was die Kluft zwischen ihm und den Mitgliedern der Clique noch einmal verdeutlicht.

    Dennoch versucht er sich zu integrieren, indem er ihren ausschweifenden Lebensstil nachahmt, auch Drogen nimmt, wenn sie es tun. Den Blick, den die anderen aufsetzen, um ihre Lebenseinstellung zu zeigen (eine Mischung aus Melancholie und Selbstzerstörung), bekommt Stein nicht hin, was darauf hindeutet, dass er die Ansichten der Künstler-Clique nicht teilt. Dass er sie ansieht, als agierten sie auf einer Bühne, zeigt, dass er ihr Verhalten als künstlich, aufgesetzt und nicht authentisch empfindet.

  • »Du stellst die falschen Fragen.«
    – Stein, S. 145

    Das erwidert Stein, nachdem die Erzählerin fragt, woher er die 80.000 Mark für das Haus hat. Zuvor erklärt er: »Ich hab 80.000 Mark dafür bezahlt. Es ist schön. Ich hab’s gesehen, und hab gewußt – das ist es.« Die Erzählerin geht also nur auf das Geld ein und nicht auf Steins Gefühle, die das Haus bei ihm auslösen. Deutlich wird hier, dass die Erzählerin nicht nur unfähig ist, sich ihrer eigenen Gefühle bewusst zu werden, sondern es auch vermeidet, mit den Gefühlen anderer, insbesondere mit denen Steins konfrontiert zu werden.

  • »See, märkisch, Kastanien auf dem Hof, drei Morgen Land, ihr könnt euer gottverdammtes Gras hier anbauen und Pilze und Hanf und Scheiße. Platz genug, verstehst du? Platz genug! Ich mach euch hier jetzt 'nen Salon und 'n Billardzimmer und 'n Raucherzimmer, und jedem seinen eigenen Raum und großer Tisch hinterm Haus für Scheißessen und Dreck, und dann kannste aufstehen und zur Oder laufen und dir da Koks einfahren, bis dir der Schädel platzt.«
    – Stein, S. 150

    Dies äußert Stein ungewohnt aggressiv und zynisch, als er mit der Erzählerin das Haus besichtigt, sodass diese Angst bekommt. Mit dieser Kritik des ausschweifenden, unkonventionellen Lebensstils der Clique, kritisiert er auch die Erzählerin und offenbart, seine lang geheim gehaltene Abneigung gegen diese Lebensweise. Außerdem scheint sein Zornausbruch auch durch das Nichtverstehen oder Nichtverstehenwollen der Erzählerin ausgelöst zu werden, da diese Steins Gefühle für sie, die er ihr mit dem Hauskauf subtil offenlegt, vehement ignoriert.

    Dass Stein ihr in diesem Gefühlsausbruch anbietet, die gesamte Clique hier wohnen zu lassen, kann ironisch gelesen werden, da er durch die Kritik nicht nur die Ausschweifungen der Clique und der Erzählerin kritisiert, sondern auch ihren kommunenartigen Lebensstil. Es wird deutlich, dass Stein sich eine klassische Paarbeziehung mit der Erzählerin wünscht, in der kein Raum für das polygame Zusammenleben der Künstler-Clique ist. Das zeigt auch die Tatsache, dass Stein keinem anderen vom Haus erzählt und auch niemanden über sein Verschwinden und die damit verbundenen Renovierungsarbeiten unterrichtet.

  • »Ich verstand nichts. Sehr fern verstand ich doch etwas, aber es war noch zu weit weg.«
    – S. 151

    Die Erzählerin erkennt hier, dass Stein sie liebt und mit ihr zusammen sein will. Diesen Umstand will sie jedoch nicht wahrhaben, da sie sich ihrer eigenen Gefühle nicht bewusst ist. Am Anfang der Geschichte fragt die Erzählerin sich noch oft, warum Stein sie ausgewählt hat, um mit zum Haus zu kommen: »Ich fragte nicht, wieso gerade ich mir das ansehen sollte.« (S. 140) »Ich rauchte eine Zigarette und fragte mich, warum gerade ich jetzt neben Stein sitzen mußte, warum er gerade mich angerufen hatte – weil ich ein Anfang gewesen war, für ihn? Weil er Anna oder Christiane oder Toddi nicht erreicht hatte? Weil keiner von denen mit ihm rausgefahren wäre? Und warum fuhr ich mit ihm raus? Ich kam an keine Antwort heran.« (S. 144)

    Erst als sie mit Stein im Haus ist, er seinen Missmut über den Lebensstil der Künstler-Clique äußert und er seine Hand an ihr Gesicht legt, versteht die Erzählerin, Steins unausgesprochene Aufforderung, mit ihm als Paar in das Haus einzuziehen und seine damit verknüpften Gefühle.

  • »Stein schrieb oft… wenn du kommst. Er schrieb nicht: ‚Komm.‘ Ich beschloß, auf das ‚Komm‘ zu warten, und dann loszufahren.«
    – S. 155

    Dies ist eine der wenigen Entscheidungen, die die Erzählerin trifft. Sie wartet auf einen direkten Appell von Stein. Vielleicht trifft sie diesen Entschluss aber, weil sie genau weiß, dass Stein, der genau wie sie, niemals direkt über etwas spricht, sondern mit subtilen Andeutungen kommuniziert, niemals einen so direkten Appell äußern wird.

    Im Prinzip wartet sie auch hier wieder darauf, dass ihr die Entscheidung abgenommen wird und entscheidet nicht nach ihren Gefühlen. Sie teilt Stein auch nicht mit, dass sie auf eine explizite Aufforderung wartet, sondern verharrt weiterhin in ihrer Passivität. Damit legt sie den Grundstein für Steins Entschluss, sie endgültig gehen zu lassen und einen Schlussstrich unter seine Beziehung zur Erzählerin zu ziehen, indem er das Haus in Brand setzt und verschwindet.

    Sie lässt Steins indirekte Einladung als ungenutzte Chance verstreichen. Der Schlüssel, den sie immer noch hat, bleibt ebenso ungenutzt und wird von der Erzählerin zusammen mit Steins Postkarten in einer Schublade abgelegt, um nicht weiter damit konfrontiert zu werden.

  • »In der Nacht zu Freitag brannte in Canitz das ehemalige Gutshaus bis auf die Grundmauern ab. Der Besitzer, ein Berliner, der das im 18. Jahrhundert erbaute Haus vor einem halben Jahr gekauft und wieder instandgesetzt hatte, ist seitdem als vermißt gemeldet. Die Unglückursache steht noch nicht fest, die Polizei schließt Brandstiftung bisher nicht aus.«
    – Zeitungsausschnitt, S. 156

    Dies ist der Zeitungsausschnitt, den Stein der Erzählerin zuschickt. Durch diesen wird deutlich, dass Stein sein Ringen um die Erzählerin aufgibt, da diese in Passivität verharrt. Um endlich von der Erzählerin loszukommen, scheut er sich nicht, seinen Besitz und die darin investierte Arbeit zu verbrennen. Daran ist zu erkennen, wie nötig Stein diesen Schritt hat und wie sehr ihm das Werben um die Erzählerin und der damit verknüpfte Umgang mit der Clique zu schaffen gemacht hat. Metaphorisch lässt er nicht nur das Haus in Flammen aufgehen, sondern auch seine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit der Erzählerin.

  • »Später.«
    – S. 156

    Das ist es, was die Erzählerin denkt, nachdem sie erfährt, dass Stein das Haus verbrannt hat und seitdem verschwunden ist. Es spiegelt die gesamte unstete Grundhaltung der Erzählerin wider. Sie ist nicht in der Lage, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen und zieht das Aufschieben der Konfrontation vor. Sie verdrängt die Erinnerungen an Stein und ihre ungenutzte Chance, indem sie die Karten und Briefe von Stein zu dem Schlüsselbund in die Schublade legt. Letztendlich scheint die Erzählerin nicht zu begreifen, dass »später« auch »zu spät« sein kann und verdrängt damit die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins.

Veröffentlicht am 7. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 7. Oktober 2022.