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Fabian

Kapitel 1–5 (S. 9–65)

Zusammenfassung

Fabian begibt sich, durch das nächtliche Berlin streifend, auf Empfehlung seines Bürochefs Bertuch, in einen Nachtclub in der Schlüterstraße 23. Hier werden von der Chefin, Frau Sommer, seine Personalien aufgenommen, und anschließend klärt sie ihn über die Regeln des Clubs auf. Fabian lernt eine blonde Frau kennen, mit der er wenig später das Lokal verlässt und mit ihr nach Hause fährt. Schon im Taxi fällt sie über ihn her.

In der Wohnung angekommen, führt die Frau mit Namen Irene Moll Fabian sofort ins Schlafzimmer, um ihn zu verführen. Er lässt sich darauf ein. Plötzlich erscheint ihr Ehemann, Dr. Felix Moll, Rechtsanwalt von Beruf, auf der Bildfläche. Er klärt Fabian darüber auf, dass er mit seiner Frau einen Vertrag geschlossen hat, der ihn dazu berechtigt, ihre Liebhaber zu begutachten. Fabian ist ihm sympathisch, sodass er ihn bittet, die Nacht doch mit seiner Frau zu verbringen. Diesem sind die Verhältnisse des Ehepaares jedoch nicht geheuer, sodass er es vorzieht, sofort die Wohnung zu verlassen.

Fabian geht in sein Stammcafé. Hier erzählt ihm der Wirt Kowalski eine lustige Geschichte, die sich am Abend ereignet hat. Eine Frau sitzt mit ihrem Freund am Tisch, flirtet aber mit einem anderen Mann am Nachbartisch und wirft ihm sogar eine Nachricht zu. Es stellt sich heraus, dass ihr Freund blind ist und von ihrem Verhalten nichts mitbekommt.
Ein Bettler kommt herein, und Fabian bittet ihn an seinen Tisch, um ihm ein Essen zu spendieren. Er war ursprünglich Bankangestellter, ist aber seit zwei Jahren arbeitslos. Der Bettler schämt sich jedoch und verschwindet.

Fabian trifft auf den befreundeten Redakteur Münzer und fährt mit ihm in die Redaktion.

In der politischen Redaktion wird gerade die Rede des Reichskanzlers zum Druck vorbereitet. Hier wird Fabian Zeuge, wie die Redakteure die Leserschaft manipulieren. Zum einen nimmt Münzer wahllos eigenhändig Kürzungen an der Rede vor. Er nutzt seine Machtposition als Journalist, die Meinungen der Leserschaft beeinflussen zu können, für seine Zwecke schamlos aus.

Zum anderen werden bei der Änderung eines Leitartikels wieder ein paar Zeilen frei, die ersetzt werden müssen. Dazu erfindet Münzer schnell eine Nachricht über Straßenkämpfe in Indien. Der Journalist hat deswegen keine Skrupel. Falschmeldungen und Lügen sind für ihn erlaubte Mittel, die er für seine Zwecke einsetzen kann. Malmy, ein Wirtschaftsredakteur, begründet diese Vorgehensweise damit, dass er in einem falschen System lebt, sodass er auch falsche Maßnahmen ergreifen kann, die dann wiederum richtig sind.

Die Redakteure sind starke Kritiker der Weimarer Republik, die sich bei einem anschließenden gemeinsamen Besuch in einer Weinstube negativ und lautstark über die Regierung äußern. Malmy ist davon überzeugt, dass die Regierung eine falsche Wirtschaftspolitik betreibe, die das Land in ein Chaos stürze.

Fabian arbeitet als Werbetexter in einem Zigarrenunternehmen. Am nächsten Morgen erscheint er nach der durchzechten Nacht müde im Büro und führt ein ironisches Gespräch mit seinem Kollegen Fischer. Fabian erzählt ihm, dass eine Kündigung ihm nichts anhaben könne, denn er habe, obwohl er einen Doktortitel in Germanistik führe, schon in verschiedenen Jobs gearbeitet.

Fabian bekommt einen Anruf seines Freundes Labude, der ihn darum bittet, bei ihm vorbeizukommen. Vorher geht Fabian nochmals nach Hause, wo ihn ein Brief seiner Mutter erwartet. Sie berichtet von ihrem Alltag und schreibt, dass sie ihren Sohn doch sehr vermisst. Daraufhin fragt sich Fabian nach dem Sinn seines Lebens: Warum saß er allein in Berlin in einem Zimmer zur Untermiete und war nicht zu Hause bei seiner Mutter? Der alte Kontinent Europa würde so oder so untergehen.

Seine Vermieterin mit Namen Hohlfeld klopft an sein Zimmer und beschwert sich bei ihm über den Mieter Tröger, der nachts verschiedene Frauenbesuche hat. Fabian reagiert ironisch auf ihre Entrüstung, indem er ihr mitteilt, dass der Mensch doch auch Bedürfnisse habe, die im Widerspruch zur Moral der Vermieterinnen stehen.

Da ihm bis zu seinem Besuch bei Labude noch Zeit bleibt, liest er ein wenig in den Schriften Descartes, bevor er sich wieder auf den Weg macht.

Bei seinem Freund Labude angekommen, erzählt ihm dieser, dass er noch immer auf die Rückmeldung des Geheimrats wegen seiner Habilitationsschrift über Lessing warte. Fünf Jahre hat er daran gearbeitet.

Gemeinsam fahren sie dann in das Tanzlokal Haupt.

Im Nachtclub unterhalten sich die beiden Freunde über ihre persönliche Situation, wobei zwei unterschiedliche Weltanschauungen zutage treten. Fabian hat kein Interesse an einer beruflichen Weiterentwicklung und Karriere in diesem System, wie sie ihm von seinem Freund nahegelegt werden. Er sieht keinen Sinn darin, nach Geld und Macht zu streben. Ihm ist eher daran gelegen, dass die Menschen vernünftiger werden. Vorerst beschränkt Fabian sich darauf, die Menschen diesbezüglich zu beobachten, um festzustellen, wer dazu geeignet ist.

Labude wirft ihm vor, kein Ziel und keinen Ehrgeiz in seinem Leben zu haben. Indem er sich ein unrealistisches Ziel auswähle, weigere er sich, für die Gesellschaft etwas zu tun. Anschließend kommen zwei Tänzerinnen auf sie zu, von denen sie ein sexuelles Angebot erhalten. Beide Frauen unterhalten sich über die Vorlieben ihrer Freier. Paula erzählt, sie habe früher in einer Konservenfabrik gearbeitet, bis ihr gekündigt wurde. Eine Zeitlang erpresste sie ihren Chef, da er ein Mädchen verführt hatte. In der Nachbarnische sieht Fabian die ihm schon bekannte Irene Moll. Sie ist betrunken und verhält sich laut und ordinär, sodass sie vom Geschäftsführer weggeführt wird. Fabian und Labude verabschieden sich von den Bardamen und verlassen daraufhin das Lokal.

Analyse

Im Vorwort, das Kästner nachträglich zum erstmals 1931 veröffentlichten Roman »Fabian« für die Neuauflage 1950 eingefügt hat, kritisiert der Autor, dass sein Werk von der Öffentlichkeit bis heute missverstanden wird: »So wird heute noch weniger als damals begriffen werden, dass der ›Fabian‹ keineswegs ein ›unmoralisches‹, sondern ein ausgesprochen moralisches Buch ist.« (S. 6)

Es ist anzunehmen, dass Kästner sich aus diesem Grund bemüßigt fühlte, die Öffentlichkeit in einem Vorwort darüber aufzuklären, was er mit der Geschichte bezweckte: »Er [Der Roman] wollte vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherten!« (S. 6)

Dazu bedient der Autor sich des Mittels der Satire, mit der er die herrschenden Zustände nicht nur beschreibt, sondern auch übertreibt, um seine Leserinnen und Leser wachzurütteln (S. 6f.). Kästners Botschaft an sein Publikum ist, »dass man sich Urteile selber bilden kann und sollte« (S. 5). Er warnt davor, blind und unkritisch der herrschenden Meinung hinterherzulaufen. Die Historie hat gezeigt, wohin dies führen kann: im Falle Deutschlands in eine Diktatur der Nationalsozialisten, die Kästner am eigenen Leib miterleben musste.

Für seinen Roman kreiert der Autor die Figur des zweiunddreißigjährigen Literaturwissenschaftlers mit Namen Jakob Fabian, die er in der Großstadt Berlin ansiedelt. In den Zwanzigerjahren war die pulsierende Metropole eine Stätte, von der viele künstlerische sowie technische Innovationen ausgingen, sodass von einigen Kulturschaffenden in der Kunst und Literatur gerade die Großstadt als Motiv verwandt wurde, um das moderne Leben darzustellen.

Im Zuge dessen entstand auch eine neue Strömung, die Neue Sachlichkeit, die zuerst in der Kunst ihre Anhänger fand, wie die beiden Maler und Grafiker Otto Dix und George Grosz. Kurz danach hält sie auch Einzug in die Literatur. Unter den schriftstellerisch Tätigen ist hier als Vorreiter Alfred Döblin mit seinem Großstadtroman »Berlin Alexanderplatz« (1929) zu nennen, der Kästner wohl für seinen Roman als Vorbild galt. Der Autor, der zu dieser Zeit selbst in Berlin lebte, wählt als Schauplatz für seinen Roman ebenfalls die Großstadt, um die Atmosphäre und das Lebensgefühl der Metropole möglichst realistisch widerzuspiegeln. Schon in den ersten Szenen wird die Leserschaft in die schnelllebige und hektische Welt des Hauptprotagonisten Fabian hineingezogen, und sie bekommt einen Eindruck davon, wie es in der Stadt, die »einem Rummelplatz« (S. 11) gleicht, zugeht.

Fabian ist ein Nachtschwärmer und bewegt sich zwar weltgewandt und sicher durch das Verkehrschaos und »Straßengewirr der fiebrig entzündeten Nacht« (S.11). Doch oft scheint er gar nicht zu wissen, wo er überhaupt ist: »Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand.« (S.10) In seiner Orientierungslosigkeit lässt Fabian sich durch die Stadt treiben und beobachtet dabei sehr genau, was um ihn herum vorgeht.

Damit scheint diese Figur Fabian auch in der Tradition von Egon Erwin Kisch zu stehen, der mit dem Reportageband »Der rasende Reporter« (1926) ebenso zu den bedeutenden Autoren der Neuen Sachlichkeit gehört. Kisch arbeitete selbst 1925 als Lokalreporter in Prag. Für Kisch ist der Reporter ein normaler, gewöhnlicher Mensch, der sich im Namen der Menschlichkeit dazu verpflichtet fühlt, schonungslos und objektiv über das politische und gesellschaftliche System zu berichten. Kisch verstand sich als engagierter politischer Künstler, der mit dem Instrument der Reportage gegen die sozialen Missstände kämpft und hofft, damit auch eine Veränderung im Menschen herbeiführen zu können.

Fabian hat diesen Geist des »rasenden Reporters« – ganz im Sinne Egon Erwin Kischs – wohl auch ein wenig in sich, wenn er allein mit seinem Auge den Fokus wie mit einer Kamera auf die zahlreichen gesellschaftspolitischen Missstände hält, unter denen diese Stadt und deren Bevölkerung zu leiden haben. Das Informieren, Aufmerksam machen, Wachrütteln soll dabei Fabians Intention sein.

Kästner schickt ihn dazu in verschiedene Milieus, um seiner Leserschaft ein möglichst facettenreiches Bild der Großstadt zu bieten. Nachts streunt Fabian durch die Berliner Bars und Nachtclubs und zeigt sich gegenüber jedem sexuellen Abenteuer offen. Dabei betreibt Fabian eine Art Feldforschung an seiner eigenen emotionalen Befindlichkeit: »Er betrieb die gemischten Gefühle seit langem aus Liebhaberei. Wer sie untersuchen wollte, musste sie haben. Nur während man sie besaß, konnte man sie beobachten. Man war ein Chirurg, der die eigene Seele aufschnitt.« (S. 19) Diese sehr nüchterne Beschreibung des Umgangs mit Emotionen ist ein Kennzeichen des neuen sachlichen Stils, dessen sich die literarisch Tätigen bedienten, um möglichst neutral und objektiv von sich selbst und ihrer Umwelt zu berichten.

In den Nachtlokalen trifft Fabian überwiegend auf Frauen wie Irene Moll, die den neuen Typus der »modernen Frau« in den Zwanzigerjahren verkörpern. Sie ist zwar verheiratet, gönnt sich jedoch mit Einverständnis ihres Ehemannes zahlreiche Liebhaber. Es zeigt sich, dass Fabian der »neuen Frau«, die selbstbewusst wie die Männer ihre sexuellen Bedürfnisse auslebt, sehr skeptisch gegenübersteht. Dass er als Mann zum reinen Sexobjekt degradiert wird: »Sie reden über mich, als wäre ich ein Stück Streuselkuchen oder ein Rodelschlitten« (S. 20), missfällt ihm sichtlich. So rät er dem Ehemann, es doch einmal mit der Züchtigung seiner Frau zu versuchen, und zwar mit »pro Abend fünfundzwanzig hintendrüber« (S. 22).

Den Leserinnen und Lesern wird hier zum ersten Mal deutlich, dass Fabians Verhalten nicht zu seinem Selbstbild eines Moralisten zu passen scheint. Zum einen genießt er das freizügige sexuelle Nachtleben in Berlin und macht reichlich selbst davon Gebrauch. Zum anderen scheint er jedoch wenig Verständnis dafür zu haben, wenn andere, insbesondere Frauen, sich ebenso ausleben. Er fühlt sich durch das unmoralische und sehr derbe Verhalten der Irene Moll abgestoßen.

Kästner hat seinen Hauptprotagonisten mit dem Beruf eines Werbetexters in einem Zigarrenunternehmen ausgestattet, sodass er in der Welt der Medien zu Hause ist. Damit greift der Autor ein weiteres beliebtes Motiv der Neuen Sachlichkeit auf. Durch die technische Weiterentwicklung in Film, Funk und Fernsehen sowie den Printmedien war es nun möglich, eine breitere Öffentlichkeit über das gesellschaftspolitische Geschehen zu informieren. Damit ging einher, dass der Einfluss und die Macht der Medien auf die Meinungsbildung der Bevölkerung stark anwuchsen.

Mit einem Besuch Fabians in einer Zeitungsredaktion verdeutlicht Kästner seiner Leserschaft, wie gefährlich diese Einflussnahme sein kann, wenn Journalisten sich nicht mehr an ihr Berufsethos halten, ihre Berichte möglichst wahrheitsgetreu, sachlich und neutral zu halten. Münzer, ein befreundeter Journalist Fabians, hat keine Skrupel, eine Falschmeldung in die Zeitung zu setzen: »Wenn man eine Notiz braucht und keine hat, erfindet man sie.« (S. 31) Da er zudem ein Gegner der Regierung und mit deren Wirtschaftspolitik nicht einverstanden ist, kürzt er die Rede des Reichskanzlers Paul von Hindenburg mit folgendem Kommentar: »Glauben Sie mir, mein Lieber, was wir hinzudichten, ist nicht so schlimm wie das, was wir weglassen.« (S. 32)

Fabian positioniert sich in der Diskussion mit dem Redakteur als Befürworter der jungen Republik, indem er ihm rät, doch lieber für als gegen die Regierung zu schreiben (S. 33).

Dass er ansonsten kein Interesse am politischen Geschehen hat und lieber nur als Beobachter durchs Leben geht, wird in einem Gespräch mit seinem Freund Labude deutlich, denn: »Machthunger und Geldgier sind Geschwister, aber mit mir sind sie nicht verwandt.« (S. 58) Fabian sieht keinen Sinn darin, in diesem System beruflich eine Karriere zu machen oder sich politisch zu engagieren und fragt sich: »Wo ist das System, in dem ich funktionieren kann? Es ist nicht da, und nichts hat Sinn.« (S. 57) Er möchte nur helfen, »die Menschen anständig und vernünftig zu machen« (S. 59), hat jedoch Zweifel, ob sie jemals dazu geeignet wären.

Die passiv-lethargische Haltung trägt ihm die Kritik seines Freundes Labude ein. Diese Figur hat Kästner seinem Hauptprotagonisten Fabian als Kontrast zur Seite gestellt. Der Freund ist davon überzeugt, dass allein durch Taten ein Wandel des Systems herbeigeführt werden kann und sich die Menschen dann daran anpassen werden. Labude ist also dem linksgerichteten Lager zuzuordnen, in dem die marxistische Auffassung vertreten wird, dass nur durch die Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch ein Bewusstseinswandel der Menschen stattfinden wird.

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.