Skip to main content

Fabian

Kapitel 21–24 (S. 234–268)

Zusammenfassung

Fabian hinterfragt sein gewalttätiges Verhalten gegenüber dem Assistenten und fragt sich, welchen Sinn es hatte, dass die Wahrheit nun ans Licht gekommen war. Denn diese hinterlässt jetzt einen faden Beigeschmack, da der Selbstmord des Freundes nur noch im Licht einer tragischen Boshaftigkeit eines neidischen Assistenten erscheint.

Fabian beschließt, nicht an der Beerdigung seines Freundes teilzunehmen und in seine Heimatstadt Dresden zurückzukehren. Ohne noch einmal in sein Zimmer zurückzukehren, begibt er sich zum Bahnhof. Beim Warten auf den Zug durchblättert er die Zeitungen. Durch die neuesten Nachrichten, die den Menschen versprechen, dass sich durch große wirtschaftliche Maßnahmen ihre Lebenssituation verbessern wird, kommen Fabian die politischen Auseinandersetzungen mit seinem Freund Labude wieder in den Sinn.

Zudem erblickt er dabei auf einer Seite Cornelia, die nun schon als Filmstar gefeiert wird. Er trennt die Fotos von ihr aus der Zeitung, um sie aufzubewahren. Im Zug trifft er wieder auf Irene Moll, die aus Berlin flüchten musste, da ihr Etablissement angezeigt wurde. Sie lädt Fabian ein, doch mit ihr ins Ausland zu kommen. Fabian lehnt dankend ab.

In Dresden angekommen, begibt er sich zum Laden seiner Eltern. Sofort erzählt er seiner Mutter vom Tod seines besten Freundes und kann endlich über den Verlust weinen.

Fabian spaziert durch die Stadt und begegnet überall seiner Vergangenheit. Er kommt an der Kaserne vorbei, in der er als Siebzehnjähriger ausgebildet wurde. Danach besucht er seine ehemalige Schule sowie das dazugehörige Internat und muss feststellen, dass sich an allen Orten nichts geändert hat. Er erinnert sich an die Gewalt und den Missbrauch unter dem Deckmantel der bürgerlichen Ordnung, denen er als Kind hier ausgesetzt war, und seine Kindheit steht ihm wieder vor Augen. Fabian trifft auf den Direktor, der ihn wiedererkennt und ihm vorhält, versagt zu haben, da er nichts Vernünftiges aus seinem Leben gemacht habe. Fabian reagiert sarkastisch und lässt den Direktor stehen.

Danach begegnet er seiner alten Jugendliebe Eva Kendler. Sie hat zwei Kinder und ist inzwischen mit einem Arzt verheiratet.

Abends trifft Fabian auf einen ehemaligen Schulkameraden mit Namen Wenzkat und geht mit ihm ein Bier trinken. Bei einem Gespräch stellt sich heraus, dass dieser rechte politische Ansichten vertritt. Zusammen besuchen sie schließlich ein Bordell, in dem wenig Betrieb herrscht, da der Kundschaft zu solchen Vergnügungen immer mehr das Geld fehlt. Obwohl Fabian auch kein Geld hat, bietet ihm eine Prostituierte ihre Dienste an. Anschließend entlohnt er sie mit seinen letzten Zweimarkstücken, die sie ihm aber beim Verlassen des Bordells wieder zusteckt.

Fabian unternimmt noch einen nächtlichen Spaziergang und muss dabei an seinen toten Freund und an Cornelia denken.

Nun kümmert sich Fabian in Dresden um einen neuen Job und macht sich auf den Weg zur Redaktion der »Tagespost«. In der Straßenbahn begegnet er einem ehemaligen Oberstleutnant, Herrn Knorr, der damals für die Ausbildung der Kadetten in der Kaserne zuständig war. Da er diese nur schikanierte und misshandelte, tritt Fabian ihm beim Aussteigen als Rache auf seine Füße.

Bei der »Tagespost« angekommen, unterhält sich Fabian mit seinem ehemaligen Schulkameraden Holzapfel, der jetzt als Sport- und Musikredakteur bei dieser Zeitung arbeitet. Dieser schickt ihn zum Direktor, von dem ihm vorgeschlagen wird, eine Zeitlang als freier Mitarbeiter für das Feuilleton zu arbeiten. Fabian erklärt, er würde lieber als Propagandist arbeiten und dafür sorgen wollen, dass sich durch gewisse Werbemaßnahmen der Absatz der Zeitung erhöhe. Der Direktor will sehen, was er tun kann und bestellt Fabian für den nächsten Tag zu einem Termin ein.

In einem Café sitzend, überlegt sich Fabian, dass er seine Arbeitskraft doch nicht an ein rechtsgerichtetes Blatt verkaufen möchte. Er hat immer noch Geld und könnte damit beispielsweise ins Erzgebirge fahren und wandern gehen. In der Natur wäre es vielleicht möglich, dass er endlich zu sich selbst findet.

Auf dem Nachhauseweg beobachtet Fabian, wie ein Junge von einem Geländer in den Fluss stürzt. Fabian springt ihm nach. Da er nicht schwimmen kann, ertrinkt er bei seinem Rettungsversuch. Der kleine Junge kann sich ans Ufer retten und überlebt.

Analyse

Nach Labudes Tod quälen Fabian die Selbstzweifel, »die seit langem in seinem Gefühl wie Würmer wühlten« (S. 238). Die Haltung, die er immer gegenüber seinem Freund eingenommen hatte, dass nur eine Welt »aus humanen, anständigen Normalmenschen« (S. 238) vonnöten wäre, um sie besser zu machen, erscheint ihm jetzt zweifelhaft und nicht mehr haltbar. Sein Leben hat in Berlin jeglichen Sinn verloren: »Sein Beruf war verloren, der Freund tot, Cornelia in fremder Hand, was hatte er hier noch zu suchen?« (S. 239)

So schickt Kästner seinen Hauptprotagonisten wieder in seine Heimatstadt Dresden zurück: »nach Hause, in seine Vaterstadt, zu seiner Mutter.« (S. 240) Das vertraute Umfeld soll seine verletzte Seele heilen und ihm helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Bei der Wiederbegegnung mit seiner Mutter kommt Fabian endlich wieder in Kontakt mit sich selbst und kann seine Trauer um den toten Freund zulassen: »Und plötzlich liefen ihm die Tränen aus den Augen.« (S. 234) Fabians Vater scheint wenig Verständnis für die Lage seines Sohnes aufzubringen.

Kästner hatte selbst zeitlebens keinen guten Kontakt zu seinem Vater, da ihn die Mutter gänzlich für sich vereinnahmte. So bleibt die Vaterfigur Fabians, an Kästners eigene Biografie angelehnt, sehr blass gezeichnet, denn der Autor lässt sie nur einmal in einer Szene kurz im Hintergrund auftreten. Die Mutter ist jedoch sehr präsent und spürt als Einzige genau, was ihrem Jungen fehlt: »Ihm fehlt der ruhende Punkt.« (S. 245) Mit dieser einfachen und direkten Aussage erfasst sie genau den Zustand ihres Sohnes. Dieser hat nichts mit den äußeren Geschehnissen zu tun, sondern ist allein auf die innere Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit Fabians zurückzuführen.

Genau wie in Berlin streift Fabian nun rastlos durch die Straßen, aber im Gegensatz zur pulsierenden Metropole hat die Provinz nicht viel zu bieten: »Diese Stadt, ihr Leben und ihre Kultur befanden sich im Ruhestand. Das Panorama glich einem teuren Begräbnis.« (S. 254) Dass Fabian wenig später tatsächlich in dieser Stadt seine Ruhestätte finden wird, können die Leserinnen und Leser an dieser Stelle noch nicht ahnen.

In Dresden »hatte Deutschland kein Fieber. Hier hatte es Untertemperatur.« (S. 261) Ein Bordell findet sich, wenn auch verboten, jedoch auch hier, und zwar mithilfe des alten Schulkameraden Wenzkat, der sich einer rechtsgerichteten Organisation namens »Stahlhelm« (S. 254) angeschlossen hat. Ursprünglich als ein »Bund der Frontsoldaten« nach dem Ersten Weltkrieg 1918 gegründet, verstand sie sich als Verein, der die Interessen aller Kriegsteilnehmer vertrat. In der Spätphase der Weimarer Republik entpuppten sich dessen Mitglieder aber immer mehr als demokratiefeindlich, rassistisch und antisemitisch.

Den Spuren seiner Vergangenheit folgend, steigen an den jeweiligen Orten ungute Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend in Fabian hoch. Die Kaserne erinnert ihn an den Drill und die eisernen Methoden, mit denen sie hier ein Jahr lang auf den Krieg vorbereitet wurden. Im Internat kommen ihm Bilder vom ungenierten Missbrauch unter Schülern hoch, der an der Tagesordnung war: »Nachts waren die Primaner aus den Parks herausgekommen und hatten sich zu erschrockenen Quintanern und Quartanern ins Bett gelegt. Die Kleinen hatten geschwiegen. Ordnung musste sein.« (S. 248)

Fabian trifft zudem auch noch auf die Autoritäten, wie den Direktor des Internats oder Herrn Knorr, »ehemaliger Oberleutnant der Reserve« (S. 263), die für die damaligen seelischen und körperlichen Misshandlungen der Heranwachsenden verantwortlich waren. Bei Letzterem übt Fabian eine späte Rache aus, indem er ihm in der Straßenbahn beim Aussteigen auf die Füße tritt.

Anzunehmen ist, dass Kästner teilweise seine eigenen Erlebnisse als Grundlage für Fabians Schilderungen seiner Vergangenheit verwendete. Denn der Autor war ebenso in einem Internat untergebracht und hatte dann als Siebzehnjähriger in der Kaserne als Vorbereitung zum Kriegseinsatz eine einjährige Ausbildung als Kadett durchlaufen müssen.

Das Bewusstwerden dieser negativen Vergangenheit trägt nicht gerade dazu bei, dass Fabian sich in der Provinz wieder zurechtfindet und hier seinen Weg findet. Gegenüber der Mutter beteuert er zwar, dass er gewillt ist, nun endlich sein Leben in die Hand zu nehmen: »Es kann sein, dass ich hierbleibe. Ich will arbeiten. Ich will mich betätigen. Ich will endlich ein Ziel vor Augen haben. Und wenn ich keines finde, erfinde ich eines. So geht es nicht weiter.« (S. 253) Doch anzunehmen ist, dass er diese Äußerung doch eher der Mutter zuliebe macht, da er ihre Hoffnung und Erwartung an ihn nicht zerstören möchte. Denn einen Job, den er von einer Zeitung »Tagespost« angeboten bekommt, nimmt er nicht an. Er kann nicht gegen sein Gewissen handeln und »einer rechtsgerichteten Zeitung behilflich sein, sich auszubreiten« (S. 266).

Seine Überlegungen, für einige Zeit in die Natur zu gehen, fußen auf der persönlichen Erkenntnis, dass er wohl kein »nützliches Glied der Gesellschaft« (S. 266) mehr werden würde, wie es sich die Mutter wünscht. Klar wird ihm jetzt auch, dass er sich wohl ebenso wie Labude ein falsches Bild von sich selbst gemacht hat. Denn er fragt sich zu guter Letzt voller innerer Zweifel: »Fand sich für den, der handeln wollte, nicht jederzeit und überall ein Tatort? Worauf wartete er seit Jahren? Vielleicht auf die Erkenntnis, dass er zum Zuschauer bestimmt und geboren war, nicht, wie er heute noch glaubte, zum Akteur im Welttheater?« (S. 267)

Fabian hat zum Ende hin einen persönlichen Lernprozess durchlaufen, denn ihm kommt der Gedanke, dass er kein aktiv politisch Handelnder mehr werden wird, der die Welt mit seinen Ideen verändert. Im Spannungsfeld zwischen seinen hohen persönlichen Ansprüchen und den Erwartungen, die von außen an ihn herangetragen werden, findet er keinen gangbaren Weg für sein Leben. Dadurch wird eine innere Orientierungslosigkeit und Zerrissenheit erzeugt, die ihn lähmt und daran hindert, sich diesem Gesellschaftssystem anzupassen oder ihm etwas entgegenzusetzen. Sein Scheitern liegt letztendlich in ihm selbst begründet.

Kästner bringt Fabian am Ende seines Romans aber noch einmal zum Handeln, bevor er seinen Hauptprotagonisten sterben lässt – und zwar zu einem Handeln auf menschlicher Ebene, bei dem Zivilcourage gefordert ist, die der Autor selbst immer am meisten geschätzt hat. Dabei lässt er ihn das tun, was Fabian mit seinem sozialen und hilfsbereiten Charakter in dieser Geschichte schon immer am besten vermocht hat: anderen Menschen in Notsituationen zu helfen. Fabian nützt das allerdings nichts mehr, da er bei dem Versuch, einen Jungen aus einem Fluss zu retten, ertrinkt, denn er kann nicht schwimmen.

Mit der Aufforderung »Lernt schwimmen!« (S. 262), die Kästner als Überschrift zu Kapitel 24 setzt, gibt der Autor seiner Leserschaft noch einen guten Ratschlag mit auf den Weg: Zivilcourage zu haben und sie einzusetzen ist zwar immer gut, der Mensch sollte sich aber vorher die notwendigen Voraussetzungen erarbeitet haben, damit sie auch zum Erfolg führen kann.

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.