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Mario und der Zauberer

Sprache und Stil

Die gesamte Novelle wird in der dritten Person aus der Perspektive eines Erzählers berichtet, der gemeinsam mit seiner Familie Urlaub in Torre di Venere macht und die Geschehnisse in einem gehobenen und eleganten Stil beschreibt. Dieser »Meister-Stil« wird häufig mit dem von Thomas Mann selbst verglichen und aufgrund seiner extremen Ausprägung in dieser Novelle teilweise als Parodie seines Autors gesehen. Der Erzähler versucht, sprachliche Kontrolle über das Geschehene zu erlangen, indem er sich einer hochintellektuellen Sprache bedient, erscheint dadurch teilweise jedoch lediglich lächerlich und anmaßend (Bance). 

Viel erfahren wir nicht über ihn, da er persönliche Informationen nur sehr spärlich preisgibt und dies auch nur dann, wenn es für den Verlauf der Geschichte unbedingt notwendig ist. Ein solcher Fall ist beispielsweise das Alter seiner kleinen Tochter, das er uns erst nennt, als es aufgrund des Vorfalls am Strand relevant wird. Seine Motivation, diese Geschichte nach langer Zeit nun doch zu erzählen, lässt sich nur erahnen. Häufig wird von Literaturwissenschaftlern aber betont, dass es sich beim Erzähler um jemanden handelt, der rückblickend versucht, seine erlebten Erfahrungen einzuordnen und zu verarbeiten (Bance). Durch die Begebenheiten in Torre wurde er aus seiner privaten Sphäre herausgerissen und zum Zeugen eines öffentlichen Desasters; er wurde gezwungen, die Rolle des ironischen, distanzierten Beobachters zu verlassen (die so typisch für Manns Erzähler ist) und wird stattdessen moralisch in die Ereignisse verwickelt (ebd.). Ihm ist klar, dass er etwas gegen die Taten Cipollas hätte unternehmen können, es aber unterlassen hat. Zumindest hätte er seine Kinder mit nach Hause nehmen und ihnen die Katastrophe ersparen können  – aber auch das hat er nicht getan. 

Seine Erzählung ist daher durchzogen von vor allem zwei Phänomenen: Anspielungen auf den düsteren Ausgang des Erzählten und Bekundungen der Reue, trotz dieser dunklen Ahnungen nichts unternommen zu haben. Die Anspielungen beginnen früh, bereits auf der ersten Seite und im ersten Satz, in welchem der Erzähler auf Cipolla anspielt, »in dessen Person sich das eigentümlich Bösartige der Stimmung auf verhängnishafte und übrigens menschlich sehr eindrucksvolle Weise zu verkörpern und bedrohlich zusammenzudrängen schien.« (S. 3) Ähnliche Ankündigungen setzen sich durch die gesamte Erzählung fort. 

Je mehr die Handlung voranschreitet und je näher die Darbietung des Zauberkünstlers rückt, desto mehr gesellen sich auch Bekundungen der Reue dazu. Bereits im ersten Viertel der Novelle bereut der Erzähler seine Entscheidung zu bleiben: »Wir blieben also und erlebten als schrecklichen Lohn unserer Standhaftigkeit die eindrucksvoll-unselige Erscheinung Cipollas.« (S. 16) Die stärkste Reue aber empfindet er, wenn er daran denkt, den verhängnisvollen Abend selbst nicht vorzeitig verlassen zu haben: »Zu entschuldigen ist es nicht, daß wir blieben, und es zu erklären fast ebenso schwer.« (S. 54) Mit derartigen Sätzen erinnert der Erzähler immer mehr an jemanden, der die nationalsozialistischen Jahre in Deutschland oder Italien durchlebt, sich aber nicht zur Flucht oder zum Widerstand entschieden, sondern zum Bleiben entschieden hat (Bance). Er hat die Katastrophe kommen sehen und hätte handeln können, hat es aber unterlassen. 

Aufgrund der moralischen Verwicklung des Erzählers in die Geschehnisse und seiner retrospektiven Schuldgefühle sollte auch beachtet werden, dass sein Bericht vielleicht nicht an allen Stellen der zuverlässigste und akkurateste ist. Der Erzähler, der ohnehin eine Tendenz zum Analysieren seiner Umgebung hat, versucht ganz offensichtlich auch gern, das Erlebte im Nachhinein zu interpretieren und zu verarbeiten. Daraus ergeben sich natürlich sehr subjektive Einschätzungen. Als er beispielsweise von der mangelnden Fremdenfreundlichkeit der Italiener berichtet, gesteht er seine eigene Voreingenommenheit ein: »Sie haben recht, ohne das dumme Geschichtchen mit dem Keuchhusten hätte ich es wohl nicht so empfunden; ich war gereizt, ich wollte es vielleicht empfinden und griff halb unbewußt ein bereitliegendes geistiges Motiv auf, um die Empfindung damit wenn nicht zu erzeugen, so doch zu legitimieren und zu verstärken.« (S. 14) 

An einer Stelle gibt er sogar zu: »Ich habe vorgegriffen und die Reihenfolge ganz beiseite geworfen. Mein Kopf ist noch heute voll von Erinnerungen an des Cavaliere Duldertaten, nur weiß ich nicht mehr Ordnung darin zu halten, und es kommt auf sie auch nicht an.« (S. 49) Damit gesteht der Erzähler seine eigene Subjektivität und Unzuverlässigkeit ein, auf die auch in der Literaturwissenschaft oft hingewiesen worden ist. Die Eigenzensur und Selbstrechtfertigungen des Erzählers gelten als Warnsignale, die auf seine Versuche hindeuten könnten, die Geschehnisse so wiederzugeben, dass es ihm leichter fällt, mit diesen umzugehen (Bance). 

Veröffentlicht am 21. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 21. August 2023.