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Mario und der Zauberer

Historischer Hintergrund und Epoche

»Mario und der Zauberer« wurde 1929 verfasst, 1930 veröffentlicht und entstand damit zu einer Zeit, als Mussolini über Italien herrschte und sich auch in Deutschland allmählich der Faschismus etablierte; nur wenige Jahre später sollte Adolf Hitler an die Macht gelangen. 

Thomas Mann reiste im Jahre 1926 nach Italien, einem entscheidenden Jahr, das als Übergang zur Etablierung der totalitären Einparteiendiktatur in Italien gesehen wird (Mommert, 24). Die Stimmung während Manns Aufenthalt in Italien war dementsprechend aggressiv, angespannt und geprägt von nationalistischen Tendenzen. Als Mann 1929 dann »Mario und der Zauberer« verfasste, hatten auch in Deutschland die hoffnungsvollen »Goldenen Zwanziger« ein Ende gefunden und waren durch Radikalität und Nationalismus ersetzt worden. Die Gewaltsamkeit des politischen Klimas übertraf nun sogar alles, was Mann 1926 in Italien erlebt hatte (ebd., 27). Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Mann seine Erfahrungen aus Italien und Beobachtungen der Entwicklungen in Deutschland in seiner Novelle verarbeitet hat.

Dadurch, dass die Geschichte zu Zeiten von Mussolinis Herrschaft veröffentlicht wurde und überdies in Italien spielt, provoziert sie geradezu den Vergleich zwischen dem Zauberer und dem italienischen Diktator (Baker, 356). In Italien wurde »Mario und der Zauberer« dann tatsächlich auch nach Veröffentlichung verboten; ein Kritiker sagte, die Atmosphäre der Geschichte sei geprägt von »xenophobischem und verdrießlichem Nationalismus«, ein anderer bezeichnete sie als voll von »Anspielungen auf den italienischen Faschismus.« (ebd.) Die Novelle ist jedoch nicht nur als eine Parabel auf den italienischen Faschismus interpretiert, sondern ebenfalls als eine Botschaft Manns an seine Zeitgenossen in Deutschland gesehen worden, mit der er sie vor der zunehmenden Radikalisierung warnen wollte (Baker, 354). 

Abgesehen vom zeitgenössischen politischen Geschehen lassen sich auch viele kulturelle Einflüsse auf die Geschichte ermitteln; zwei davon sollten aber besonders hervorgehoben werden. Bei dem einen Einfluss handelt es sich um eine 1921 von Freud veröffentlichte Studie, welche einen Vergleich zwischen dem Faschismus und der Hypnose herstellt, »Massenpsychologie und Ich-Analyse« (Baker, 356f). Dass Mann Cipolla nun ausgerechnet als einen sein Publikum hypnotisierenden Zauberer darstellt, verstärkt die Parallelen zwischen dem Zauberer und Mussolini nur noch mehr. 

Der andere Einfluss war Robert Wienes expressionistischer Stummfilm »Das Cabinet des Dr. Caligari« (1919), der am meisten diskutierte Film seinerzeit, in dem es um einen im 18. Jahrhundert lebenden Hypnotiseur geht, der durch Norditalien reist und sein Medium, den Schlafwandler Cesare, dazu bringt, zahlreiche Morde zu begehen (Meyers, 115ff). Der Hypnotiseur Dr. Caligari und Cipolla weisen erstaunliche Ähnlichkeiten miteinander auf, ebenso wie Cesare und die hypnotisierten Opfer Cipollas (ebd.). Sowohl Wienes Film als auch Manns Novelle reflektieren die wachsende Zerbrechlichkeit der Weimarer Republik und warnen vor einem zu starken Gehorsam gegenüber herrschenden politischen Autoritäten (Meyers, ebd. 118).

Die Novelle lässt sich am ehesten der Epoche der Neuen Sachlichkeit zuordnen, also der vorherrschenden literarischen Strömung zur Zeit der Weimarer Republik von 1918 bis 1933. Charakteristisch für diese Epoche war die Thematisierung zeitgeschichtlicher Ereignisse, wie beispielsweise der politischen und sozialen Probleme der Weimarer Republik. Interpretiert man Manns Novelle als politische Parabel, passt sie sehr gut in diese Epoche. Auch auf sprachlicher Ebene entspricht die Novelle, die als Reisebericht eines anonymen Erzählers verfasst ist, dem Stil der Neuen Sachlichkeit, in der sich der Schreibstil der dokumentarischen Reportage großer Beliebtheit erfreute. 

Veröffentlicht am 21. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 21. August 2023.