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Fabian

Historischer Hintergrund und Epoche

  • »Erst muss man das System vernünftig gestalten, dann werden sich die Menschen anpassen.«
    – Labude, S. 59

    Labude ist im Gegensatz zu seinem Freund Fabian ein politisch denkender Mensch, der es als seine Pflicht ansieht, am Wandel des gesellschaftlichen Systems aktiv mitzuwirken. Er hat ein klares Ziel vor Augen: nämlich alle linksgerichteten Kräfte im Land zu sammeln, um eine neue Partei zu gründen. Im Streitgespräch mit seinem Freund Fabian, in der sie sich ihre unterschiedliche politische Weltanschauung darlegen, wird deutlich, dass sich Labude klar zur marxistischen Theorie bekennt, da er eine der zentralen Thesen aus der Marxschen Philosophie vertritt: Nach Marx bestimmt das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein des Menschen. Zuerst muss also ein Wandel des Systems herbeigeführt werden. Dann wird sich auch das Bewusstsein der Menschen verändern.

  • »Dass ich mich so herumtreibe, hat noch einen anderen Grund. Ich treibe mich herum, und ich warte wieder, wie damals im Krieg, als wir wussten: Nun werden wir eingezogen.«
    – Fabian, S. 67

    Hier offenbart Fabian seinem Freund Labude seine tiefsten Ängste, die ihn im Inneren nicht nur plagen, sondern auch bis zur Untätigkeit lähmen. Die Krise, in der Deutschland in der Endphase der Weimarer Republik steckt, erinnert ihn stark an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Durch seine Einberufung wurde ihm als junger Mann von einem auf den anderen Tag die Zukunft genommen. Es hieß plötzlich nur noch warten bis zum Marschbefehl, sodass jegliche Beschäftigung zur Sinnlosigkeit verdammt war. Diese traumatischen Erfahrungen haben Fabian dermaßen geprägt, dass er immer mit der Angst lebt, dies könne sich wiederholen.

  • »Was nützt das göttliche System, solange der Mensch ein Schwein ist?«
    – Fabian, S. 90

    Der anfängliche Glaube Fabians, der Menschheit könne noch dazu verholfen werden, moralisch und vernünftig zu werden, löst sich im Verlauf des Geschehens immer mehr auf. Ein Grund dafür ist, dass er in der Großstadt Berlin – mit wenigen Ausnahmen – überall auf unmoralisches und nur auf den eigenen Vorteil bedachtes Verhalten der Menschen trifft. Solange der Mensch nicht bereit ist, sein Bewusstsein weiterzuentwickeln, wird auch durch einen Wandel des gesellschaftlichen Systems keine Verhaltensänderung bei ihm einsetzen. Das Problem ist nach Fabians Ansicht also im Individuum selbst verankert.

  • […] »vielleicht sollte man sich doch ein wenig ernster nehmen und in dem wackligen Weltgebäude, als ob alles in Ordnung sei, eine lauschige Dreizimmerwohnung einrichten; vielleicht war es Sünde, das Leben zu lieben und kein seriöses Verhältnis mit ihm zu haben.«
    – Fabian, S. 123

    Nachdem Fabian die Bekanntschaft mit Cornelia gemacht hat, entwickeln sich bei ihm zum ersten Mal, wenn auch zögerlich und zaghaft, Gedanken an eine Zukunft mit ihr. Trotz der Angst, dass in diesen ungewissen Zeiten die Welt jederzeit wieder in eine katastrophale Lage geraten könnte, kann er sich jetzt vorstellen, sein Leben zu verändern, um ihm vor allem einen festen Rahmen zu geben. Fabian überdenkt seinen bisherigen Lebenswandel und wird sich darüber bewusst, dass er auch einen anderen Weg einschlagen könnte, indem er sich dazu entscheidet, aktiv zu werden.

  • »Ließ sie da oben allein in dem fremden, hässlichen Zimmer, obwohl er wusste, dass sie jede Stunde, die sie mit ihm zusammensein durfte, bereit war, gegen ein ganzes Jahr ihres Lebens einzutauschen.«
    – Erzähler, S. 151

    Fabian quält sich nach seinem Jobverlust mit Selbstvorwürfen, dass er nicht in der Lage ist, der Mutter die Wahrheit zu sagen. Er fürchtet, ihren Ansprüchen wieder nicht genügen zu können und sie mit der schlechten Nachricht zu enttäuschen. Lieber täuscht er ihr am Morgen vor, zur Arbeit zu gehen und streift den ganzen Tag durch die Stadt. Ihm wird bewusst, dass er diese wertvolle Zeit doch als guter Sohn eher mit der Mutter hätte verbringen müssen. Doch durch ihre überfürsorgliche Liebe, die mit einer hohen Erwartungshaltung an ihn gepaart ist, kommen Scham und Schuld in ihm auf.

  • »Ich werde mir einbilden, der Arzt untersucht mich. Er mag sich mit mir beschäftigen, es muss sein. Man kommt nur aus dem Dreck heraus, wenn man sich dreckig macht.«
    – Cornelia S. 182

    Cornelia wird von Kästner als Typus der »neuen Frau« in den Zwanzigerjahren gezeichnet, die sich vom traditionellen Rollenbild emanzipiert hat. Selbstbewusst geht sie ihren eigenen Lebensweg und weiß genau, was sie erreichen möchte. Cornelia hat eine klare Zielvorstellung von ihrem Leben: die finanzielle Unabhängigkeit und eine berufliche Karriere als Filmschauspielerin. Um in diesen harten Zeiten nicht zu den Verlierenden der Gesellschaft zu gehören, sondern aufzusteigen, sieht sie die Prostitution an einen alternden, reichen Filmregisseur als zwingend notwendig für sich an. Dabei hat sie sich für den Sex mit ihm sogar schon eine Strategie zurechtgelegt, damit ihre Psyche keinen Schaden nimmt.

  • »Meine Maschinen waren Kanonen, sie setzten ganze Armeen von Arbeitern außer Gefecht. Sie zertrümmerten den Existenzanspruch von Hunderttausenden.«
    – Professor Kollrepp, S. 126

    Professor Kollrepp, der als Unternehmer in der Textilbranche Maschinen für eine Steigerung der Produktion von Stoffen erfunden hat, vergleicht hier die Auswirkungen des technischen Fortschritts mit einem Krieg. England galt in Europa insbesondere in der Textilindustrie als Vorreiter der industriellen Revolution (1760). Durch weitere technologische Erfindungen wurde in einer zweiten Welle der Industrialisierung die Massenproduktion vorangetrieben. Zum einen verbesserten sich dadurch zwar die Arbeitsbedingungen, zum anderen kam es aber auch zu Massenentlassungen und infolgedessen auch zu massiven sozialen Missständen. Die arbeitende Bevölkerung drückte ihren Unmut in Demonstrationen aus, wobei es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Professor Kollrepp musste miterleben, wie dabei ein Mädchen zu Tode kam. Er fühlt sich als Erfinder schuldig an ihrem Tod, verlässt das Unternehmen und führt fortan ein Leben als Obdachloser.

  • »Unter anderem haben sie Gratiszeichenkurse für Arbeitslose eingerichtet. Das ist eine wahre Wohltat, meine Herren. Erstens lernt man Äpfel und Beefsteaks malen, und zweitens wird man davon satt. Die Kunsterziehung als Nahrungsmittel.«
    – Arbeitsloser, S. 142

    Durch die Weltwirtschaftskrise 1929 stieg die Arbeitslosigkeit bis 1932 in kürzester Zeit auf über sechs Millionen an. Der Staat reagierte zu spät und war nicht in der Lage, der Arbeitslosigkeit mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen. Das Arbeitslosengeld wurde gekürzt und teilweise für bestimmte Personengruppen ganz gestrichen.
    Die sarkastische Äußerung über ein sinnloses Angebot eines Zeichenkurses für Arbeitslose beinhaltet eine starke Kritik am System und verdeutlicht darüber hinaus, wie hilflos und ohnmächtig der Staat der desaströsen sozialen Lage, in der sich die Bevölkerung befand, gegenüberstand.

  • »Ich bin eine lächerliche Figur geworden, ein in den Fächern Liebe und Beruf durchgefallener Menschheitskandidat. Lass mich den Kerl umbringen.«
    – Labude, S. 210

    In seinem Abschiedsbrief führt Labude die Gründe auf, warum er sich das Leben genommen hat. Seine Freundin hat ihn verlassen und die Habilitationsschrift, an der er fünf Jahre lang gearbeitet hat, wurde nicht angenommen. Dass sich ein Assistent mit ihm diesbezüglich einen Scherz erlaubt hat, erfährt er leider nicht mehr. Zudem wird Labude klar, dass sein politisches Ziel, in dem vom Untergang geweihten Europa ein neues Gesellschaftssystem zu schaffen, auch keinen Erfolg mehr haben wird.

    Labude, der mit seinem Ordnungssinn seinem Leben einen Rahmen und ein Ziel gab, verliert jeglichen Glauben an sich selbst und kapituliert. Er fühlt sich auf allen Ebenen als Versager, sodass er zu dem Schluss kommt, in dieser verlogenen, unmoralischen Welt nicht mehr weiter existieren zu wollen.

  • »Er wollte nicht unterkriechen. Zum Donnerwetter, er kroch nicht zu Kreuze! Er beschloss, dem Direktor abzusagen, und kaum hatte er sich dazu entschieden, wurde ihm wohler.«
    – Erzähler, S. 266

    Diese Haltung Fabians verdeutlicht, dass er seinem Gewissen letztendlich treu bleibt und seine Arbeitskraft nicht an die rechtsgerichtete Zeitung »Tagespost« verkauft. Hier hatte ihm der Direktor gnädigerweise angeboten, erst einmal auf Probe zu arbeiten. Fabian bringt es nicht übers Herz, sich sozusagen selbst zu verraten und nimmt in Kauf, dass er nun damit auch die letzte Möglichkeit, in Dresden noch einmal Fuß zu fassen, verspielt hat. Dabei wird ihm letztendlich auch klar, dass es für ihn wohl niemals eine Zeit auf dieser Welt geben wird, in die er hineinpasst.

Veröffentlicht am 26. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. Oktober 2023.