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Mario und der Zauberer

Figuren

Figurenkonstellation

Mario und der Zauberer – Figurenkonstellation
  • Mario

    Mario ist ein junger Italiener, der als Kellner in Torre arbeitet. Er ist eine der Titelfiguren der Novelle und jeder, der noch nicht mit dem Text vertraut ist, würde deshalb annehmen, dass er eine zentrale Rolle darin spielt. Tatsächlich jedoch tritt Mario erst sehr spät wirklich auf. Erst auf den letzten Seiten, als Cipolla ihn auf die Bühne ruft, rückt er auch in den Fokus des Erzählers. Vorher wird Mario nur zweimal am Rande erwähnt. Das erste Mal, als die Familie des Erzählers im Café sitzt und von Mario bedient wird, und das zweite Mal, als sie sich bereits im Theatersaal befinden und die Kinder ihn erspähen. Dadurch, dass der Name Mario zwar im Titel der Novelle vorkommt, die Figur aber erst so spät auftaucht, erzeugt der Erzähler eine gewisse Spannung: Wer ist dieser Mario und warum ist er so wichtig? Bei der ersten Erwähnung von Mario im Café fügt der Erzähler sogar noch hinzu, er werde gleich von ihm erzählen. Das tut er zwar tatsächlich, allerdings erst viele Seiten später.

    Auch wenn man nicht viel über Mario selbst erfährt – außer dass er freundlich und ein wenig schwermütig ist (S. 57) – und auch wenn sein eigentlicher Auftritt vergleichsweise kurz ist, fungiert er als Schlüsselfigur in der Novelle. Er ist derjenige, der es letztendlich schafft, Cipollas Zauber ein Ende zu bereiten und das Publikum aus seiner Hypnose zu befreien. Mario ist in seiner Profession als Kellner daran gewöhnt, den Wünschen anderer nachzukommen und sie zu bedienen. Ähnlich verhält er sich auch in seiner Interaktion mit Cipolla: Er gehorcht (S. 56). Cipolla vergleicht ihn sogar mit der Figur des Ganymed, einem schönen Jüngling aus der griechischen Mythologie, der Zeus gefiel und von ihm entführt wurde; Ganymed besitzt also wenig Eigenwillen. Gleichermaßen lässt sich Mario alle Tricks von Cipolla gefallen und küsst ihn sogar, als er vorgibt, Silvestra zu sein.

    Letztendlich schafft es der anfangs so unterlegene Mario aber, sich der Macht des Zauberers zu entziehen und ihn zu töten. Damit befreit er nicht nur sich selbst, sondern das ganze Publikum. Dem tödlichen Schuss, den der Erzähler als so befreiend empfindet, könnte, wie auch der ganzen Novelle, eine politische Bedeutung beigemessen werden. Wie ein junger Widerständler tötet Mario den Diktator und befreit sein Volk. Jemanden wie ihn, scheint der Autor hier zeigen zu wollen, bräuchte es auch im faschistischen Italien oder zunehmend nationalsozialistisch geprägten Deutschland.

  • Cipolla

    Cipolla ist ein Zauberkünstler, jedoch kein gewöhnlicher. Er führt seine Tricks nicht mit Geschicklichkeit, sondern mit seinem Willen und mithilfe von Sprache und Hypnose aus, was ihm das Misstrauen des Erzählers einbringt. Sein Publikum aber hat Cipolla dafür umso mehr unter Kontrolle. Er gewinnt dessen Sympathie durch seine elegante und clevere Sprechweise und schafft es so, es für sich zu gewinnen. Später kommt noch Hypnose hinzu. Keiner seiner Tricks scheitert, jeder gehorcht ihm. Sogar der junge Italiener, der ihm aktiv Widerstand leisten will, führt letztendlich Cipollas Befehle aus. Erst Mario schafft es, sich von der Einflussnahme des Zauberers zu befreien und erschießt ihn.

    Cipolla glaubt nicht an Willensfreiheit, sondern ist, ganz im Gegenteil, überzeugt, dass diese überhaupt nicht existiert (S. 39). Auch behauptet er, dass Gehorchen und Befehlen letztendlich ein und dieselbe Fähigkeit seien (S. 42). Diese Behauptung scheint jedoch eher wie eine Methode, mit der er seinen enormen Einfluss auf sein Publikum zu rechtfertigen versucht. Er gibt vor, den Willen seines Publikums auszuführen, während er ihnen eigentlich seinen eigenen aufzwingt.

    Aufgrund der oben genannten Eigenschaften wird Cipolla oft als Symbolfigur für einen Diktator gesehen, insbesondere für Mussolini, der zu der Zeit, als die Novelle entstand, an der Spitze des faschistischen Regimes über Italien herrschte. Viele der Eigenschaften, für die Mussolini bekannt war, lassen sich auch in Cipolla wiederfinden: Beide erinnern ihre Betrachter an Cagliostro, einen italienischen Hochstapler des 18. Jahrhunderts, beide sind Figuren auf einer öffentlichen Bühne, beide versuchen in ihrem Publikum kulturellen Nationalismus zu erwecken, beide bedienen sich sprachlicher und hypnotischer Manipulation (vgl. Bance). Cipolla verhält sich zu seinem Publikum wie ein Diktator zu einem Volk und verstärkt damit den Eindruck, dass es sich bei der Novelle um eine politische Parabel handelt.

  • Erzähler

    Der Erzähler stammt aus Deutschland, ist ein Ehemann und Vater von zwei Kindern. Den Sommerurlaub verbringt er mit seiner Familie in Torre. Dass er die Erinnerungen an die Ereignisse dieses Urlaubs auch Jahre später noch nicht ganz verarbeitet zu haben scheint, zeigt sich darin, dass er es für notwendig hält, sie aufzuschreiben. Der Erzähler ist deutlich präsenter als Mario und mindestens ebenso präsent wie Cipolla, wenn nicht sogar stärker. Genaueres zu seinem Erzählverhalten findet sich im Abschnitt »Sprache und Stil«. Was in Bezug auf den Erzähler jedoch ebenfalls noch hervorgehoben werden sollte, ist die Dynamik zwischen ihm und Cipolla.

    Zum einen sind sich beide sehr ähnlich; sie sind Künstler und manipulieren mit ihren erzählerischen oder magischen Tricks ihr jeweiliges Publikum. Dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass Cipolla sich für seine Tricks auch sprachlicher Manipulation bedient. Zum anderen sind sie wie die »zwei Brennpunkte einer Ellipse«, kreisen umeinander und verhalten sich zueinander wie Täter und Beobachter (Mommert, 19). Cipolla vollführt seine an Verbrechen grenzende Tricks auf der Bühne, und der Erzähler beobachtet. Er weiß, dass Cipolla an Grenzen geht und gestoppt werden sollte, aber er greift nicht ein. Auch dieses Verhältnis lässt sich wie so vieles in der Novelle wieder auf eine politische Ebene übertragen; ein Diktator begeht Verbrechen und ein Schriftsteller beobachtet.

Veröffentlicht am 21. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 21. August 2023.